"Baader und Ensslin hatten mit dem SPK nichts am Hut"
Dokumentarfilm zeichnet ein Bild des 1971 gegründeten Sozialistischen Patientenkollektivs - Ursprung in Heidelberg

"Eine völlig unbewältigte Geschichte" - Bei den Arbeiten zum Film "SPK Komplex" musste Gerd Kroske feststellen, dass manche Beteiligte noch immer traumatisiert sind. Foto: Hentschel
Von Arndt Krödel
Heidelberg. Die Geschehnisse von damals gelten als "Deutscher Vor-Herbst": In Heidelberg standen 1971 der Arzt Wolfgang Huber und Mitglieder des von ihm im Jahr zuvor gegründeten "Sozialistischen Patientenkollektivs" (SPK) vor Gericht. Der Vorwurf: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Als solche wurde die antipsychiatrisch ausgerichtete Gruppe eingestuft, die damals herkömmliche Behandlungsmethoden wie Wegsperren und Elektroschocks kritisierte und psychische Erkrankungen auf die kapitalistische Gesellschaftsform zurückführte. Die zeitweise auf 500 Mitglieder angewachsene Therapiegruppe radikalisierte sich und geriet zudem schnell in Verdacht, die terroristische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) zu unterstützen.
In seinem Dokumentarfilm "SPK Komplex" hat der Berliner Regisseur und Autor Gerd Kroske den Strafprozess, der für Huber und seine Frau mit einer mehrjährigen Haftstrafe endete, und dessen Vorgeschichte akribisch aufgearbeitet und neu erzählt. In Interviews äußern sich Weggefährten Hubers, Ermittler, Richter und Journalisten, darunter auch die RNZ-Fotografin Dagmar Welker. Die RNZ unterhielt sich mit dem 60-jährigen Filmemacher, der bei der Preview am Sonntag im Karlstorkino anwesend sein wird.
Herr Kroske, bei der Uraufführung Ihres Films auf der diesjährigen Berlinale waren alle vier Vorstellungen restlos ausverkauft. Hat Sie das überrascht?
Das hat mich komplett überrascht, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, aber auch die Veranstalter nicht. Nach jeder Vorstellung gab es ein Filmgespräch, an dem auch einige Protagonisten des Films teilnahmen wie Carmen Roll, Ewald Goerlich, Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo. An sie wurden viele Fragen gerichtet, vor allem kritische im Hinblick auf den Übertritt in die RAF, sowie psychiatriepraktische Fragen. Das waren lange Gespräche, für die meist die Zeit gar nicht reichte.
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Wie sind Sie eigentlich auf dieses Thema gestoßen? Was hat Sie an diesem Stoff, der ja fast fünf Jahrzehnte zurückliegt, interessiert?
Ich habe mich im Zusammenhang mit meinem 2012 gedrehten Film "Heino Jaeger - Look Before You Kuck" über einen Hamburger Maler und Radio-Kabarettisten, der von Anfang der 1960er- bis Ende der 1990er-Jahre mehrfach in der Psychiatrie war, mit Psychiatriegeschichte beschäftigen müssen. Und da bin ich bei der Lektüre das erste Mal über das SPK gestolpert und habe über einen langen Zeitraum Stoff gesammelt. Als mir dann eine Freundin meiner Partnerin, die die Tochter eines früheren Kollegen von Wolfgang Huber ist, Details aus ihrer Kindheit erzählte - etwa, wie das immer war, wenn sie mit ihrer Mutter auf der Hauptstraße in Heidelberg der Familie Huber begegnete und die Mutter dann verkrampfte - war das ein Auslöser zu sagen: Da musst du jetzt weiter gucken, ob es mehr Material gibt.
Geht es Ihnen bei dem Film auch um eine neue Geschichtsschreibung? Das SPK wurde ja häufig in die Nähe zur RAF gerückt.
