Erst radikaler Rückbau, jetzt zaghafter Neubau
Das Straßenbahnnetz in Heidelberg schrumpfte bis 1976 gewaltig – Erst die Bahn nach Kirchheim läutete eine Trendwende ein

Von Micha Hörnle
Im Moment dominieren drei Großbaustellen den Westen der Stadt: der Neubau der Straßenbahn durch die Bahnstadt, die Sanierung der Gleise in der Eppelheimer Straße und der Neubau der Eisenbahnbrücke nach Eppelheim. Das alles läuft unter dem Namen "Mobilitätsnetz" und soll den Straßenbahnverkehr stärken - über 40 Jahre nach seinem radikalen Rückbau. Allerdings ist es mit dem Neubau von Strecken so eine Sache - denn der kommt eher schleppend voran, im Moment stehen die Zeichen deutlich mehr auf Sanierung des bestehenden Netzes.
Das Netz in Heidelberg ist momentan 25,2 Kilometer lang. Zu Beginn der sechziger Jahre erreichte es mit 45,2 Kilometern seine größte Ausdehnung. Bis Mitte der siebziger Jahre wurde es durch Streckenstilllegungen - nach Neckargemünd 1962, nach Wiesloch 1973, nach Schwetzingen 1974 und in der Altstadt 1976 auf nur 19,1 Kilometer reduziert. Parallel sank auch die Zahl der Fahrgäste von 35 Millionen im Jahr (1970) auf 20 Millionen (1980).
1981 fasste der Gemeinderat den Grundsatzbeschluss, die Straßenbahn zu retten. Danach wuchs das Netz wieder - im Zuge der bundesweiten Renaissance der Trams: erst durch die neue OEG-Trasse am Hauptbahnhof (1993), dann durch den Lückenschluss in der Berliner Straße zum OEG-Bahnhof Handschuhsheim (1995) und schließlich 2006 durch die neue Bahn nach Kirchheim.
Auch interessant
Doch schon damals zeigte sich, wie schwer dieser bisher einzige große Neubau einer Strecke war: Die Kirchheimer waren gespalten, die Kommunalpolitik setzte mit knapper Mehrheit die 4,4 Kilometer lange Trasse durch den Ortskern durch - nach sechs Jahren Diskussion. Die Kosten wurden anfangs mit 20 Millionen Euro angegeben, am Ende wurden es 45 Millionen.
Ähnliche Schwierigkeiten begleiten auch das heutige "Mobilitätsnetz": Würde es, wie es noch vor fünf Jahren geplant war, in Gänze umgesetzt, wäre das Straßenbahnnetz auf 34,6 Kilometer erweitert worden. Diese knapp zehn neuen Kilometer sollten - samt der Sanierung bestehender Strecken - rund 150 Millionen Euro kosten.
Dazu kam es nicht, aktuell wächst es nur um die vergleichsweise bescheidenen 2,2 Kilometer der Bahnstadt-Bahn. Die vier Kilometer lange Trasse von Eppelheim nach Schwetzingen scheiterte am Plankstadter Bürgerentscheid 2014, die 2,5 Kilometer durch das Neuenheimer Feld am Richterspruch des Verwaltungsgerichtshofs im letzten Jahr - und die Trasse in die Altstadt (rund 1,4 Kilometer lang) liegt auf Eis, weil die ursprüngliche, seit 1998 geplante und 2012 abermals verfolgte Variante durch die Friedrich-Ebert-Anlage hoch umstritten ist.
Am meisten trauern die Heidelberger wohl immer noch der Bahn durch die Hauptstraße nach. Es war die profitabelste Verbindung der Heidelberger Straßen- und Bergbahn AG (HSB): Etwa 22.000 Fahrgäste nutzten täglich die beiden Straßenbahnlinien durch die Hauptstraße, vom Karlstor zum Bismarckplatz. Zum Vergleich: Heute sitzen knapp 24.000 Fahrgäste täglich in der Bahn zwischen Handschuhsheim und Leimen.
Dass am 4. Juli 1976 die letzte "Bembl" durch die Hauptstraße fuhr, lag an zwei Personen, die damals die Verkehrspolitik in Heidelberg bestimmten: dem OB Reinhold Zundel und dem Ulmer Verkehrsprofessor Karl-Heinz Schaechterle. Der entwarf 1970 den Generalverkehrsplan für Heidelberg. Der sah gewaltige Trassen und neue Verkehrswege rund um die Altstadt vor - aber auch den weitgehenden Verzicht auf Straßenbahnen. Die sollten im Grunde nur den Nord-Süd-Verkehr bedienen und ansonsten durch Busse ersetzt werden.
Zundel wiederum war das nur recht, denn die HSB befand sich damals in einer gewaltigen Schieflage, die auch massive Fahrpreiserhöhungen und Fahrplanausdünnungen ab 1971 nicht auffangen konnten - und doch gewaltigen Protest ("Roter-Punkt-Aktion") provozierten. Busse waren, so hieß es, schlicht billiger. Andererseits drängten ihn die Einzelhändler, endlich eine Fußgängerzone, einzurichten.
So kam es auch, allerdings blieb die Erschließung dieser zentralen Achse immer ein ungelöstes Problem, dem mit teils ungewöhnlichen Vorschlägen abgeholfen werden sollte: Aus heutiger Sicht besonders kurios war die Idee des "Transurban", einer Magnetschwebebahn, die unter der Hauptstraße vom Bismarckplatz bis zum Karlstor verkehren sollte. Sogar das Bundesverkehrsministerium hatte eine Vorzeigestrecke für Heidelberg gefördert, dann zog sich 1974 die Firma Krauss-Maffei aus dem Projekt zurück, weil es nicht finanzierbar war.
In gewisser Weise erinnert das an den "Transrapid" - nichts anderes war auch der "Transurban"-, der den Münchner Hauptbahnhof mit dem Flughafen verbinden sollte. Der Grund für dessen Scheitern vor neun Jahren war derselbe: keine Akzeptanz in der Bevölkerung und nicht kalkulierbare Kosten.
2006 schlug der Verkehrsplaner Robert Wittek-Brix eine Elektro-Bahn ohne Oberleitungen für die Hauptstraße vor - ohne Erfolg. Dieses System sei mit den herkömmlichen Systemen des Nahverkehrs nicht kompatibel, hieß es seitens der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV), die seit 2003 im Auftrag der HSB die Heidelberger Straßenbahnen betreibt. Das ist im Grunde auch das Argument für die immer wieder lancierten Pläne, das Neuenheimer Feld mit einer Seilbahn zu erschließen.
2012 brachte Stadtrat Wassili Lepanto wieder eine ganz normale Straßenbahn durch die Hauptstraße in die Diskussion. Dafür gab es keine Mehrheit im Rat - und ebenfalls Widerstand seitens der RNV: Die Lepanto-Bahn könne nur Schrittgeschwindigkeit fahren, sei also viel zu langsam (und nicht förderwürdig), außerdem schade der Bau von barrierefreien Haltestellen mit ihren Rampen und den tiefen Gleisbett-Gräben dem Stadtbild.
Und was bleibt am Ende von fast 50 Jahren Debatten um den öffentlichen Nahverkehr in Heidelberg? Totgesagte leben länger. Im Moment schaut es so aus, als habe die Straßenbahn ein besonders langes Leben - nur ihr Ausbau ist oft zäh, nicht immer populär - und relativ teuer.