Patrick Henry Village

Die Fehler der Bahnstadt nicht wiederholen

Bürgerinitiative kämpft für "Gartenstadt" - Name soll auch Programm werden

09.01.2018 UPDATE: 10.01.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Umrahmt von A 5 (r.) und B 535 schwebt den "Bürgern für Heidelberg" eine grüne, urbane Vorstadt vor. Die Häuser im Norden sollen stehen bleiben und zu Familien-Domizilen werden. Auch die vielen alten Bäume dort sollen erhalten bleiben. Foto: Kay Sommer

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Als die Stadtverwaltung noch Panik schob und den Kopf in den Sand steckte, hatten die "Bürger für Heidelberg" schon einen Namensvorschlag. Sofort, nachdem die Amerikaner im Juni 2010 mitteilten, dass sie Heidelberg für immer verlassen werden, wurde die älteste Bürgerinitiative der Stadt aktiv und schlug vor: "Gartenstadt" solle das Areal des Patrick Henry Village (PHV) künftig heißen.

Hintergrund

Patrick Henry Village (PHV) wurde ab 1954 binnen zweier Jahre erbaut. In der knapp 100 Hektar großen Siedlung im Südwesten der Stadt lebten Angehörige des US-Militärs, die in Heidelberg und der Region stationiert waren, mit ihren Familien. Die bis zu 18.000

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Patrick Henry Village (PHV) wurde ab 1954 binnen zweier Jahre erbaut. In der knapp 100 Hektar großen Siedlung im Südwesten der Stadt lebten Angehörige des US-Militärs, die in Heidelberg und der Region stationiert waren, mit ihren Familien. Die bis zu 18.000 Bewohner hatten in der "US-Kleinstadt" alles, was sie brauchten: Kino, Bowlingcenter, Läden, Kirche, Post, Skatepark, Minigolfplatz, Zahnarzt, - und einen Burger King. An den Häusern hingen US-Flaggen, an den Garagen Basketballkörbe. Nur eines war anders als in den USA: In PHV durfte man schon ab 18 Jahren Bier trinken, nicht erst ab 21. Als die US-Armee Heidelberg verließ, zogen im September 2013 auch die letzten Bewohner aus PHV aus. Gut ein Jahr später kamen neue: Im Winter 2014 zogen 900 Flüchtlinge in ein schnell aufgebautes Notquartier. Nach und nach wurde ein Teil von PHV zum Registrierzentrum des Landes Baden-Württemberg ausgebaut. Die Vereinbarung von Stadt und Land läuft bis 31. April 2018 - dann muss das Land die Fläche räumen.

Patrick Henry (1736-1799) kämpfte für die amerikanische Unabhängigkeit und war als Gouverneur von Virgina einer der Gründerväter der USA. Berühmt wurde ein Satz seiner Rede am 23. März 1775: "Give me liberty, or give me death!" ("Gebt mir Freiheit oder gebt mir den Tod!"). Später bekämpfte er als Antiföderalist die Verfassung. Zwar sprach Henry sich gegen die Sklaverei aus, war als Miteigentümer einer großen Plantage aber selbst Sklavenhalter. Während die "Bürger für Heidelberg" auch deshalb PHV umbenennen möchten, gibt der renommierte Heidelberger Historiker Prof. Manfred Berg zu bedenken: "Sie finden in der amerikanischen Gründerzeit niemanden, dessen Vorstellungen unseren heutigen Vorstellungen von Gleichheit entsprechen." Auch Jefferson sei Sklavenhalter gewesen - und habe die Sklaverei zugleich als "notwendiges Übel" gesehen, das noch eine Zeit lang ökonomisch notwendig sei. "George Washington ließ seine Sklaven immerhin testamentarisch frei." Berg bezweifelt, ob es sinnvoll ist, "die geschichtspolitischen Debatten der Amerikaner zu importieren". rie

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Siebeneinhalb Jahre später kämpft der Verein immer noch für sein mittlerweile präzisiertes Zukunftskonzept für den neuen Heidelberger Stadtteil. "Wer als Familie mit zwei Kindern noch einen Garten haben will, muss aktuell in den Speckgürtel von Heidelberg", sagt Abraham de Wolf aus dem Vorstand. "In der ,Gartenstadt’ haben wir die Chance, eine urbane Vorstadt für Heidelberger Familien zu planen."

