Kontaktverbot fällt Senioren langsam schwer
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit hat Beratungstelefon für Menschen ab 65 eingerichtet.

Von Heike Warlich-Zink
Mannheim. Weil ältere Menschen bei einer Infektion mit Covid-19 ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, sollen sie sich zu ihren eigenen Schutz mehr als alle anderen isolieren und ihre Sozialkontakte auf ein Minimum beschränken.
Für diejenigen Senioren, die selbstständig leben und ihren Alltag allein meistern, bedeutet das den Verlust von vertrauter Alltagsroutine und Tagesstruktur. Spontane Begegnungen und Gespräche fallen ebenso weg wie geplante Treffen mit Familie und Freunden. "Das Leben älterer Menschen ist derzeit auf den Kopf gestellt, und wir bemerken bei vielen unserer Anrufer eine massive Verunsicherung", sagt Anna-Sophia Wahl, Assistenzärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, wo eine kostenlose Telefonberatung speziell für diese Altersgruppe angeboten wird.
Ein Team aus Ärzten und Psychologen steht montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr unter der Rufnummer 0621/170 330 30 für Fragen zur Verfügung und unterstützt die Ratsuchenden bei ihren individuellen Herausforderungen, ganz gleich ob in praktischer oder medizinischer Natur. Das Angebot richtet sich unabhängig vom Wohnort an alle ab dem 65. Lebensjahr. Gesprächsbedarf scheint reichlich vorhanden. Kaum ein Telefonat dauert weniger als 20 Minuten, manche bis zu einer Stunde.
Die Senioren fragen beispielsweise nach, ob sie zum Arzt oder in den Supermarkt dürfen, wie die Alltagsmasken richtig desinfiziert werden oder an wen sie sich wenden können, wenn sie Einkaufshilfe benötigen. Doch es geht ihnen nicht nur um die Organisation und Bewältigung des Alltags, sondern auch darum, ihre Sorgen mit jemandem teilen zu können. "Meine Kinder wollen nicht, dass ich die Wohnung verlasse", hören die Berater häufiger. Einigen macht eine solche Aussage zusätzlich Angst.
Auch interessant
Andere wiederum fühlten sich bevormundet und bitten das ZI-Team um eine neutrale Zweitmeinung. Um die jeweilige Situation besser beurteilen zu können, fragen die Experten daher bestimmte Kriterien ab, beispielsweise Alter, ob Angehörige in der Nähe wohnen, ob es Vorerkrankungen gibt, welche Medikamente eingenommen werden. "Unser Angebot ist jedoch anonym und wir unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht", betont Wahl.
Doch um gezielt beraten zu können, sei es hilfreich, etwas über die individuellen Lebensumstände zu erfahren. Insbesondere dann, wenn sich in einem Gespräch abzeichnet, dass psychotherapeutische Hilfe notwendig ist. "Wenn wir merken, dass der Anrufer psychisch stark belastet ist und wir von einer Angststörung oder Depression ausgehen müssen, dann raten wir dringend, trotz Corona nichts auf die lange Bank zu schieben und zu uns ins ZI zu kommen oder einen niedergelassenen Arzt aufzusuchen", so die promovierte Medizinerin, die im Bereich der Gerontopsychiatrie tätig ist.
Herauszuhören sei aus den Gesprächen auch, dass die meisten anfänglich mit der Situation gut zurechtgekommen seien. Doch jetzt würden die Nebenwirkungen spürbar – körperliche und seelische. "Mir fehlt die Physiotherapie" oder "ich müsste eigentlich zur Kontrolluntersuchung beim Kardiologen", berichten Senioren davon, dass sie sich abseits von Corona um ihre Gesundheit sorgen. Viele sprechen von einem massiven Verlust an Lebensqualität und beschreiben, dass sie das Fehlen des persönlichen Austauschs und der Inaktivität zunehmend als Belastung empfinden, sich einsam, antriebslos und traurig fühlen.
"Unsere Aufgabe ist es, unter Berücksichtigung des medizinischen Sachverhalts und der individuellen Situation mit Augenmaß abzuwägen, welche Ratschläge und Ideen wir den Ratsuchenden an die Hand geben, um sie zu aktivieren und in ihren persönlichen Herausforderungen zu unterstützen", sagt Wahl.