Mannheim

Toilettenpapier-Produktion bei Essity Mannheim läuft auf Hochtouren

"Es gibt mehr als genug" - Wenn die Regale nicht so schnell nachgefüllt werden, wie sie geleert werden, liegt es an der Transportlogistik.

27.03.2020 UPDATE: 30.03.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 8 Sekunden
Millionen Toilettenpapierrollen verlassen im Moment täglich das Werk von Essity in Mannheim. „Es gibt keinen Mangel“, erklärt eine Sprecherin – und auch in der Coronakrise keinen Grund, die Rollen zu horten. Foto: ZG

Von Gaby Booth

Mannheim. Für den Psychoanalytiker Sigmund Freud spielte die "anale Phase", die ein Kind im zweiten oder dritten Jahr durchlebt, eine entscheidende Rolle für dessen spätere Entwicklung. Damit bezog sich der Seelenforscher auf jenen Zeitabschnitt, in dem das Kind den Schritt zum Sauberwerden macht. Die Thesen Freuds, wonach Störungen in dieser Phase im späteren Leben des Menschen zu einem Zwangscharakter, zu übertriebener Reinlichkeit und Ordnungsfanatismus, ja sogar zu Geiz führen können, gehören zum Allgemeinwissen. Was der 1939 verstorbene Analytiker zu dem heutigen Phänomen "Toilettenpapierhamstern" sagen würde, wenn er den unverschämten Run der Konsumenten auf die Rollen in den Regalen von Drogerien und Supermärkten sehen könnte? Vermutlich würde er sich nur wundern und den Kopf schütteln.

Im Mannheimer Werk von Essity Operations Mannheim GmbH, im Mannheimer Sprachgebrauch "die Zellstoff", hält man sich mit solchen Theorien nicht auf. Keine Zeit. Hier wird Tag und Nacht produziert, was die Maschinen hergeben. "Wir haben sofort reagiert als die Nachfrage stieg und wir haben verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Produktion von Toilettenpapier hochzufahren", sagt eine Unternehmenssprecherin. Und sie schiebt sofort nach, was ihr besonders am Herzen liegt: "Es gibt keinen Mangel, bitte, bitte nur so viel einkaufen, wie Sie und die Familie benötigen." Wenn die Regale nicht so schnell nachgefüllt werden, wie sie geleert werden, läge es an der Transportlogistik.

Hintergrund

> Essity:Der Papierproduzent Essity im Mannheimer Norden Mannheim ist der größte europäische Produktionsstandort des schwedischen Unternehmens (Sitz Stockholm) in Deutschland. Aber nur wenige können mit diesem Namen etwas anfangen. Dann schon eher "die Zellstoff" oder SCA,

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> Essity:Der Papierproduzent Essity im Mannheimer Norden Mannheim ist der größte europäische Produktionsstandort des schwedischen Unternehmens (Sitz Stockholm) in Deutschland. Aber nur wenige können mit diesem Namen etwas anfangen. Dann schon eher "die Zellstoff" oder SCA, denn das Werk hat Geschichte.

> Zewa: Am Standort Mannheim wurde bereits 1884 Papier hergestellt. Gegründet unter dem Namen Zellstofffabrik Waldhof wuchs das Unternehmen in den Folgejahren. 1925 wurde die Marke Zewa eingetragen, die noch heute in Mannheim produziert wird. 1970 fusionierte die Zellstoffabrik mit den Aschaffenburger Zellstoffwerken zu den Papierwerken Waldhof-Aschaffenburg (PWA).

> SCA: 1995 erwarb die schwedische Svenska Cellulosa Aktiebolaget SCA die Mehrheit an PWA und baute die Hygieneproduktion weiter aus. 2017 wurde aus dem ehemaligen SCA Hygienebereich dann das Hygiene- und Gesundheitsunternehmen Essity.

> Gruppe: Die global agierende Unternehmensgruppe entwickelt, produziert, vermarktet und vertreibt Hygienepapiere für Endverbraucher. Darüber hinaus Babypflege-, Inkontinenz und medizinische Produkte.