Dass mittlerweile die Internationale Bauausstellung (IBA) die Federführung bei den Planungen übernommen hat, stört die engagierten Bürger nicht. "Wir bringen unsere Vorstellungen einfach in den Prozess ein", so de Wolf. Und die sind schon ziemlich konkret: Die "Bürger für Heidelberg" wollen einen bezahlbaren, ökologischen, modernen, architektonisch vielfältigen Stadtteil für Familien. Was der Bürgerinitiative konkret vorschwebt:

Wieso "Gartenstadt"?  Patrick Henry, nach dem die Amerikaner ihre Siedlung benannt hatten, wird als Vertreter der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung in vielen US-Schulbüchern als Vorbild genannt. Er ließ aber auch sein Leben lang Sklaven für sich arbeiten (siehe Artikel links). Deshalb schlägt die Bürgerinitiative den neuen Namen "Gartenstadt" vor. De Wolf: "Wir verstehen das im Sinne des Architekten Daniel Libeskind, der sagte: ,Die Vorstädte müssen urbaner werden’." Es gehe um eine moderne Auslegung des Begriffs. "Wir kämpfen nicht für Rasen - sondern für Gärten, Bäume und grüne Dächer." Das könne dieses Gelände am ehesten im Vergleich zu den bestehenden Heidelberger Stadtteilen auszeichnen.

Wer soll dort leben? "Wir wollen, dass Heidelberger Familien da ein Haus kaufen können", sagt de Wolf. Die Einzel- und Doppelhäuser im Norden bleiben zu diesem Zweck erhalten. Auch die alten Bäume bleiben stehen. Die Stadt verkauft die Häuser an einzelne Familien - wobei für jedes Kind unter 15 Jahren ein vom Gemeinderat zu bestimmender Abzug vom Kaufpreis gewährt wird. Noch günstiger wird es für die Käufer, wenn sie der Stadt bis 2050 ein Vorkaufsrecht einräumen. So wird langfristig der "familienfreundliche Charakter" des Wohngebiets erhalten. "In zwei Jahren könnten da schon die ersten einziehen", ist sich de Wolf sicher.

Die anderen Bestandsgebäude sowie neue Bauplätze werden zu 40 Prozent für bezahlbares Wohnen reserviert. Die Käufer verpflichten sich, 30 Jahre günstig zu vermieten - als Maßstab gelten die für das Mark-Twain-Village in der Südstadt festgelegten Mietstaffeln. Weitere zehn Prozent der geplanten Wohnfläche werden für Mehrgenerationenhäuser reserviert. Zudem könnten große Firmen aus der Nähe - etwa SAP - Werkswohnungen für ihre Mitarbeiter bauen. "Das entschärft das Konkurrenzverhältnis auf dem Wohnungsmarkt", so de Wolf.

Wie soll die Gartenstadt aussehen? Die Bauvielfalt wird durch die Vergabe an viele verschiedene Bauherren gefördert. "Die Fehler der Bahnstadt dürfen sich dort nicht wiederholen", so de Wolf. Zudem sollen drei moderne, bis zu zehn Stockwerke hohe Wohntürme mit einem internen Wasserkreislauf entstehen. Auf den Dächern aller Gebäude sind Solaranlagen oder Gärten - oder beides. Auch die Fassaden werden grün und ökologisch nutzbar, offensiv gefördert durch die öffentliche Hand. Über den ganzen Stadtteil verstreut gibt es Kleingärten für Anwohner.

An der Westseite - zu den Feldern hin - entsteht ein Streifen mit Obstbäumen. Im Südwesten bleibt eine Fläche von fünf bis zehn Hektar als "Reserve" zunächst unbebaut - und wird für 30 Jahre als Solarfläche verpachtet. Diese könnte Teil eines stadtteilbezogenen Strommarkts unter Einbezug aller Solaranlagen in der Gartenstadt sein. "Gibt es genügend, könnte sich modernste Speichertechnik wirtschaftlich lohnen", sagt de Wolf.

Wird dort auch gearbeitet? Ja, für Firmen sind drei Bereiche vorgesehen: im Südosten das Areal des ehemaligen Einkaufszentrums samt Parkplatz, der Bereich des Ex-Konferenzzentrums sowie an einem 100-Meter-Streifen entlang der Mauer zur A 5. Zur Autobahn hin könnten die Gebäude Mooswände haben, die Feinstaub filtern.

Und wie kommt man hin? Um das Gebiet schnell entwickeln zu können, fahren Busse, bis eine Straßenbahn gebaut ist. Die Busse - natürlich elektronisch betrieben - pendeln nach Kirchheim sowie morgens und abends ohne Stop zum Hauptbahnhof. Gemeinsam mit Firmen, die Werkswohnungen bauen, könnte ein Kleinbusverkehr zur Arbeitsstelle eingerichtet werden. Am Südeingang könnte eine Elektrotankstelle entstehen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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