Leute mit "Herzblut für die Stadt"
Die Vorsitzenden Switgard Feuerstein und Steffen Sigmund sprechen über bemerkenswerte Ideen

Sie koordinieren die Ideen der Heidelberger, was die Stadt braucht und zukunftsfest machen könnte: Switgard Feuerstein ist Vorsitzende der Bürgerstiftung Heidelberg, Steffen Sigmund Vorsitzender des Stiftungsrats. Foto: Philipp Rothe
Von Birgit Sommer
Heidelberg. In den zehn Jahren ihres Bestehens hat die Heidelberger Bürgerstiftung eine Menge zivilgesellschaftliches Engagement bewiesen. Die Ideen mussten gar nicht so groß sein, dafür waren sie einfach pfiffig, etwa Anstiften zur Musik, Singen in der Schule, Bewältigung des demografischen Wandels, Bürgerbeteiligung, Erinnerungszeichen, Begegnungsorte, Persönlichkeitsentwicklung bei Schülern oder öffentliche Bücherregale.
Es gebe kaum eine Bürgerstiftung in Deutschland, die ein solch spannendes Portfolio habe, sagte Prof. Christian Pfeiffer beim jüngsten Jahresempfang in der Alten Aula. Pfeiffer muss es wissen. Der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gründete 1997 die erste Bürgerstiftung Deutschlands in Hannover.
Im Jubiläumsjahr 2019 werden keine Großprojekte vorgestellt. Es gibt einen Förderwettbewerb, der die Verbindung zwischen den Generationen stärken soll, eine Diskussionsveranstaltung am Freitag, 12. Juli, mit Manfred Lautenschläger und Ministerin Theresia Bauer ("Wie Engagement wirkt") und im Herbst Gespräche mit Jugendlichen zur Zukunft. Die RNZ sprach mit der Stiftungsvorsitzenden, Prof. Switgard Feuerstein, und Dr. Steffen Sigmund, dem Vorsitzenden des Stiftungsrates.
IM GESPRÄCH
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Frau Feuerstein, Herr Sigmund, wozu braucht man Bürgerstiftungen?
Sigmund: Eine Stadt braucht eine vitale Bürgerschaft. Und Stiftungen haben eine spezielle Qualität. Ein großer Vorteil ist, dass das Stiftungskapital auf Dauer vorhanden ist. Bürgerstiftungen sind auch breiter aufgestellt als Vereine: Wir fördern andere Initiativen und machen eigene Projekte. Hinzu kommt der Mitbestimmungsaspekt: Bei den Ausgaben sprechen mehrere mit.
Feuerstein: Eine Bürgerstiftung verbindet die Stiftungsidee mit ehrenamtlichem Engagement. Sie bringt Zeit, Geld und Ideen zusammen. Auch wer weniger Geld hat, kann bei der Bürgerstiftung mit einer geringeren Summe dabei sein. Eine Bürgerstiftung ist eine langfristige, dauerhafte Institution. Sie kann auch Projekte angehen, die einen langen Atem brauchen, und Themen suchen, die bei anderen nicht auf der Agenda stehen.
Wie sieht Ihre Bilanz nach zehn Jahren aus?
Sigmund: Sehr positiv. Die Bürgerstiftung hat viele Dinge angestoßen. Wir haben früh damit angefangen, uns im Bereich Bürgerbeteiligung zu engagieren. Unsere Arbeit für das neue Konferenzzentrum war beträchtlich. Wir haben die Praktikumsbörse Practicabay - heute "practise" - initiiert, um den Übergang von der Schule in den Beruf einfacher zu gestalten. Und wir haben mit der "Insel", in der sich getrennt lebende Elternteile mit ihren Kindern treffen und gemeinsam übernachten können, ein zentrales Problem angegangen, das viele Kommunen betrifft.
Welches ist Ihr Lieblingsprojekt?
Feuerstein: Die "Insel" ist schon sehr herausragend.
Sigmund: Zum Beispiel die Bürgerbeteiligung beim Konferenzzentrum, da es uns dadurch gelungen ist, in der Stadt eine neue Kultur der politischen Debatte um strittige Themen zu etablieren. Die "Insel" ist sowieso mein Lieblingsprojekt.
Eine solche Wohnung einzurichten, das war von Anfang an Ihr "Baby". Wie wird sie angenommen?
Sigmund: Sehr gut. Es gibt Väter, die regelmäßig kommen, es waren auch schon Großeltern da, die einen Tag mit ihren Enkeln verbringen wollten. Im Mai und Juni war die Wohnung an 60 bis 70 Prozent der Tage belegt.
Gibt es solche Begegnungsorte auch anderswo im Land?
