Björn Leuzinger kann auch anders (plus Video)
Der Stadtrat von "Die Partei" will endlich Oberbürgermeister werden. Leuzinger bewegt sich zwischen reinem Klamauk und totalem Ernst.

Von Philipp Neumayr
Heidelberg. Treffpunkt Stadttor Ost, in einem mehrgeschossigen Passivhaus. Hier, im Coworking-Space hat er sein Stadtratsbüro. Er kommt durch eine Glastür, weiße Nike-Sneaker, weite Jeans, verspiegelte Sonnenbrille, das Handgelenk voll mit Festivalbändern, und ein schwarzes Shirt mit weißer Schrift: "Die PARTEI – Eine Schande für die ganze Branche!"
Björn Leuzingers Blick wirkt etwas angespannt. Vielleicht hilft ja ein Spiel zum Reinkommen: Der Reporter beginnt Sätze, Leuzinger vollendet. Mehrmals nennt er dabei das Wort "Bier", durchaus ernst gemeinte Fragen lässt der 33-Jährige lieber unernst beantwortet. So viel ist schon jetzt klar: Ohne Gags kriegt man ihn nicht.
In Weinheim und Mauer trat Leuzinger bereits als Bürgermeisterkandidat an, beide Male verlor er chancenlos. Doch diesmal will er es wirklich schaffen, zumindest sagt er das: Er will Oberbürgermeister Heidelbergs werden. "Der sichere Verlierer", wie er mal in einem Porträt für "Zeit Campus" genannt wurde, weiß natürlich genau, dass er auch dieses Mal ohne Chance ist.
Und trotzdem war er der Erste, der Anfang des Jahres bekannt gab, gegen Amtsinhaber Eckart Würzner antreten zu wollen. "Meine drei Jahre als Stadtrat der Stadt Heidelberg haben mir eines gezeigt: Man muss kein Profi sein, um OB zu sein, es reicht, anwesend zu sein", heißt es in Leuzingers Bewerbung.
Die Satire ist der Markenkern von Leuzinger und seiner Partei "Die Partei". Ihr Aushängeschild, Gründer und Vorsitzender Martin Sonneborn, hat es mit seinen scharfzüngigen Auftritten im EU-Parlament zum Internetphänomen geschafft.
Ist es sehr schwer, witzig zu sein, wenn man auch mit dem Profi-Satiriker Sonneborn verglichen wird? Leuzinger: "Wenn jemand sagt, du bist nicht so lustig, ist das kein Problem. Ich muss nicht Sonneborn sein. Ich bin ich, und ich habe meinen eigenen Stil."
Seit über drei Jahren ist Leuzinger, selbst ernannter "Turbopolitiker", der erste Heidelberger Stadtrat der Satirepartei. Und gleich zu Beginn wirbelte er die Kommunalpolitik mächtig durcheinander. Als die Räte im Oktober 2019 nach jahrelangen Diskussionen über die Zukunft des Betriebshofs für Busse und Bahnen entscheiden, gerät sein Votum bei 24 zu 24 Stimmen zum Zünglein an der Waage.
Was also macht Leuzinger? Überlässt die Entscheidung dem Kronkorken einer Flasche Bier. Darin ist ein "Ja", ein "?" oder ein "Nein" gedruckt. Leuzinger öffnet die Flasche, zieht ein "Ja": Der Betriebshof darf nicht, wie von Stadt und OB Würzner gewünscht, auf dem Ochsenkopf in Bergheim neu gebaut werden.
Hintergrund
Björn Leuzinger
> Alter: 33 Jahre
> Parteizugehörigkeit: Die PARTEI
> Beruf: Chemielaborant bei Reckitt
> Wohnort: Pfaffengrund
> Aufgewachsen in:
Björn Leuzinger
> Alter: 33 Jahre
> Parteizugehörigkeit: Die PARTEI
> Beruf: Chemielaborant bei Reckitt
> Wohnort: Pfaffengrund
> Aufgewachsen in: Heidelberg
> Familienstand: ledig, keine Kinder
> Ausbildung zum Chemielaboranten
> Bisherige Ämter: Ortsverbandsvorsitzender (seit 2015), Kreisvorsitzender (2016-2019), Stadtrat (seit 2019).
