PH Heidelberg

Echte Experten statt nur Geschichtenerzähler

Kompetent in eigener Sache - Menschen mit geistiger Behinderung geben Seminare für angehende Lehrer

26.06.2018 UPDATE: 27.06.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 10 Sekunden

Niemand kennt sich so gut aus wie sie, wenn es um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung geht: Die neuen Dozenten der Pädagogischen Hochschule. Foto: Rothe

Von Jonas Labrenz

Heidelberg. Hartmut Kabelitz sitzt entspannt in der Pädagogischen Hochschule (PH), wenige Minuten, bevor er mit fünf seiner Kollegen vor eine Gruppe von 15 Studentinnen und Studenten tritt und ein Seminar leitet: "Ich bin wahrscheinlich ziemlich aufgeregt, aber ich hatte früher einen schweren Unfall. Seitdem kriege ich das nicht mehr mit." Wie er gelten auch seine Kollegen als Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Manche sind so geboren, für andere - wie Kabelitz - hat ein Unfall alles verändert. Dass sie Seminare an Hochschulen geben, ist noch einzigartig in Baden-Württemberg.

Die Johannes-Diakonie Mosbach hat das Projekt "Inklusive Bildung" auf den Weg gebracht. Drei Jahre lang werden Kabelitz und seine Kollegen in Vollzeit qualifiziert, um als Experten in eigener Sache Seminare vorzubereiten und durchzuführen. Das hat einen ernsten Hintergrund: "Bisher wird noch mehr über die Menschen gesprochen als mit ihnen", erklärt Stephan Friebe von der Johannes-Diakonie. Das von ihm geleitete Projekt startete 2016. Als Vorbild diente eine ähnliche Qualifizierungsmaßnahme aus Kiel: "Da war schnell klar, dass wir mit ihnen kooperieren", so Friebe. 40 Bewerber meldeten sich auf die Stellenausschreibung - sechs überstanden die dreitätige Auswahlrunde und begannen Ende letzten Jahres mit dem ersten Theoriemodul. Schon während der Qualifizierung sollen sie Seminare geben.

Auch Helmuth Pflantzer ist nicht mehr aufgeregt, wenn er den Studenten erzählt, wie die Dinge aus seiner Perspektive aussehen: "Ich merke, dass es immer besser zu mir passt", erklärt er. In seinem vorherigen Job saß er an der Pforte einer Behindertenwerkstatt und hat sich bereits dort gewünscht, endlich zeigen zu können, wie viel Potenzial in ihm steckt. Wenn er die große Prüfung am Ende der Qualifizierung besteht, wird das für ihn Realität: "Denn wir möchten sie damit in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen", erklärt Friebe.

Die Studenten sitzen im Kreis, ein Flipchart-Papier hängt an der Tafel. Was Arbeit für sie bedeute, fragen Kabelitz und seine Kollegen in die Runde. "Für mich bedeutet Arbeit, etwas zu geben, aber auch etwas zurückzubekommen", antwortet einer der Studenten. "Für mich bedeutet Arbeit auch, Spaß zu haben", erklärt ein anderer. Und das erleben die Experten in eigener Sache auch so: Anna Neff ist Hausfrau, Mutter und muss jeden Tag drei Stunden pendeln, um die Qualifizierung mitmachen zu können. Sie ist extrem motiviert: "Ich möchte einfach die Barrieren in den Köpfen einreißen", erklärt Neff, die oft erlebt hat, dass man ihr nur wenig zutraut.

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Für die angehenden Lehrer im Seminar ist das genau das Richtige, findet Karin Terfloth. "Es ist wichtig, gerade für Leute, die noch keine Kontakte zu Menschen mit Behinderung haben", erklärt die PH-Professorin. Wenn sie vorher die Studenten aufforderte, Kontakte zu suchen, scheiterte das häufig: "Da gibt es viele Vorbehalte", so Terfloth. Sie als Gäste einzuladen, war ebenfalls nicht hilfreich, "denn da war man immer ein bisschen in der Hebammenfunktion", erklärt sie. Jetzt sind Kabelitz und seine Kollegen allerdings keine Gäste mehr, sondern können die Seminare eigenständig organisieren.

"Mich hat das von Anfang an begeistert", freut sich Fatma Gülkopan, die schon die letzten Male im Seminar saß. Die Studentin konnte dort ihren Horizont noch einmal erweitern, als sie etwa gehört hat, dass Kabelitz‘ ganz normales Leben durch einen Unfall verändert wurde: "Das kann uns doch allen passieren. Das hat mich sehr berührt", erzählt die Studentin. Doch das ist nicht alles: "Sie sind kompetent - und nicht irgendwelche Menschen, die aus ihrem Leben erzählen", stellt Terfloth klar.

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