Was bisher öffentlich über das SPK kolportiert wird, kann man so eigentlich nicht stehen lassen. Das war mit ein Impuls, weiter nachzuforschen. Es gab Überschneidungen und sicherlich auch Berührungen mit der RAF, aber Baader und besonders Ensslin hatten mit dem SPK überhaupt nichts am Hut, weil sie die eigentlich für kleinbürgerliche Spießer gehalten haben. Carmen Roll erzählt im Film, dass Wolfgang Huber dafür gesorgt hat, dass er in die Sache nicht praktisch involviert wird. Aber der eigentliche Punkt für mich war gar nicht, herauszufinden, wer war nun bei der RAF - das lässt sich heute relativ leicht rekonstruieren. Mich hat vielmehr interessiert, dass Huber ja eigentlich mit seinen Kollegen und Unterstützern eine ganz wertvolle psychosoziale praktische Arbeit in der Psychiatrie gemacht hat. Und: Was waren dann die Umstände, dass plötzlich so eine Radikalisierung stattfand?
Es gibt ja auch das Buch von Christian Pross über die Geschichte des SPK, das 2016 erschien. Wie unterscheiden Sie sich?
Pross kommt zu einem ganz anderen Schluss. Er behandelt das Ganze eigentlich wie einen Heidelberger universitären Konflikt. Das stimmt so aber nicht. Ich habe dieselben Archive aufgesucht wie er, und da liegen noch andere Sachen. Da kriegt man sehr rasch mit, dass in der damaligen Landesregierung unter Hans Filbinger das SPK sehr schnell als linkes Projekt begriffen wurde, und damit war die Zeichensetzung passiert. Es gibt einen Brief aus dem Spätsommer/Herbst 1970, den ich auch im Film zitiere, wo der Landesinnenminister schon überlegt, wie man dieses Projekt zum Scheitern bringen kann. Insofern habe ich das immer als politische Auseinandersetzung wahrgenommen, die da stattgefunden hat. Und wenn man sich die ganzen Prozessunterlagen anschaut, wirkt das heute auch ein bisschen wie eine Vorwegnahme des Stammheim-Prozesses, von der Methodik her, dem Ausschluss von Anwälten und anderem.
Sie haben für Ihren Film viele Zeitzeugen von damals ausfindig gemacht und befragt. Wie aufwendig war das?
Sehr. Erst mal lebt ein Teil der Leute nicht mehr, andere sind so schwer krank, dass man gar nicht mehr mit ihnen kommunizieren kann. Und es ist ja auch nicht so, dass man ins Telefonbuch gucken kann und sich die SPK-Mitglieder herausfischt. Ich habe auch viele Absagen bekommen und dabei auch gemerkt, wie traumatisierend das für manche Leute noch heute ist, eine völlig unbewältigte Geschichte. Man darf das ja nicht unerwähnt lassen, es gab in dem Zusammenhang auch mehrere Suizide, es gab in der Folge Berufsverbote in einer ziemlich hohen Anzahl und Prozesse bis zum Ende der 70er Jahre.
Wolfgang Huber selbst kommt im Film nur in einer stimmlichen Wiedergabe von damals vor. War er für Sie nicht auffindbar?
In Deutschland jedenfalls nicht. Es gab so eine Spur ins Ausland, der ich nachgegangen bin, aber ohne Erfolg. Er will auch nicht gefunden werden. Ich glaube, die viereinhalb Jahre lange Haft ist nicht ohne Folgen geblieben. Ich bin mir aber sicher, dass er über das Filmprojekt informiert ist.
Das Antipsychiatrie-Experiment SPK ist seinerzeit gescheitert. Sehen Sie dennoch Auswirkungen auf die Entwicklung der Psychiatrie in Deutschland?
Dass es gescheitert ist, kann man so gar nicht sagen. Viele Themen, zum Beispiel die Verwicklung der deutschen Psychiatrie in das NS-System, wurden frühzeitig im SPK aufgegriffen. Auch internationale Reformansätze wie etwa die von Ronald D. Laing, David Cooper und Franco Basaglia wurden aufgenommen, deren Bücher standen in den Regalen des SPK. Die gruppentherapeutische Arbeit, die damals völlig neu war, oder dass sich Laien um Patienten kümmern - das ist heute Standard. Auch der systemische Ansatz, dass man gesellschaftliche Ursachen der Krankheit mit einbezieht, ist inzwischen gängige Praxis.
Info: Am Sonntag, 15. April, wird "SPK Komplex" als Preview um 19 Uhr im Karlstorkino, Am Karlstor 1, gezeigt. Regisseur Gerd Kroske und Protagonist Ewald Goerlich werden anwesend sein. Der Film wird zudem am 19., 22., 23. sowie am 24. April gezeigt.