Sein Ernst, dass er die Antwort auf dem Bierdeckel nicht vorher schon kannte? "Ich bedanke mich für diese Frage und möchte eine andere beantworten", zitiert er Sonneborn. Und würde er das heute noch mal so machen? "Absolut", sagt Leuzinger. Besser habe man die Entscheidungsunfähigkeit der anderen Parteien nicht offenlegen können.
Die Bier-Nummer bringt Leuzinger viel Kritik ein, besonders im Netz. Die einen zweifeln an seinem Verantwortungsbewusstsein ("Wie soll ich meinem Kind erklären, dass es wählen gehen soll?"), andere nennen ihn "Kasper". Und sogar Würzner äußert sich, bezeichnet Leuzinger als "Gefahr für die Kommunalpolitik".
Trifft ihn, den jungen Stadtrat, so etwas? "Nö", antwortet er. "Ich bereichere das Parlament eher, als dass ich es gefährden würde." Er könne verstehen, dass es Menschen gibt, die ihn kritisieren. Aber in einer Demokratie müsse man akzeptieren, dass er mache, wofür er gewählt worden sei: "Meine Wähler erwarten von mir seriöse ,Partei’-Politik."
Da ist er wieder, der Pointen-Leuzinger. Kaum kurz ernsthaft, schaltet er zurück in den Satire-Modus. Im Stadtrat erntet er dafür auch Augenrollen und Kopfschütteln, etwa, wenn er mal wieder fordert, das Airfield zum Zeppelinflugplatz zu machen, mehr Bierbrunnen anzulegen oder das Schloss zum Dom umzubauen.

Doch es gibt auch den ernsthaften Leuzinger. Den, der mehr kulturelle Angebote für junge Menschen fordert. Der sich für Heidelberger einsetzt, die weniger Chancen haben als andere. In der Kommunalpolitik findet man deshalb auch Menschen, die seine Arbeit schätzen. Die Grünen-Politikerin Marilena Geugjes etwa, die inzwischen mit Leuzinger befreundet ist, nannte ihn mal einen "verdammt guten Politiker", der richtige Politik mache, wenn es ihm wichtig sei.
Leuzinger, das weiß man, ist einer, der sich gründlich vorbereitet und tief in Themen einarbeitet. Seine Wortbeiträge in den Ratssitzungen: immer irgendwo zwischen reinem Klamauk und totalem Ernst. Spätestens wenn es zur Abstimmung geht, ist aber in der Regel klar, was ihm wirklich wichtig ist.
Wie entscheidet er, ob er zu einem Thema ernst spricht oder nicht? Leuzinger zögert kurz: "Da würde ich jetzt zu sehr hinter die Kulissen blicken lassen", grinst er. "Ich weiß schon ganz genau, was ich tu."
Über den Diebsweg geht es hinein in den Pfaffengrund. Im alten Arbeiterstadtteil wählen die meisten bis heute Rot. Auch Leuzinger, der bis auf die ersten sechs Monate seines Lebens immer hier gelebt hat, wählte anfangs SPD. Bis er irgendwann merkte, dass das nichts bringe, so erzählt er es. 2015 besuchte er erstmals einen "Die Partei"-Stammtisch, kurz darauf führte er bereits den Ortsverband. Heute wendet er manchmal bis zu 150 Stunden im Monat allein für seine Arbeit als Stadtrat auf.
Seit fast 20 Jahren engagiert er sich daneben für die Heidelberger Feuerwehr. Außerdem arbeitet er in Vollzeit als Chemielaborant für das Pharmaunternehmen Reckitt.
