Senioren und Corona

Das Mathilde-Vogt-Haus zwischen Infektionsschutz und Vereinsamung

"Wenn die Angst nicht alles kaputt macht" - Interview mit einer Angehörigen

26.11.2020 UPDATE: 27.11.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 10 Sekunden
Gudrun und Eckard Baumann am Donnerstag im Mathilde-Vogt-Haus. Foto: privat

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Keine Umarmungen, eingeschränkte Besuchszeiten oder gar Besuchsverbote: Kaum eine Bevölkerungsgruppe leidet so sehr unter der Corona-Krise wie die Bewohner von Pflege- und Seniorenheimen und deren Angehörigen. Mit gutem Willen und etwas Flexibilität müssten die Einschränkungen in Pandemiezeiten aber nicht in die soziale Isolation führen, wie Gudrun Baumann im Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung betont. Die 58-Jährige kümmert sich um ihren 78-jährigen Onkel Eckard Baumann, der an einer seltenen Art von Demenz erkrankt ist und im Kirchheimer Mathilde-Vogt-Haus gepflegt wird.

Frau Baumann, wie geht es Ihnen als Angehörige eines Pflegeheim-Bewohners in der aktuellen Situation?

Was die Besuchssituation im Mathilde-Vogt-Haus angeht, in dem mein Onkel seit zehn Jahren lebt, bin ich sehr zufrieden. Die Heimleitung und die Pflegekräfte haben in meinen Augen den Spagat geschafft zwischen sinnvollem Infektionsschutz und der Vermeidung sozialer Isolation für die Bewohner. Wenn die Angst nicht alles kaputt macht, lässt sich mit der Krise umgehen.

Gab es kein Besuchsverbot?

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Nur ganz kurz. Wenig später haben die Pflegekräfte dann meinen Onkel im Rollstuhl ins Foyer gebracht, sodass ich ihn dort abholen und mit ihm in den Garten fahren konnte. Das wurde schrittweise gelockert. Mittlerweile darf ich ihn, natürlich mit Mund-Nasen-Schutz, von seinem Zimmer abholen. Das Gelände des Mathilde-Vogt-Hauses verlassen wir ohnehin nicht. Ich will meinen Onkel nicht der Gefahr aussetzen, dass er zufällig mit jemandem in Berührung kommt, der das Virus in sich trägt.

Bekommt Ihr Onkel mit, was derzeit los ist?

Ich bin mir nicht sicher. Ich spreche es zwar an, er zuckt dann aber meist mit den Schultern und antwortet nicht. Ich weiß nicht, ob er das als wichtig erachtet.

Nach allem, was Sie schildern: Haben Sie keine Angst, dass das Ansteckungsrisiko auf die leichte Schulter genommen wird?

Auf keinen Fall. Jeder Besucher muss einen Zettel mit seinen Kontaktdaten abgeben. Es herrscht somit ständig Kontrolle, wer ein- und ausgeht. Da es keine eingeschränkten Besuchszeiten gibt, komme ich meist unangemeldet auf der Station vorbei. Auch dabei stelle ich fest, dass das Pflegepersonal immer versucht, sich und die Bewohner bestmöglich zu schützen.

Im Anna-Scherer-Haus in Bammental, das zum gleichen Träger gehört, ist aber das Virus ausgebrochen.

Als ich das gehört habe, habe ich natürlich kurz einen Schreck gekriegt. Aber ich glaube – egal wie sorgfältig das Personal arbeitet und welche Einschränkungen es gibt –, das kann überall passieren.

Auf Körperkontakt müssen Sie aufgrund des Ansteckungsrisikos verzichten, wie schwer ist das für ihren Onkel?

Wenn ich mit ihm im Aufzug runter in den Garten fahre, halte ich ihn von hinten an der Schulter. Dort sieht er uns im Spiegel und strahlt über das ganze Gesicht. Natürlich ist es schade, dass ich ihn nicht richtig in den Arm nehmen kann. Aber das ist in dieser Zeit in Ordnung.

Mit dem Mundschutz hat er auch kein Problem?

Nein, er war Arzt und ist das gewöhnt.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die Adventszeit?

Es ist schlimm, dass die Familie nicht gemeinsam Weihnachten feiern kann. Meine Eltern sind schon sehr alt und bleiben in Bad Mergentheim, auch meine Schwestern, die in Berlin und London leben, können nicht kommen. Darüber bin ich sehr traurig. Mittags werde ich ins Pflegeheim gehen und meinen Onkel besuchen, danach feiern wir alleine mit den Familien meiner Töchter. Leider können wir ihn nicht zu uns nach Hause holen, da wir ihn nicht mehr die Treppen hoch bekommen. Aber zu viel Trubel kann er ohnehin nicht mehr verkraften.

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