"Homöopathie funktioniert - und zwar wegen des Placebo-Effekts!"
Forscher diskutierten über chronischen Schmerz - Wieso der Geist stärker sein kann als ein Medikament

Pharmakologe Stefan Lechner (am Mikro) erklärte, was "stumme Fasern" sind. Auch die Pharmakologin Rohini Kuner und die Psychologin Susanne Becker (v.l.) stellten ihre Forschung vor. Foto: Rothe
Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Eigentlich müssen wir uns wünschen, dass unser Arzt uns anlügt. Denn ob eine Pille in unserem Körper schmerzhemmend wirkt, ist gar nicht so wichtig. Viel entscheidender ist: Ob wir glauben, dass es wirkt. Wie schlagkräftig der Placebo-Effekt ist - das war eine der erstaunlichen Erkenntnisse am Donnerstagabend im vollen Klub_k des Karlstorbahnhofs. Bei der zweiten Auflage der Reihe "Überlebensstrategien", veranstaltet von der Universität und der RNZ, ging es um den Schmerz. Moderiert von RNZ-Redakteur Steffen Blatt stellten drei Wissenschaftler aus dem interdisziplinären Sonderforschungsbereich 1158, der untersucht, wie chronischer Schmerz entsteht, ihre Forschung vor.
Psychologin Susanne Becker vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim geht es um die Psychobiologie des Schmerzes: "Was machen Sie, wenn Sie Schmerzen haben? Sie nehmen ein Medikament. Wir wollen wissen: Gibt es bessere Strategien?" Becker stellte ein verblüffendes Experiment vor (siehe Hintergrund). Ihr Fazit: "Wir können mit unserem Geist die Wirkung eines Medikaments fast komplett aufheben." Doch es gibt einen Haken: "Wenn wir in die Apotheke gehen und nach einem Placebo fragen, bringt das nichts."
Hintergrund
Bei einem Schmerz-Experiment in Hamburg sollten Probanden die Schmerzintensität eines Hitzereizes auf der Haut auf einer Skala von 0 bis 100 einschätzen. Zunächst gaben die Probanden durchschnittlich 65 an. Dann wurde intravenös Remifentanil gegeben, eines der stärksten
Bei einem Schmerz-Experiment in Hamburg sollten Probanden die Schmerzintensität eines Hitzereizes auf der Haut auf einer Skala von 0 bis 100 einschätzen. Zunächst gaben die Probanden durchschnittlich 65 an. Dann wurde intravenös Remifentanil gegeben, eines der stärksten Schmerzmittel überhaupt - und das Schmerzempfinden sank auf 55. Den Probanden wurde danach aber gesagt, das Schmerzmittel sei jetzt erst "angeschaltet" worden - und plötzlich sank das Schmerzempfinden auf etwa 40. Nur: Die Versuchsleiter hatten gelogen, das Remifentanil wirkte längst. Doch damit nicht genug: Als nächstes wurde den Probanden gesagt, dass das Medikament nun wieder abgeschaltet würde - und das Schmerzempfinden stieg wieder fast auf das Ausgangsniveau von 65. Doch auch das war gelogen, das Remifentanil war nie abgeschaltet worden. rie
Deshalb forscht Becker an einem anderen Weg, Schmerz zu reduzieren. "Belohnung heißt das Zauberwort", so Becker, "und das Schöne daran ist, dass es für jeden etwas gibt, das ihn belohnt." Ganz egal, ob das gute Musik, ein Muffin oder eine Runde Fußballspielen ist. Becker nennt das "die Schöne - das ist die Belohnung - und das Biest, also der Schmerz". Beides werde im Gehirn in ähnlichen Zentren verarbeitet. Und deshalb könne man den Schmerz, wenn man ihn mit einer Belohnung koppelt, eindämmen. Doch wieder gibt es einen Haken: "Bei chronischen Schmerzen funktioniert das schlecht." Und deshalb arbeitet Becker an einem Training für Schmerzpatienten, welches die Belohnung wieder zum effektiven Schmerzhemmer macht.
Doch so sehr er die Menschen peinigt: Schmerz ist überlebenswichtig. "Menschen, die keine Schmerzen spüren, leben kurz", erklärte die Pharmakologin Rohini Kuner, die Leiterin des Sonderforschungsbereichs. Wer Schmerz nicht fühlt, hat keinerlei Warnsignale, wenn etwas nicht stimmt - und verletzt sich ständig selbst, ohne es zu merken. "Doch bei chronischen Beschwerden wird der Schmerz vom Beschützer zum Tyrannen." Deshalb gehe es im Sonderforschungsbereich um die Frage, wann Schmerz warum chronisch werde.
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Einen Ansatz stellte Stefan Lechner vor: Er forscht an "stummen Fasern", die vor allem in inneren Organen sitzen und sich normalerweise nicht aus der Reserve locken lassen. "Sie sind in gesundem Gewebe überhaupt nicht erregbar", so Lechner. Kommt es aber zu Entzündungen, tragen diese Fasern plötzlich zur Schmerzentstehung bei. "Uns ist es gelungen, sie zu markieren, um sie genauer zu beobachten." Diese stummen Fasern, die etwa in der Blase die Hälfte aller Fasern ausmachen, könnten ein Schlüssel zum Verständnis chronischer Schmerzen sein.
Bei den Publikumsfragen wurden auch kontroverse Themen nicht ausgespart. "Auf Partys rede ich nicht über Politik, Religion - und Homöopathie", sagte Becker. Doch im Klub_k traute sie sich: "Homöopathie funktioniert - und zwar wegen des Placebo-Effekts!"