> Mannheim: Hier ist einer von sieben Essity-Standorten in Deutschland und der einzige Betrieb mit integrierter Produktion, der vom Holz über Zellstoff bis zum fertigen Papierprodukt alles selbst verarbeitet. Hier arbeiten rund 2000 Mitarbeiter. Technischer Geschäftsführer ist Roger Schilling, Kaufmännischer Geschäftsführer und Finance Manager ist Stephan Franke. (boo)

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Die fünf Maschinen zur Zellstoffbearbeitung und die 23 zur Weiterverarbeitung laufen jedenfalls auf Hochtouren. Millionen von Toilettenpapierrollen verlassen momentan täglich das Werk, Dutzende von Lkw der Vertragspartner stehen an den Rampen und nehmen die Paletten auf, um sie in die Supermärkte und Drogerien der Region und ins ganze Land zu transportieren. "Es gibt keinen Grund Toilettenpapier in großen Vorräten zu kaufen, es gibt genug", wiederholt die Sprecherin während des Gesprächs mit der RNZ mehrfach.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten bei Essity in Mannheim-Waldhof? Rund 2000, davon sind 1200 in der Produktion beschäftigt. Diese Zahl ist konstant. Gearbeitet wird im Schichtbetrieb 24 Stunden am Tag rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Nicht erst seit der Corona-Krise, das war schon immer so. Jetzt hat man aber umstrukturiert, um der Toilettenpapierproduktion den Vorzug zu geben. Der Betrieb läuft vollautomatisch vom Lagerregal bis zu den Laderampen, wo 29 Lastwagen gleichzeitig beladen werden können. Drei Mitarbeiter je Schicht überwachen am Leitstand, ob alles richtig läuft. Außerdem gehören zu dem Unternehmen 85 Auszubildende in drei Dualen Studiengängen.

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Wie reagierte der Toilettenpapierhersteller auf die plötzlich enorm gestiegene Nachfrage? Das Unternehmen, das auch andere Papierprodukte herstellt, konzentriert sich in dieser Hochnachfragephase verstärkt auf die Herstellung von Toilettenpapier. "Wir straffen das Sortiment", so die Sprecherin. Sondereditionen werden vorerst zurückgestellt. Nicht unbedingt notwendige Wartungsarbeiten an den Maschinen zur Zellstoffverarbeitung und den 23 Verarbeitungsstraßen werden erst einmal auf einen späteren Zeitpunkt gelegt.

Wie groß sind die Kapazitäten? In den Lagern gibt es Platz für 93.000 Europaletten, pro Stunde können 1000 Paletten verladen werden. Der Transport läuft über Lkw, aber auch Schiene und Wasser. In der Papiererzeugung werden jährlich 283.000 Tonnen Papier verarbeitet.

Wie viel Toilettenpapier benötigt ein Mensch? Normalerweise ein bis zwei Rollen pro Woche, sagt die Sprecherin. Eine Vorratspackung reicht im Normalfall für eine Familie – je nach Putzmethode: "Knüller" benötigen mehr als "Falter". Normalerweise kann das Unternehmen mit seiner Lagerhaltung alle Einwohner Mannheims ein Jahr lang mit Hygienepapier versorgen. Aber momentan ist nicht "normalerweise".

Was wird im Werk Essity noch alles hergestellt? Am bekanntesten dürften die Küchentücher ZEWA sein, deren Name auf den ehemaligen Namen Zellstoff Waldhof zurückzuführen ist. Aber auch Tork, Danke und Taschentücher, Servietten, Hygieneartikel, die von den Handelsfirmen unter verschiedenen Eigenmarken laufen, kommen aus Mannheim. Momentan ist aber nicht nur die Nachfrage nach Toilettenpapier, sondern auch nach Küchentüchern, Feuchttüchern und Taschentüchern gestiegen. Relativ neu ist das komprimierte Endlos-Papierhandtuch für Waschräume mit sehr vielen Besuchern. Zu finden etwa an Raststätten, in Fußballstadien oder an Flughäfen.

Küchentücher statt Klopapier? "Nein auf keinen Fall", betont die Sprecherin. Die Saugeigenschaften und höhere Reißfestigkeit von Küchentüchern und Papiertaschentüchern, aber auch von Feuchttoilettenpapier bereiten Probleme in den Klärwerken bei der Wasseraufbereitung. Der Verband kommunaler Unternehmen hat bereits erste Schwierigkeiten in den Klärwerken gemeldet. Die Pumpen werden überstrapaziert und können verstopfen. Was letztendlich die Kosten für die Verbraucher erhöht. Also wenn schon andere Materialien als Toilettenpapier, dann in den Restmüll damit.

Woher kommt das Holz zur Papierverarbeitung? Am Standort Mannheim werden heimische Hölzer wie Fichte und Buche für die Zellstoffverarbeitung genutzt. Bäume, die aus dem Wald entfernt werden müssen, weil sie dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind, nimmt man gerne, auch Reste aus Sägewerken. Denn man braucht nur die Faser. Übrigens: Wer seinen Kindern mal zeigen will, wie aus Zellstoff Papier gemacht wird, sollte mal ins Technoseum gehen. Dort können die Kleinen selbst schöpfen.

Woher kommt der Firmenname Essity? Es ist eine Zusammensetzung der beiden englischen Worte Essentials (das Wichtige) und Necessities (das Notwendige).

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