Sein Rückzugsort ist der Pfaffengrund. "Einfach Heimat", wie Leuzinger sagt. Er fühle sich sehr wohl hier. Auf dem Heinrich-Menger-Weg blickt man zur Rechten in kleine idyllische Gärten. Leuzinger schätzt das viele Grün im Stadtteil. "Das hat fast so etwas wie Gartenstadt-Style."
Auch er, der ein kleines Reihenendhaus bewohnt, hat einen Garten – den er aber nicht groß pflegt. Viel lieber liegt Leuzinger auf der Couch, manchmal lädt er auch zu Partys ein. Von denen könne er aber nicht erzählen, denn: "Was beim Leuzinger passiert, bleibt auch beim Leuzinger." Wenn er nicht gerade zu Hause feiert, dann oft in der "Villa Nachttanz". Dort steht er auch hinter der Bar.
Da liegt sie jetzt vor einem, die alte Landebahn der US-Army am Airfield – für Leuzinger und seine Partei der ideale Zeppelinflughafen. Auf dem Asphalt steht, wie bestellt, ein einzelner Stuhl. Er nimmt Platz, lächelt geduldig in die Kamera. Um ihn herum: trockene Felder und verdorrtes Gras. Die Dürrefolgen sind auch hier nicht zu übersehen.
Satire als Antwort auf existenzielle Bedrohungen wie den Klimawandel – geht das noch? "Es wird zunehmend schwieriger, da lustige Antworten zu finden", sagt Leuzinger ernst. Jetzt erkennt man ihn glasklar, den Desillusionierten. Einer krisengeschüttelten Welt anders als mit Satire und Zynismus begegnen? "Ich bewundere Leute, die das schaffen", sagt er. "Also ich kann es nicht."
Leuzinger teilt gerne gegen seine Kollegen im Gemeinderat aus, öfter gegen Liberale und Konservative – aber auch die Grünen, die ihm eigentlich näher stehen, kriegen ihr Fett weg. So kritisierte er die größte Fraktion offen, als sie sich dafür aussprach, das Ankunftszentrum für Geflüchtete auf die Wieblinger Wolfsgärten zu verlegen. Diese "Fehlentscheidung", wie Leuzinger sie nennt, habe die Stadt einen Bürgerentscheid und damit viel Geld gekostet.
Hintergrund
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
Mehr zur Heidelberger OB-Wahl 2022 finden sie auf www.rnz.de/obwahlhd.
Der 33-Jährige betont aber auch, dass das Gremium gut zusammenarbeite, er gerade mit den jüngeren Kollegen gerne mal ein Bier trinke. Und selbst OB Würzner, den er verbal oft hart in die Mangel nimmt, sieht er differenziert. Klar hätte dieser etwa beim Klimaschutz mehr aufs Tempo drücken können – "aber ich erkenne ihm an, dass er bei einigen Dingen durchaus Vorreiter gewesen ist", sagt Leuzinger. "In Heidelberg", findet er, "geht es uns unglaublich gut."
Einkehr im Biergarten Himmelswiese, zwischen Gartenzwergen und Loungemöbeln. Hier kennt und grüßt ihn sogar die Bedienung. Leuzinger bestellt Jägerschnitzel mit Salat, dazu ein Weizen-Bier. Nach zwei Stunden verlässt ihn jetzt etwas der Drang, witzig sein zu müssen. Er genießt einfach sein Essen, erzählt von seinen Urlauben. Davon, dass er irgendwann jedes Land der Erde gesehen haben möchte. Oder von seinem Kater Bambam, der schon ein tolles Leben habe ("16 Stunden am Tag schlafen und dann der Chef im Haus sein").
Kurz vor dem Abschied wechselt er aber, na klar, noch einmal in die Satire. Er werde derjenige sein, der Heidelbergs "Herrscher" Würzner stürze, verkündet Leuzinger. Sein Wahlziel: zwischen 51 und 100 Prozent der Stimmen. Oberbürgermeister mit Mitte 30 – was bitteschön soll danach eigentlich noch kommen? EU-Parlament à la Sonneborn? "Warum nicht?" Leuzinger muss lachen, ein bisschen auch über sich selbst.