Sperrzeiten in Heidelberg

Wird jetzt weiter juristisch gekämpft?

Heute entscheiden die Stadträte des Hauptausschusses nicht-öffentlich über die Nichtzulassungsbeschwerde - Es herrscht keine Einigkeit

01.05.2018 UPDATE: 02.05.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 14 Sekunden

Wie lange darf in der Altstadt gefeiert werden? Darum geht es im Hauptausschuss - wenn die Stadt keine weiteren Rechtsmittel einlegt. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Die Abstimmung wird knapp. Wenn heute der Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderates darüber entscheidet, ob er Rechtsmittel gegen das Sperrzeiten-Urteil des Verwaltungsgerichtshofes (VGH) Baden-Württemberg einlegen will, wird es von der CDU und den Grünen abhängen. Beide haben jeweils drei Sitze in dem Gremium und haben sich nach ihrer Fraktionssitzung am Montag noch nicht eindeutig positioniert.

Bislang durften die Kneipen in der Heidelberger Kernaltstadt in den Nächten auf Freitag, Samstag und Sonntag bis 4 Uhr ihre Gäste bewirten. An den anderen Tagen mussten sie um 2 Uhr schließen. In allen anderen Kommunen Baden-Württembergs gilt, sofern nichts anderes festgelegt ist, dass die Gaststätten werktags bis 3 Uhr und am Wochenende sogar bis 5 Uhr morgens öffnen dürfen.

Obwohl die Heidelberger Regelung im Landesvergleich etwas strenger ist, hat der VGH mit seinem Urteil vom 28. März die Sperrzeit-Satzung nach einer Anwohnerklage gekippt. Als der Gemeinderat im Dezember 2016 neue Kneipenöffnungszeiten beschloss, habe er die Interessen der Anwohner nicht ausreichend berücksichtigt, so das Urteil. Die Mannheimer Richter hatten keine Revision zugelassen, dagegen könnte der Hauptausschuss heute Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgerichtshof in Leipzig einlegen. Die Entscheidung, ob weiter juristisch gekämpft werden soll, fällt heute in nicht-öffentlicher Sitzung.

Eine Umfrage bei den Einzelstadträten und Fraktionen ergab im Vorfeld ein uneinheitliches Bild. Einige haben sich bereits entschieden und unterstützen den Verwaltungsvorschlag, der vorsieht, dass das Urteil akzeptiert wird und die Kneipen künftig werktags um 1 Uhr und in den Nächten auf Samstag und Sonntag um 3 Uhr schließen müssen: Darunter die Grün-Alternative Liste (GAL) und die Bunte Linke (je ein Sitz im Ausschuss). Die Freien Wähler befürworten zwar auch diesen Vorschlag, werden sich aber laut Stadträtin Simone Schenk zur Frage, ob Rechtsmittel eingelegt werden sollen, enthalten.

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Die FDP, mit der die Freien Wähler eine Fraktionsgemeinschaft bilden, setzen sich für die Nichtzulassungsbeschwerde ein. Stadtrat Michael Eckert, der auch Vorsitzender des Heidelberger Anwaltsvereins ist, begründet seine Haltung mit einem Zitat aus dem VGH-Urteil: "Aus den Lärmmessungen ist zu folgern, dass nach Sperrzeitbeginn um 3 Uhr die Intensität der Geräuschemissionen nur geringfügig abnimmt und selbst in den ganz frühen Morgenstunden die Idealwerte der TA-Lärm nicht annähernd erreicht werden." Sowohl die Lärmgutachter als auch das Gericht hätten somit bestätigt, dass die Lärmwerte weitgehend unabhängig von den Sperrzeiten sind. Daher könne seiner Meinung nach keine Änderung der Kneipenöffnungszeiten verlangt werden.

Zu berücksichtigen sei auch, so Eckert, dass es in der Altstadt nach dem Wegfall des Alkoholverkaufsverbots nach 22 Uhr wieder mehr Kioske gibt, an denen sich die Nachtschwärmer mit Alkohol eindecken könnten. Diese seien nicht an die Sperrzeiten gebunden. Wenn Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werde, könnten all diese Fragen in Ruhe diskutiert werden. Denn das VGH-Urteil würde somit nicht rechtskräftig.

Einzelstadtrat Waseem Butt möchte ebenso für die Nichtzulassungsbeschwerde stimmen, wie AFD-Stadtrat Matthias Niebel und "Die Linke" (alle je ein Sitz). Matthias Diefenbacher ("Heidelberger") legt sich zwar nicht eindeutig fest. Er glaubt aber, dass es wohl wenig erfolgversprechend sein wird, Rechtsmittel einzulegen: "Das Thema sollte politisch und nicht juristisch geklärt werden", sagt der Rechtsanwalt. Ähnlich argumentiert SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Schuster. Sie sitzt mit ihrem Kollegen Michael Rochlitz im Hauptausschuss. Innerhalb der SPD gehen die Meinungen, welche Kneipenöffnungs᠆zeiten geeignet sind, weit auseinander. Ein Teil setzt sich für den Verwaltungsvorschlag ein, Andreas Grasser und Mathias Michalski hingegen werben für liberalere Sperrzeiten.

Um sowohl den Anwohnern als auch den Altstadt-Besuchern entgegenzukommen, schlagen die "Heidelberger" einen Kompromiss vor: Die Gaststätten sollten werktags um 1 Uhr schließen, dafür aber am Wochenende nach wie vor bis 4 Uhr öffnen dürfen. Sowohl GAL als auch Freie Wähler setzen sich zwar für den strengen Vorschlag von Bürgermeister Wolfgang Erichson ein, Ausnahmen für die Clubs Cave 54, Tangente und Club 1900 sollten aber möglich sein. Damit wolle man dem Clubsterben entgegenwirken, so GAL-Stadträtin Judith Marggraf. Von den Stadträten, die sich zur Nichtzulassungsbeschwerde geäußert haben, befürworten drei diesen Schritt, vier sind dagegen.

Unterdessen meldet sich die Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda), die die klagenden Anwohner unterstützt, mit einem offenen Brief an Oberbürgermeister Eckart Würzner zu Wort. Nach der Auffassung des Rechtsamtes vom Oktober 2016 rechtfertigten die Lärmmessungen des Büros Genest und Partner sogar noch strengere Sperrzeiten als die jetzt von der Verwaltung favorisierte 1/3-Uhr-Regelung. Liberalere Kneipenöffnungszeiten seien daher rechtswidrig. Wenn der Gemeinderat nun erneut die Rechte der Anwohner verletze, sei Würzner laut Gemeindeordnung dazu verpflichtet, dem Beschluss zu widersprechen.

Die Linda-Sprecher Martin Kölle und Doris Hemler zitieren ebenfalls das VGH-Urteil: "Trotz der zweifelsfreien Berührung der Grundrechte von Touristen, sonstigen Gaststättenbesuchern und Gastronomen wiegt hier das Grundrecht der Anwohner aus Artikel 2, Satz 1, Grundgesetz, erheblich schwerer." In dem Artikel heißt es: "Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit." Auch Linda sehe ein, dass es in einer Stadt Möglichkeiten geben müsse zu feiern: "Dies darf jedoch nicht die Nachtruhe und Gesundheit der Anwohner unzumutbar beeinträchtigen." Auch in anderen Städten wie München hätten sich viele Kneipen und Bars in die Außenbezirke verlagert.

Info: Die öffentliche Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses beginnt heute um 18.15 Uhr im Neuen Sitzungssaal des Rathauses, Marktplatz 10.

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