Offener Brief der Bürgerinitiative "kann als Drohung verstanden werden"
Der Antiziganismusforscher Markus End bewertet im Interview den Offenen Brief einer Bürgerinitiative, die Forderungen an Sinti und Roma stellt.



Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung
Von Klaus Welzel
Heidelberg. Dr. Markus End ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Er war unter anderem Mitglied der Unabhängigen Kommission Antiziganismus.
Herr End, in der Auseinandersetzung um den geplanten Neubau des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma schlagen die Wellen hoch. Wie bewerten Sie den Offenen Brief (unten links zum Download), den jüngst eine Bürgerinitiative und zwei Heidelberger Vereine an den Oberbürgermeister und den Gemeinderat richteten?
Für das Verständnis der Debatte selbst wäre für mich die Frage relevant, wie diese Initiative auf den Bau eines ähnlichen Objekts einer anderen Institution reagiert hätte. Aber um das beurteilen zu können, stecke ich zu wenig drin in den Debatten der Heidelberger Kommunalpolitik. Was aber eindeutig als problematisch zu beurteilen ist, ist der vorletzte Absatz dieses Offenen Briefes, wo dem Dokumentationszentrum die Verantwortung dafür zugeschoben wird, sich als Teil "unserer Gesellschaft" zu bewähren.
Wobei unklar bleibt, was genau damit gemeint ist: die deutsche Mehrheitsgesellschaft oder vielleicht die Heidelberger Altstadt? In jedem Fall markiert die Formulierung "unsere Gesellschaft", im Gegensatz zu "ihrer Geschichte" sprachlich die Vorstellung einer Nichtzugehörigkeit von Sinti und Roma zu dieser Gesellschaft.
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Weiter heißt es in dieser Passage, Sinti und Roma sollten sich "gerade aufgrund ihrer Geschichte" nicht "vom Umfeld abheben und dadurch Konflikte schaffen". Heißt das verklausuliert: Passt Euch an oder es könnte Euch ähnlich ergehen, wie in der Nazi-Zeit? Oder ist das eine zu radikale Interpretation?
In dieser Eindeutigkeit ist das schon eine radikale Interpretation. Aber ja, zunächst wird hier einer Vertretung von Sinti und Roma eindeutig eine Verantwortung für Konflikte zugeschoben. Das ist für sich betrachtet bereits eine Verdrehung von Ursache und Wirkung, die in der Forschung als Schuldumkehr bezeichnet wird. Zudem sind beim Verweis auf "ihre Geschichte" die ersten Gedanken natürlich die NS-Verfolgung und der Völkermord. Selbst, wenn das nicht so intendiert gewesen sein sollte, kann das – insbesondere aus Minderheitenperspektive – sicherlich als Drohung verstanden werden.
Wie sind denn Ihre Erfahrungen, wenn man Menschen auf antiziganistische Vorurteile anspricht: Wie hoch ist die Einsichtsbereitschaft?
Ich bekomme immer mal wieder mit, wie die Reaktionen auf solche Beschwerden ablaufen und in aller Regel werden Vorurteile abgestritten und abgewehrt. Dem liegt ein unzureichendes Verständnis von Antiziganismus zugrunde: Das steht für "rechts", für "Nazis" und das wollen Menschen nicht sein. Zudem besteht die Vorstellung, Menschen seien sich ihrer eigenen Ressentiments prinzipiell bewusst. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ein Großteil antiziganistischer Vorannahmen und Stereotype sind unbewusst und bestehen in der Dominanzgesellschaft als falscher Konsens.
Sind Ihnen ähnliche Fälle in Deutschland bekannt, wo um Baupläne einer Minderheit gestritten wird?
Bei Bauvorhaben kenne ich ähnliche Muster eher von Moscheebauplänen auf die mit rassistischen Ressentiments reagiert wird. Auch in diesen Fällen wird das nicht offen abgelehnt, stattdessen wird sich dann an der Höhe des Minaretts gestört oder an den Muezzin-Rufen. Aber auch rund um den Bau des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin gab es viel Ablehnung. In den letzten Jahren zeigt sich Antiziganismus in Stadtgesellschaften aber eher in den Debatten um vermeintliche "Armutszuwanderung" oder "Problemhäuser".
Einer der beiden Vereine, die den Offenen Brief unterzeichneten, nämlich Alt-Heidelberg, wandte sich 1935 an den damaligen NSDAP-Oberbürgermeister Carl Neinhaus, mit der Forderung "Zigeuner aus der Altstadt fernzuhalten" und "außerhalb der Stadtzentren" unterzubringen, was dann auch geschah. Wie bewerten Sie diesen historischen Kontext – wobei es sich natürlich um völlig unterschiedliche Protagonisten handelt?
Sicherlich sind das unterschiedliche Protagonisten. Der Verein hatte ja – nachdem er von der Bürgerrechtlerin Ilona Lagrene für seine Beteiligung an der Vertreibung Heidelberger Sinti kritisiert worden war – die Aufarbeitung dieses Teils seiner Geschichte bei der Universität Heidelberg selbst in Auftrag gegeben; daraufhin wurde eine Expertise erstellt. Allerdings wäre es gerade im Lichte dieser Geschichte umso wichtiger, die eigenen Worte und das eigene Handeln grundsätzlich zu reflektieren. Besonders aufschlussreich aus meiner Sicht: Auch damals formulierte Alt-Heidelberg die Forderungen "im Interesse der gesamten Altstadt".
Wie kommt man aus der verfahrenen Situation wieder heraus?
Das liegt jenseits meiner Expertise. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass das ohne eine öffentliche Entschuldigung möglich ist.