Zehn Jahre Bahnstadt

Warum die Heidelberger Bahnstadt noch immer einen "bestimmten Ruf" hat

Vor zehn Jahren zogen die ersten Bewohner in den neuen Stadtteil. Heute leben hier 5800 Menschen. Der OB besuchte einen der Pioniere.

04.07.2022 UPDATE: 05.07.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden
Vor zehn Jahren zogen die ersten Menschen in die Bahnstadt. Die Promenade gab es damals nur auf dem Papier. Heute ist sie nicht nur für die Bewohner des Quartiers beliebter Treffpunkt, auch Bürger aus anderen Stadtteilen verbringen hier gern ihre Freizeit. Foto: Rothe

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Vor zehn Jahren sind die ersten Bewohner in die Bahnstadt gezogen – als Pioniere, wie Oberbürgermeister Eckart Würzner sie am Montag nannte. Einer von ihnen ist Marco Tidona. 2011 kaufte er gemeinsam mit seiner Frau eine Erdgeschosswohnung mit Garten direkt an der Promenade mit Blick auf die Felder des benachbarten Pfaffengrunds. 2013 zog die Familie ein, der gemeinsame Sohn war damals ein Jahr alt. Heute ist er elf – und gehört zur ersten Generation, die ihre gesamte Kindheit in der Bahnstadt verbrachte.

Der hübsche Flanierweg mit seinen vielen Spielplätzen und Aufenthaltsflächen existierte damals allerdings nur auf dem Papier. "2011 war hier noch gar nichts", erinnerte sich Tidona am Montag auf seiner Terrasse – die es ebenfalls noch nicht gab. Heute sitzt er umgeben von meterhohen Gemüsepflanzen und Hochbeeten voller Salat und Erdbeerpflanzen. "Das ist ja Wahnsinn", sagte Würzner, begeistert von der Vielfalt, und biss mit Genuss in eine frisch geerntete Bahnstadt-Gurke.

Marco Tidona hat ein neues Zuhause in der Bahnstadt gefunden. Zu Besuch in dessen Garten direkt an der Promenade waren OB Eckart Würzner, Heike Rompelberg vom Stadtteilverein und Erster Bürgermeister Jürgen Odszuck (v.l.). Foto: Stadt

Tidona hatte dem OB seine grüne Oase an diesem Montag für eine Pressekonferenz zum zehnjährigen Bestehen des Stadtteils zur Verfügung gestellt. "Klar, am Anfang war das hier eine Baustelle, aber inzwischen ist es ein ganz toller Platz", sagte der Gründer des Unternehmens "Aponix", das spezielle Pflanzsysteme herstellt, in denen sich auf kleinster Fläche Gemüse in die Höhe anbauen lässt. Dass das funktioniert, dafür ist Tidonas Grundstück bester Beweis.

5800 Menschen leben inzwischen in der Passivhaussiedlung. "Ich finde, die Bahnstadt passt wunderbar zu Heidelberg und die Zufriedenheit derer, die hier wohnen ist die höchste in der ganzen Stadt", sagte Würzner. Ein besonderes Lob sprach der OB jenen Bewohnern aus, die früh angefangen hätten, Verantwortung im Stadtteil zu übernehmen und ihn mitzugestalten.

Auch interessant
Heidelberg einst und jetzt: Einer der letzten Zeugen der alten Bahnstadt
Eltern "in Aufruhr": Bahnstadt-Kinder sollen im Pfaffengrund in die Schule

Darüber freute sich Heike Rompelberg sichtlich. Sie wohnt eine Etage über Marco Tidona und gehörte 2012 zu den Gründern des Stadtteilvereins. "Inzwischen haben wir 500 Mitglieder und freuen uns, wenn es noch mehr werden", so Rompelberg. Auch wenn in der Corona-Zeit vieles nicht stattgefunden habe, wolle man nun regelmäßige Angebote wie das Stadtteilfrühstück wieder aufnehmen. Sie hofft, dass das Bahnstadtfest diesen Samstag, 9. Juli, dazu den Anstoß gibt.

