Schock, Entsetzen und Angst

"Lockdown Light" trifft Branchen in Heidelberg extrem hart

Leidtragende fürchten teilweise um ihre Existenz - Hoffen auf die Staatshilfen - "Wir fühlen uns als Bauernopfer"

29.10.2020 UPDATE: 30.10.2020 06:05 Uhr 3 Minuten, 5 Sekunden
Das Gloria in Heidelberg. Foto: RNZ-Archiv

Bernhard Fauser (56), Gründer Unterwegstheater: Wir sind baff. Wir haben uns in den letzten Monaten sehr bemüht, Hygienekonzepte zu schreiben und Vorkehrungen zu treffen, wir haben uns selbst und unser Publikum geschult, alle Auflagen zu erfüllen – und jetzt werden wir so vor den Kopf gestoßen.

Fotos: Philipp Rothe / Bettina Diel /  Christian Buck / privat
Wir fühlen uns als Bauernopfer eines von der Politik an den Tag gelegten Aktionismus. Wenn in vier Wochen das Ganze hoffentlich vorüber und die Welle gebrochen ist, was kommt dann? Die vielen angepriesenen Hilfen, sogenannte Sofortprogramme, kommen bei den Selbstständigen und kleinen Theatern nicht an.
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Caroline von Kretschmann (52), Geschäftsführerin Europäischer Hof: Wir sind über die Entscheidungen entsetzt. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten alles getan, um ein sicheres Verweilen der Gäste und Kollegen bei uns im Hotel zu ermöglichen. Wir haben stark investiert in Sicherheits- und Hygienesysteme, etwa in Raumluftreinigungsgeräte. Es gibt laut RKI-Studien kein erhöhtes Infektionsgeschehen in der Hotellerie. Gemeinsam mit der Gastronomie wird diese Branche aber nun erneut extrem – und aus meiner Sicht unverhältnismäßig – belastet. Es müssen jetzt Umsatzausfälle vom Bund kompensiert werden – auch für mittelständische Betriebe über 50 und unter 250 Mitarbeitern.

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Mandana Najafi (27) und Ramella Abuljan (29), Kosmetikstudio Aesthetic Faces: Wir haben erst im Juli geöffnet, weil im März der erste Lockdown dazwischen kam. Jetzt wird uns der Boden unter den Füßen weggezogen. Die ersten zwei Monate waren hart, aber im September lief es dann so gut, dass wir ein neues Gerät bestellen konnten. Das kam vor zwei Tagen. Wir verstehen nicht, dass Friseure öffnen dürfen und wir nicht: Wir achten sehr auf Hygiene, bei Augenbrauenbehandlungen etwa können unsere Kundinnen Maske tragen. Wir arbeiten beide noch in Restaurants, diese Einkommen fallen nun auch weg. Wir hoffen auf die Staatshilfen. Aber die Angst ist groß.

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Inge Mauerer-Klesel (74), Geschäftsführerin der Kinos Gloria/Gloriette und Kamera: Wir haben seit dem 2. Juli wieder geöffnet und geben uns größte Mühe, den Kinobesuch möglichst sicher zu gestalten. Als ich von den neuen Maßnahmen hörte, war ich mittelmäßig deprimiert, zumal auch unsere Mitarbeiter betroffen sind. Es ist schrecklich, trotzdem sehe ich ein: Es geht nicht anders. Wir hoffen, wieder zu öffnen – im Dezember oder gegebenenfalls auch später. Aber manches ist unwiederbringlich. Dazu gehören Sonderveranstaltungen oder auch das Filmfestival. Nach längerer Pause wäre es unter neuer Leitung in die Kinos zurückgekehrt. Alle Heidelberger Kinos wären dabei gewesen. Auch das fällt nun ins Wasser.

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Konstantin Waldherr (38), Erster Vorsitzender der Sängereinheit Rohrbach: Der neue Lockdown trifft auch uns, denn wir konnten jetzt endlich wieder mit Abstand proben – zum Teil im Freien, zum Teil in der Reithalle. Wir haben aber das Glück, dass unser Chorleiter vom Popchor, Christoph Engelsberger, technisch sehr versiert ist. Während des ersten Lockdowns waren von 80 Leuten bis zu 50 in der digitalen Probe. Und wir haben mehrere Youtube-Videos mit tausenden Klicks produziert. Nach den Proben sind wir dann noch vor unseren Bildschirmen gesessen und haben miteinander geredet und etwas getrunken. Solche Zusammenkünfte können wir uns jetzt wieder vorstellen.

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Ole Hake (31), Inhaber und Küchenchef der "Traube" in Rohrbach: Ich bin fassungslos, dass die Gastronomie so in die Mangel genommen wird. Die Flugzeuge hat man in der Urlaubszeit voll gemacht, Gastronomen dagegen haben sich an alles gehalten – trotzdem müssen wir nun schließen. Die Verhältnismäßigkeit fehlt völlig. Jetzt muss ich alle Dienstpläne umschreiben und habe zwei Lehrlinge, die gar nicht in Kurzarbeit gehen können. Im letzten Lockdown ist uns 40 Prozent des Umsatzes weggebrochen. Zwar pachte ich das Lokal von meinen Eltern, aber mit dem Geld werden Kredite bedient. Zum Glück haben wir das ,Take away’-Angebot nach dem letzten Lockdown laufen lassen.

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Marcel Dreikluft (41), Inhaber von Crazy Greg’s Tattoo- und Piercingstudio: Wir sind schockiert über den neuen Lockdown. Schließlich ist der Laden unser Lebensmittelpunkt und unsere Passion. Wir nehmen die Entwicklung der Fallzahlen ernst und haben seit längerem umfangreiche Hygienemaßnahmen ergriffen. Ich glaube nicht, dass eine erneute Zwangsschließung nötig ist. Besser wäre es gewesen, wenn die Politik bereits ab dem Sommer die Kontakte im privaten Bereich strikter beschränkt hätte. Stattdessen sind wir nun die Leidtragenden. Besonders seltsam mutet es an, dass Friseure, die auch körpernah arbeiten, weiter öffnen dürfen. Wir fühlen uns ungerecht behandelt.

Fotos: Philipp Rothe / Bettina Diel /  Christian Buck / privat

Inga Bachmann (48), Liedermacherin: Für mich bedeutet der Lockdown light, dass im November zwei meiner Konzerte ausfallen. Wir Solo-Selbständigen bekommen zwar Hilfen, aber das ist verhältnismäßig wenig, und man weiß nicht, wie es hinterher weitergeht. Es geht um existenzielle Fragen. Ich habe überlegt, mir einen anderen Job zu suchen, aber dann würde ich mein künstlerisches Schaffen aus den Augen verlieren. Also versuche ich, meine Ausgaben zu reduzieren. Meine Lieder schreibe ich für Publikum, das fehlt mir natürlich. Aber in jeder Krise steckt eine Chance; zumindest habe ich Zeit zum Üben.

Protokolle: ani/hob/jola/jul/tml/rie

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