Heidelberger Kreative rufen mit offenem Brief um Hilfe
Offener Brief aus dem Dezernat 16 an Ministerpräsidenten Kretschmann - Die Kreativen wollen gehört werden - Hilfen müssen jetzt ankommen - "Wir machen uns Sorgen"

Von Anica Edinger
Heidelberg. Der Lockdown dauert an. Ein Ende der Pandemie? Es ist noch nicht in Sicht. Aus verschiedenen Branchen mehren sich deshalb die Hilferufe. Jetzt melden sich auch die Kultur- und Kreativschaffenden aus dem Dezernat 16 zu Wort. In einem offenen Brief wenden sie sich an Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann höchstselbst.
"Wir machen uns große Sorgen", heißt es im Brief, unterschrieben von rund 30 Heidelberger Künstlern und Kreativen. Denn: "Der zweite Lockdown trifft neben Gastronomie und Tourismus erneut die schwer angeschlagene Kulturbranche, den Veranstaltungsbetrieb sowie die Klein- und Kleinstunternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft." Gerade diese Unternehmen hätten es in der Krise schwer, sich Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Deshalb ist das auch ein Anliegen des offenen Briefes: endlich gehört zu werden.
Das Bewusstsein für die enormen Herausforderungen im Kulturbetrieb wachse zwar in der Gesellschaft. Nur: "Die Konzentration im öffentlichen Diskurs liegt auf dem kulturellen Gut, das hier verloren geht. Dies aber ist eine verengte Sicht, denn wir sprechen hier nicht nur von Kultur und Tradition im ,Land der Dichter und Denker‘, sondern von einem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor." 226.618 Erwerbstätige in 30.621 Unternehmen waren etwa im Jahr 2017 in der Kultur- und Kreativwirtschaft allein in Baden-Württemberg aktiv. Der Gesamtumsatz: rund 24,4 Milliarden Euro.
Auch in Heidelberg ist diese Branche ein bedeutender Wirtschaftszweig – und sie ist zu Hause im Dezernat 16 in Bergheim. Wie wichtig das Zentrum ist und was es für die Stadt bedeutet – das weiß vor allem Philipp Eisele, der Zentrumsmanager. "Viele erfolgreiche Start-ups haben bei uns angefangen, sind zu groß geworden fürs Dezernat, aber haben sich trotzdem in Heidelberg verwurzelt und sind mit ihren Unternehmen geblieben." Frizle-Spätzle etwa. "Sie haben eine alte Metzgerei in Ziegelhausen gekauft", erklärt Eisele. Von dort aus wird nun der Spätzle-Teig produziert in Kombination mit der Verpackung, die direkt als Spätzlepresse dient. Ein Erfolgsprodukt: Frizle-Spätzle gibt es mittlerweile in fast jedem großen Supermarkt in Heidelberg.
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Hintergrund
> Das Kultur- und Kreativwirtschaftszentrum Dezernat 16 ("D 16") in der ehemaligen Feuerwache zwischen Czernyring und Emil-Maier-Straße wurde im Jahr 2013 gegründet. Betreiber sind die "Heidelberger Dienste".
> Die Zwischennutzung wurde damals vom Gemeinderat
> Das Kultur- und Kreativwirtschaftszentrum Dezernat 16 ("D 16") in der ehemaligen Feuerwache zwischen Czernyring und Emil-Maier-Straße wurde im Jahr 2013 gegründet. Betreiber sind die "Heidelberger Dienste".
> Die Zwischennutzung wurde damals vom Gemeinderat bis Ende 2018 befristet. 2017 beschlossen die Stadträtinnen und Stadträte schließlich, die Zwischennutzung um weitere fünf Jahre, bis Ende 2023, zu verlängern.
> Auf 3000 Quadratmetern vermietbarer Fläche arbeiten im D 16 derzeit in zwei verschiedenen "Co-Working-Spaces" Kultur- und Kreativschaffende. Es gibt insgesamt 270 Arbeitsplätze, rund 50 Unternehmen sind aktuell in der ehemaligen Feuerwache angesiedelt. Es handelt sich dabei vorwiegend um Klein- und Kleinstunternehmen sowie Solo-Selbstständige.
> Ein Podcast gibt es ab sofort für alle, die einen speziellen Einblick hinter die Kulissen des D 16 und die Kreativwirtschaft bekommen wollen. Produziert wird er von den Heidelberger Diensten, zu finden ist er im Internet unter www.dezernat16.de/podcast (ani)
Damit sich kleine Unternehmen, die einmal groß werden könnten, weiterentwickeln können, bräuchten sie Unterstützung. Die Novemberhilfen seien zwar ein guter Schritt. Aber: "Es gibt viele Unternehmen, die haben keine Vorjahresumsätze, die sie vorweisen können", berichtet Eisele. Doch genau das ist der Knackpunkt an den Novemberhilfen: Es handelt sich dabei um Zuschüsse in Form von 75 Prozent des entsprechenden durchschnittlichen Umsatzes im November 2019. Und um sie zu beantragen, benötigt man einen Steuerberater. Viele Kleinstunternehmer und Solo-Selbstständige haben aber keinen. So wie Janina König von "Petricor".
In ihrem Atelier im Dezernat 16 fertigt König Leder-Handtaschen. Die Hilfen im Frühjahr seien gut gewesen, berichtet sie. "Die Novemberhilfen sind aber nichts für mich", sagt die 28-Jährige. Sie habe keinen Steuerberater – "und ich kann mir auch keinen leisten". Sie habe bisher zwar immer versucht, das Positive aus der Situation zu ziehen. Doch je länger der Lockdown dauere, desto schwerer werde das. "Man merkt jetzt, dass man keine Leute mehr erreicht, dass sie weniger Geld ausgeben wollen." Für König besonders wichtig: Designmärkte, auf denen sie ihre Waren feilbieten kann. Diese sind im Corona-Jahr 2020 aber weggefallen.
In einer ganz anderen Branche arbeitet Julia Schönborn: Sie macht mit ihrer Agentur "Leading Edge" Kommunikation insbesondere im Bereich der Kreativwirtschaft, etwa für Künstlerinnen und Künstler. "Unsere Auftragslage ist unfassbar stark eingebrochen", so Schönborn. Sie und ihr Partner seien zwar in der Lage gewesen, ihre Kosten für das Unternehmen so zu reduzieren, dass sie es wohl schaffen, durch die Krise zu kommen. "Aber wir machen uns Sorgen um die Veranstaltungsbetriebe." Gerade dort seien Unsicherheit und Angst groß. Das sei auch im Dezernat 16 zu spüren, wo nicht nur Veranstalter, sondern etwa auch Veranstaltungstechniker oder Musiker ein Zuhause haben.
Auch für sie müssten die Hilfen von Bund und Land nun ankommen, sagt Schönborn. Deshalb hätten sie den offenen Brief auch mit unterschrieben – "um zu unterstützen". Ganz im Geiste des Zusammenhalts im Dezernat 16. Denn trotz Krise und Homeoffice sagt Schönborn: "Das tolle Miteinander gibt es dort immer noch."



