"b-seite"-Projekt

Zwei Heidelbergerinnen und ihr Musikmagazin gegen die digitale Flut (plus Video)

Lea Reich und Sara Wess sammeln Geld für ein neues Magazin für Musik-Fans, die keine Lust (mehr) auf Instagram und Co. haben

16.08.2019 UPDATE: 13.09.2019 06:15 Uhr 5 Minuten, 24 Sekunden
Sara Wess und Lea Reich. Foto: mün

Von Götz Münstermann

Heidelberg. Sie sind 22 und 23 Jahre alt und haben die Nase voll von Internet, Smartphone, Instagram und all den digitalen Zeitfressern. Und jetzt? Jetzt wollen Sara Wess und Lea Reich aus Heidelberg stattdessen ein 92 Seiten dickes Konzert- und Musik-Magazin ganz retro auf Papier herausbringen. Ohne eigenes Geld, aber mit der Unterstützung vieler Menschen – natürlich aus dem Internet (hier geht es zum Crowdfunding bei Startnext). Warum ihr "b-seite Magazin" gerade jetzt wichtig ist und was sie für ein Problem mit der schönen neuen digitalen Welt haben, das erzählen sie in unserem Interview.

Das Musikmagazin "Spex" ist beinahe tot, "Intro" wurde eingestellt - warum braucht es jetzt noch ein Print-Konzert-Magazin?

Sara: Es gibt gute Musikjournalisten, wir wollen es nicht besser als die machen. Und Alben rezensieren geht online sowieso besser, weil das Internet schneller ist. Alles ist bunter und die Künstler produzieren ja selbst viele Inhalte. Wir wünschen uns selbst ein Musikmagazin, das die Seiten beleuchtet, die mich als Konzertgängerin interessieren. Die aber vielleicht nicht populär genug sind, dass sie die guten Online-Magazine beleuchten, weil sie zu wenig Klicks bringen. Wir werden nicht den Musikjournalismus retten, wir sehen unsere "b-seite" als Nischenprodukt.

Hintergrund

Das sind die Herausgeberinnen

>Lea Reich, 22 Jahre alt, liegt in den letzten Zügen ihres Studiums Digitale Medien an der Dualen Hochschule in Mannheim. Was die gebürtige Freudenstädterin nach ihrem Bachelor im Herbst macht, das ist

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Das sind die Herausgeberinnen

>Lea Reich, 22 Jahre alt, liegt in den letzten Zügen ihres Studiums Digitale Medien an der Dualen Hochschule in Mannheim. Was die gebürtige Freudenstädterin nach ihrem Bachelor im Herbst macht, das ist noch offen. Irgendwann möchte sie im Bereich Personal- oder Social-Media oder Online-Marketing arbeiten.

>Sara Wess ist 23 Jahre alt, macht ebenfalls ihren Abschluss in Digitale Medien an der DHBW und ab Herbst wird sie die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg besuchen. Die aus Kaiserslautern stammende Sara sieht ihre berufliche Zukunft auch im Journalismus.

> Bei Instagram findet Ihr die "b-seite" hier

> Bei Facebook findet Ihr die "b-seite" hier

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Ihr seid Teil der Generation der Digital Natives – wollt aber nur ein Print-Magazin machen. Warum?

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Lea: Wir sind Teil einer Strömung, bei der es wieder zurück zum Analogen geht: beim Fotografieren oder Schallplatten hören. Ein Magazin in der Hand zu haben ist halt etwas anderes, als auf Spotify zu klicken. Das geht nicht nur uns so und da passt eben ein Print-Magazin gut rein. Da kann man sich mal in Ruhe hinsetzen, lesen – ohne dass es andere Einflüsse gibt.

Was ist Euer Problem mit digitalen Geräten und Medien?

Lea: Beim Smartphone hast du immer einen anderen Input. Man schaltet ja nicht alle Apps aus, wenn man einen Text lesen will.

Sara: Das Internet ist voll! Künstler teilen Insta-Storys, die nach 24 Stunden weg sind. Ich als Nutzer muss also in genau dieser Zeit gucken, sonst erfahre ich es ja nicht. Da kommt dann diese "fear of missing out" – diese Angst, etwas zu verpassen. 

