Universität Heidelberg

Wie Arbeiterkinder an der Hochschule (nicht) unterstützt werden

"Arbeiterkinder" bilden die Ausnahme an Universitäten. Das liegt auch an vielen Vorurteilen.

29.11.2024 UPDATE: 29.11.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Romina Augustin am Uni-Campus im Neuenheimer Feld in Heidelberg: „Ich habe mich oft gefragt, ob ich überhaupt hier hingehöre.“ Foto: Philipp Rothe

Von Martha Pfeifer

Heidelberg. Immer wenn ihre Noten mal nicht perfekt waren, kamen bei Romina Augustin Zweifel auf, ob ein Studium wirklich das Richtige für sie sei. ,,Ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt hier hingehöre", erinnert sie sich. Dass sie überhaupt einmal an einer Universität landen würde, war nämlich alles andere als selbstverständlich. Denn sie stammt nicht aus einem Akademiker-Haushalt – im Gegensatz zu den meisten ihrer Kommilitonen.

Nur 25 Prozent der Kinder aus nichtakademischen Familien beginnen ein Studium, während es in Akademikerhaushalten 78 Prozent sind. Das belegt der aktuelle "Bildungstrichter" des Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Entsprechend unsicher fühlen sich die sogenannten Arbeiterkinder oft an der Universität. Für sie ist der Weg zur Hochschule gepflastert mit Zweifeln und unsichtbaren Barrieren.

Augustins Bildungsweg begann schon anders als der der meisten Studierenden. Nach der Grundschule ging sie nicht auf das Gymnasium, sondern erst auf die Haupt- und dann auf die Werkrealschule. Nach ihrer Ausbildung zur Biologielaborantin arbeitete sie in der Forschung. Ihr damaliger Chef habe ihr dann häufig zu verstehen gegeben, dass sie nur eine "Handlangerin" sei und er für das Denken zuständig. Umso mehr wollte sie selbst den akademischen Weg beschreiten – und es ihm und anderen beweisen.

Nachdem sie ihr Abitur nachgeholt hatte, begann sie ein Studium in molekularer Biotechnologie in Heidelberg. Auch wenn ihre Eltern nicht wussten, was ein Campus oder Hiwi ist, hat Augustin ihr Studium nicht trotz, sondern wegen ihnen geschafft. "Sie haben mir vorgelebt, dass man nie aufgibt", erzählt Romina.

Bis zum Ende ihres Studiums musste sie jedoch zahlreiche Hürden überwinden. Ihr Vater war selbstständig, bis er während Augustins Studium an Krebs erkrankte und arbeitsunfähig wurde. Für so einen Fall gibt es jedoch kein Bafög-Formular. Bis zum Tod ihres Vaters erhielt Augustin also keinerlei finanzielle Unterstützung. Dadurch musste sie sehr viel neben dem zeitintensiven Studium arbeiten. Trotzdem wusste sie an manchen Tag nicht, wie sie ihr nächstes Frühstück bezahlen sollte. "Es bedarf dringend einer Reform, damit auch Menschen, die keinen ,typischen’ Lebensweg beschreiten, Unterstützung erhalten können", fordert Augustin deshalb.

Neben finanziellen Hürden sah sich Augustin auch mit Vorurteilen und fehlender Akzeptanz konfrontiert. Um weniger finanzielle Sorgen zu haben und ein Netzwerk aufzubauen, wollte sie sich für ein Stipendium bewerben. Dafür benötigte sie ein Empfehlungsschreiben von einem Dozenten. "Er sagte mir dann, ich solle froh sein, dass es im Aufnahmeverfahren für mein Studium Sozialpunkte gäbe, sonst wäre ich ja gar nicht erst hier." Trotz einer positiven Rückmeldung im Bewerbungsgespräch erhielt Augustin eine Ablehnung vom Stipendiengeber. Sie hat eine Ahnung, woran das gelegen haben könnte. Denn als sie ihre Bewerbungsunterlagen zurückbekam, sah sie, dass das Empfehlungsschreiben ihres Dozenten mit "Herr Romina Augustin" und einem falschen Geburtsdatum begann.

Mit Problemen wie diesen ist Augustin nicht allein: ,,Die Scham, nicht aus einem akademischen Umfeld zu kommen, belastet viele", erzählt Mariton Magashi von der gemeinnützigen Organisation Arbeiterkind.de Heidelberg (Kontakt: heidelberg@arbeiterkind.de). Besonders stark sei die Unsicherheit, wenn Studierende mehrfach von Vorurteilen betroffen sind, weil sie beispielsweise zusätzlich einkommensschwache Eltern oder Migrationshintergrund haben.

Diesem Problem nimmt sich Arbeiterkind.de an, indem die Initiative gemeinsame Treffen und Mentoring-Programme anbietet. Magashi ist selbst Arbeiterkind und nutzt gerade ein Mentoringprogramm, in dem er von einem Absolventen seines Studiengangs Unterstützung beim Berufseinstieg erhält. Auch der Studierendenrat der Uni Heidelberg hat kürzlich ein Referat gegründet, das sich für Arbeiterkinder einsetzt: ",Den Studierenden, denen diese akademische Sozialisierung fehlt, möchten wir einen niedrigschwelligen und sicheren Raum für Austausch bieten", so Xenia Dederer vom Studierendenrat.

Augustin steht jetzt am Ende ihres Studiums – erfolgreich trotz aller Widerstände. Jungen Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund, die jetzt neu in die akademische Welt eintreten, rät sie: "Mach dir nicht ganz so viel Druck und steh zu deiner Herkunft!"

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.