Inzwischen hätten sich auch zahlreiche Geschäfte und Cafés angesiedelt und die Promenade mit den vielen Spielplätzen sei ein beliebter Treff für Menschen aus ganz Heidelberg geworden. Das betonte Erster Bürgermeister Jürgen Odszuck (CDU): "Es ist wirklich etwas Besonderes, dass viele Leute ihre Freizeit inzwischen in der Bahnstadt verbringen."

Der Baubürgermeister gab dennoch zu, dass die Bahnstadt nach wie vor einen "bestimmten Ruf" habe – den, sehr teuer zu sein und von allzu einheitlicher Architektur. "Aber in zehn Jahren wird die Bahnstadt das sein, was sie werden soll. Das Bunte kommt noch", versprach Odszuck. Es sei auch jetzt noch eine "gute Investition", hier Wohnraum zu kaufen.

Hintergrund

> Die Bahnstadt entstand auf dem Areal des früheren Güter- und Rangierbahnhofes sowie auf ehemaligen Militärflächen der US-Armee im Südwesten Heidelbergs. Im Juli 1999 verabschiedete der Gemeinderat erste Planungen für zukünftige Wohn- und Gewerbegebiete. Auf dem damals

[+] Lesen Sie mehr

> Die Bahnstadt entstand auf dem Areal des früheren Güter- und Rangierbahnhofes sowie auf ehemaligen Militärflächen der US-Armee im Südwesten Heidelbergs. Im Juli 1999 verabschiedete der Gemeinderat erste Planungen für zukünftige Wohn- und Gewerbegebiete. Auf dem damals noch "Bahninsel" genannten Areal waren 2500 Wohnungen geplant. Rund zehn Jahre später war Baubeginn. Heute leben rund 5800 Menschen aus 102 Nationen in dem Quartier, das als eine der größten Passivhaus-Siedlungen der Welt geplant wurde. Die Gesamtfläche von 116 Hektar entspricht fast der Landfläche der Hamburger Hafen-City. Von 2012 bis 2021 wurden in ganz Heidelberg insgesamt 6455 Wohnungen neu gebaut, davon 3174 in der Bahnstadt – also knapp die Hälfte aller Neubauwohnungen. Der Altersdurchschnitt der Bahnstädter liegt bei 29,5 Jahren. Jeder zweite ist jünger als 30 Jahre. Neun von zehn Bewohnerinnen und Bewohnern sind jünger als 45 Jahre. In ganz Heidelberg beträgt der Altersdurchschnitt 39,9 Jahre. In dem Stadtteil gibt es 4174 Arbeitsplätze, 560 Kinderbetreuungsplätze und etwa 60 Geschäfte, Restaurants und Cafés. Durch die Passivbauweise liegt die CO2-Einsparung pro Person und Jahr bei rund 94 Prozent. In der Bahnstadt stehen insgesamt 1123 Bäume. shy

[-] Weniger anzeigen

Schuldig blieb Odszuck jedoch die Antwort auf die Frage, wer sich diesen Wohnraum leisten kann. In einem Immobilienportal wird eine Vier-Zimmer-Bahnstadt-Wohnung mit einer Fläche von 104 Quadratmetern gerade für 790.000 Euro angeboten. "Das ist aber in jedem Stadtteil so", sagte Würzner. Bei der Planung sei es immer darum gegangen, hochwertigen, attraktiven Wohnraum zu bauen. "Dafür schaffen wir in der Südstadt 70 Prozent bezahlbaren Wohnraum."

Trotzdem gab Würzner auf RNZ-Nachfrage zu, dass man im Rückblick zumindest eine Sache hätte besser machen können: "Auf die Begrünung des Stadtteils hätte man schneller hinwirken müssen." Zwar gebe es viele Bäume, aber diese bräuchten eben Zeit zum Wachsen. Und Odszuck hätte sich im Nachhinein gewünscht, dass die Anbindung für Fußgänger zum Hauptbahnhof – und damit in die Innenstadt – schneller umgesetzt worden wäre.

Marco Tidona und seine Frau haben den Umzug von Mannheim in das neue Quartier jedenfalls nie bereut. "Unser Ziel war es, städtisch zu leben, eine gute Anbindung zu haben und weniger Auto zu fahren", sagt der Unternehmer. Das habe bestens funktioniert.

Dieser Artikel wurde geschrieben von:
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.