Lea: Wenn man einen Text wirklich in Ruhe konsumieren will, dann muss es eben halt auch Print sein. Und statt des Überangebotes an Content gibt es eine Vorselektion. Ich fände es ganz cool, wenn mir jemand etwas vorgibt, das ich in der halben Stunde, die ich habe, in Ruhe lesen kann.

Sara: Man hat nicht mehr diese Qual der Wahl: Welchen Artikel auf der einen oder anderen Online-Plattform lese ich jetzt.

Also ist Euch das mit diesem Internet zu viel?

Lea: Manchmal denke ich, dass ich vom Handy abhängig bin. Das ist mittlerweile so störend, dass ich es abstelle. In den letzten Jahren ist es so extrem viel Content geworden, wir kennen jede kleinste Funktion am Handy, bei Instagram, bei dieser und jener App. Jetzt wollen wir am liebsten alles ausmachen. Das Handy stresst. Und von uns Digital Natives wird ja erwartet, dass wir mit dieser Flut umgehen. Aber es ist eine Reizüberflutung, die wir abstellen wollen.

Sara: Es gibt so guten Musikjournalismus im Internet. Da will ich mir dann ein einstündiges Interview bei Youtube anhören, aber ich schaff es nicht. Dauernd kommt eine neue Nachricht rein, ich schau sie an, muss wieder zurück zum Interview. Wenn ich so ein Print-Magazin etwa in der Bahn auf dem Weg zur Uni hätte, dann wäre das etwas anderes. Print entschleunigt: Es bewegt sich nicht, da sind keine Links, da ist nur der Text, den ich jetzt lese.

Lea: Unser Lay-Out wird ganz klar und konzentriert – weg von diesen nervigen Einflüssen wie Instagram. Wie in einem Buch – ohne Pling und bunt. Der Inhalt wird konsumierbar.

Worüber wollt Ihr Schreiben? Was ist der neue Wein im alten Schlauch?

Sara: Wir kümmern uns um die "B-Seite", die nicht so vordergründigen Themen. Wir waren mit DRK-Sanitätern auf einem Festival unterwegs und haben geschaut, was da so anfällt. Das sieht man ja als normaler Mensch eigentlich nicht. Wir stellen die Fragen, die sonst in Online-Magazinen nicht gestellt werden. Mit Künstlern ist es nicht immer so einfach – aber grundsätzlich schreiben wir alles in einem Reportage-Stil. Damit wir unsere Leserinnen und Leser mitnehmen, es Kino im Kopf gibt.

Zum Beispiel?

Sara: Wir stellen eine junge Band aus Stuttgart vor und sind zusammen Minigolf spielen gegangen. Daraus wird ein schöner Text, den man gerne liest, auch wenn man die Band gar nicht kennt. Das soll alles sehr sehr bildlich sein. Das ist uns wichtiger als ein klassisches Interview, das man auch online finden kann.

Dürft Ihr schon verraten, welche Themen noch in der ersten Ausgabe zu finden sein werden?

Lea: Die gerade eben erwähnte Band sind die Rikas aus Stuttgart, die im Oktober ihr Debütalbum rausbringen. 

Sara: Wir stellen auch eine Tontechnikerin vor, weil uns das Thema Frauen in der Musikbranche interessiert. Und das Scala in Ludwigsburg, eine total charmante Konzertlocation in einem alten Kinosaal. Und wir haben mit den Initiatoren des "Water is a human right"-Projektes von Viva con Agua gesprochen, die fotografieren Musiker, um auf Missstände in der sanitären Versorgung weltweit aufmerksam zu machen. 

Und wen wollt Ihr als Leserinnen und Leser gewinnen?

Sara: Wir haben zwei feste Zielgruppen. Unsere Generation, die auf Konzerte geht, den Merch-Käufer.

Lea: Das ist eher nicht der Typ, der Radio oder Spotify hört, denn der gibt kein Geld aus. Sondern Fans eben, die auch mal ein T-Shirt kaufen.