Feuerstein: Das war von Anfang an unsere eigene Idee. Wir wissen auch von keinem anderen solchen Projekt.
Und die nächste tolle Eingebung?
Feuerstein: Solche Ideen hat man nicht jedes Jahr. Aktuell haben wir den Förderwettbewerb für generationenübergreifende Projekte ausgeschrieben.
Worum geht es da?
Sigmund: Wir haben den Eindruck, dass sich einzelne gesellschaftliche Gruppen voneinander abkoppeln. Junge und Alte etwa haben unterschiedliche Themen. Diese Abgrenzung sollte überwunden werden. Die Älteren können ihre Erfahrungen, die Jungen Ideen und Energie weitergeben.
Woher kommen denn die vielen Inspirationen der Bürgerstiftung?
Sigmund: Wir haben regelmäßige Sitzungen, da entstehen oftmals Ideen. Viele Mitglieder sind in der Stadt vernetzt, man sieht plötzlich Kooperationsmöglichkeiten, und dann versuchen wir, das zu konkretisieren.
Die Themen Bildung und Integration stellen einen großen Bereich der Stiftungsaktivitäten dar.
Feuerstein: Mit unseren begrenzten Mitteln kann man nicht so viel machen. Neues verbindet sich oft mit dem, was wir schon hatten. Wir greifen aber auch Dinge auf, an die wir vor fünf Jahren noch gar nicht dachten.
Sigmund: Wir verstehen Integration als eine Form von Zusammenhalt und Teilhabe.
Feuerstein: Im Sprachgebrauch hat sich der Begriff Integration verengt. Wir haben ein breiteres Verständnis von Integration.
Wovon leben Bürgerstiftungen?
Feuerstein: Bei begrenztem Kapital und praktisch null Zinsen kommt das Geld hauptsächlich von Spendern. Wir brauchen aber nicht nur Geld, sondern auch Leute mit Zeit und Ideen.
Sigmund: Wir brauchen Leute mit Herzblut für die Stadt. Gleichwohl wäre es toll, wenn wir unser ursprünglich angestrebtes Ziel für das Stiftungskapital - 1000 mal 1000 Euro - erreichen würden. Derzeit sind wir bei knapp 200.000 Euro von rund 120 Stiftern.
Feuerstein: Es gibt Bürgerstiftungen, die wirklich Kapital haben, durch Erbschaften etwa. Die sind meist älter und haben zu einer Zeit angefangen, als es noch Zinsen für das Guthaben gab. Die Aufgabe einer jungen Bürgerstiftung ist es, eine verlässliche Institution aufzubauen, der man Geld anvertraut.
Sigmund: Wir hoffen, dass wir das geschafft haben und nach zehn Jahren nun eine zweite Phase kommt. Das Umfeld in Heidelberg ist natürlich auch etwas Spezifisches; viele Felder waren schon besetzt. Zum Beispiel haben viele Bürgerstiftungen eine Freiwilligenbörse gegründet; die gab es in Heidelberg zum Glück schon. Es ist eine ausdifferenzierte Landschaft hier. Wir mussten ein eigenes Profil entwickeln.
Feuerstein: Andere Stiftungen sind da eher in ein Vakuum gestoßen, weil es bis dahin weniger Bürgerengagement gab.
Es gibt ja ein Bündnis der Bürgerstiftungen. Ist das hilfreich?
Feuerstein: Vom Bündnis bekommen wir durchaus Unterstützung, zum Beispiel in rechtlichen Fragen. Und vor eineinhalb Jahren haben wir die Idee zum offenen Bürgersingen von einem Treffen mitgebracht. Das funktioniert in Heidelberg im Museumshof hervorragend. In den Sommermonaten wird hier jeden Mittwoch um 18 Uhr gemeinsam mit einem Chor gesungen.
Was bewegt derzeit die Frauen und Männer der Bürgerstiftung? Worüber machen Sie sich in Heidelberg Sorgen?
Sigmund: Beteiligung ist ein wichtiges Thema in der Stadt, bei dem unserer Expertise nachgefragt wird. Die Stadt macht das zwar schon von sich aus, aber wir haben unsere eigenen Ideen im Blick. Wir sind nicht der "Think Tank" der Stadt, der alle Probleme löst, aber wir versuchen, aufmerksam zu sein, auf die Bürger zu hören und Bereiche herauszufinden, in denen Engagement wichtig ist.
Info: www.buergerstiftung-heidelberg.de. Konten für Zustiftungen und Spenden: Sparkasse Heidelberg, IBAN: DE33 6725 0020 0000 0001 91. Volksbank Kurpfalz, IBAN: DE25 6729 0100 0000 0045 45.