Sara: Die andere Zielgruppe ist die Generation unserer Eltern plus/minus 10 Jahre – Leute, die ihren Künstler nicht auf Instagram verfolgen. Aber eine hohe Affinität zu Musik haben. Über Facebook haben wir viele dieser Leute erreicht. Und die sagen: Endlich machen mal zwei Mädels etwas Neues im Musikjournalismus. Die sind sehr offen.

Habt Ihr ein Magazin als Vorbild, an dem Ihr Euch orientiert?

Sara: Es gibt zwei. Das "Katapult"-Magazin, mit denen haben wir auch gesprochen und uns beraten lassen. Die sind für uns quasi "unternehmerisch" das Vorbild, weil die selbst alles aus dem Boden gestampft haben – ohne einen Konzern hinten dran. Das ist cool und zeigt uns, dass man es schaffen kann, wenn man viel Arbeit reinsteckt. Inhaltlich ist unser Vorbild "Das Wetter". Die haben eine Auflage von 5000 und machen ein Magazin für Text und Ton. Mit langen Texten und krass entschleunigend. Diese Art finden wir gut.

Aber erst einmal braucht Ihr Geld – warum ein Crowdfunding?

Lea: Einmal haben wir als Studenten kein Geld. Und dann haben wir uns bei anderen Gründerinnen erkundigt und die haben gesagt: Ein Crowdfunding zwingt einem zur Öffentlichkeitsarbeit. Und das finden wir gut. Denn was bringt es, wenn wir unser Heft drucken und dann darauf sitzen bleiben, weil uns niemand kennt. Jetzt müssen wir die "b-seite" bekannt machen, ohne zu wissen, ob wir es umsetzen können. Das ist ein guter Ausgangspunkt.

Jetzt habt Ihr Eurer erstes Crowdfunding-Ziel erreicht und 6000 Euro Spenden bekommen. Wie geht es jetzt weiter?

Noch bis zum 31. August kann man uns auf Startnext durch den Kauf der Erstausgabe unterstützen. Unser zweites Fundingziel sind 8000 Euro. Alles Geld, was jetzt noch zusammenkommt, können wir schon mal für die zweite Ausgabe oder Spielereien wie Marketing beiseitelegen.

Wenn ich beim Crowdfunding mitmache, bekomme ich dann automatisch ein Exemplar?

Sara: Ab 10 Euro gibt es dann eine "b-seite", die wir per Post zusenden. Es gibt aber auch eine begrenzte Anzahl von quasi Studenten-Ausgaben für eine 7-Euro-Spende. Wer mehr als 10 Euro spendet, kommt zum Beispiel in eine Hall of Fame, in der wir die Namen unserer Unterstützer abdrucken.

Was wäre passiert, wenn Ihr keine 6000 Euro zusammenbekommen hättet?

Das war keine Option. Im Falle eines Falles hätte ich die letzte Woche jeden Tag Musik in der Fußgängerzone gemacht, um das Ziel zu schaffen. Abgesehen davon haben wir wahrscheinlich 2 bis 3 Werbeanzeigen als Ass im Ärmel.

Und denkt Ihr schon an die zweite Ausgabe?

Lea: Am Anfang haben wir gesagt, wir machen einen 2 bis 3-Monats-Rhythmus. Aber das ist schwierig, zumal es ja bei uns beruflich auch weitergehen muss. Wir legen uns auf keinen festen Rhythmus fest, das kriegen wir einfach nicht hin. Es zwingt uns ja keiner. Wir bringen das zweite Magazin, wenn es fertig ist.

Sara: Was uns auch wichtig als Ansage an unsere Leser ist: Ihr bekommt unser Magazin und dann hört Ihr erst einmal nichts mehr von uns. Wir wollen denen nicht jeden Tag eine neue Story reinspülen. ‚Beim nächsten Mal hört Ihr wieder von uns‘. Wir werden uns rausnehmen und nicht omnipräsent sein.

Lea: Aber tatsächlich haben wir schon viele Themen für eine zweite B-Seite.

Disclaimer: Sara Wess ist Freie Mitarbeiterin der RNZ-Redaktion, was der Autor aber erst bei der Kontaktaufnahme gemerkt hat.

 

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