Warum die Grünen jetzt überall Windräder aufstellen wollen
Mehr Klimaschutz, mehr bezahlbarer Wohnraum und mehr Teilhabe: Die Grünen-Vorsitzende Beate Deckwart-Boller setzt im Wahlkampf stark auf soziale Themen.

Von Denis Schnur
Heidelberg. Die Atempause für die Heidelberger Kommunalpolitik ist kurz. Nach der Oberbürgermeisterwahl im vergangenen Herbst folgt schon am 9. Juni 2024 die Gemeinderatswahl. Wie bereiten sich die Parteien und Wählerinitiativen darauf vor? Wie weit sind sie mit der Aufstellung der Listen und mit ihren Programmen?
In der RNZ-Serie "Der Sommer vor der Wahl" hat sich die Stadtredaktion bei den Kreisvorsitzenden und Vorständen umgehört. Den Treffpunkt durften die Interviewten selbst aussuchen.
Beate Deckwart-Boller traf die RNZ beim Quartiersmanagement Hasenleiser. Die Leiterin der Verfahrens- und Sozialberatung für Flüchtlinge der Caritas Karlsruhe saß von 2009 bis 2019 selbst im Stadtrat, war zudem Fraktionsvorsitzende. 2019 trat sie nicht mehr an. Seit April 2023 führt sie den Grünen-Kreisverband gemeinsam mit Florian Kollmann.
Frau Deckwart-Boller, warum treffen wir uns beim Quartiersmanagement im Hasenleiser?
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Weil das Quartiersmanagement symbolisch steht für das, was ich gerne in jedem Stadtteil hätte. Man kann einfach reingehen, wenn man mit jemandem reden will. Man bekommt Informationen über seinen Stadtteil, kann andere Leute treffen. Normalerweise stehen hier auch ein Bücherregal und ein Sofa. Ich wünsche mir, dass wir solche niederschwelligen Treffpunkte sukzessive ausbauen.
Bisher war das eher eine Maßnahme in Stadtteilen, die als problematisch wahrgenommen wurden – neben dem Hasenleiser etwa Boxberg und Emmertsgrund oder Bergheim West.
Ich glaube, wir brauchen solche Punkte in Zukunft mehr – in allen Stadtteilen. Die Leute sind verunsichert durch Krieg, durch Klimawandel, durch viele Ereignisse. Sie brauchen Gesprächsangebote, Menschen, mit denen sie reden können. Wir brauchen auch mehr Unterstützung für Leute, die nicht mehr mitkommen – finanziell, psychisch oder anderweitig.
Eigentlich verbindet man Ihre Partei weniger mit sozialen Themen – sondern vor allem mit Klimaschutz.
Das gehört für mich zwingend zusammen. Klimaschutz alleine klappt nicht. Es reicht nicht, Maßnahmen in die Wege zu leiten, ohne zu schauen, wie die Leute damit klar kommen und ob das den sozialen Frieden berührt. Auch deshalb sind wir heute hier. Als Grüne einen Ort vorzuschlagen, wo es grün ist, wäre zu einfach gewesen. Das hier – das Soziale – ist eine Herausforderung für die Grünen.
Quartiersmanagements alleine werden nicht alle sozialen Probleme lösen.
Das ist auch nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was wir im Wahlprogramm haben werden. Dazu kommt die Familienfreundlichkeit, die kinderfreundliche Kommune – alles, was wir eh schon haben. Aber wir dürfen da auf keinen Fall nachlassen. Wenn wir uns nur auf den Klimaschutz konzentrieren, verlieren wir den Blick auf die Leute.
Was werden neben dem Sozialen die wichtigen Themen in Ihrem Wahlprogramm sein?
Wir haben drei Schwerpunkte: natürlich der Klimaschutz, außerdem bezahlbares Wohnen und eben soziale Teilhabe.
Gerade beim Wohnen hat die Stadt nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. Oder werden Sie uns mit neuen Maßnahmen überraschen?
Das ist tatsächlich schwierig. Wir haben mit der GGH ein sehr starkes Instrument. Die hat schon jetzt viele Wohnungen in der Stadt und stellt bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung. Das ist das stärkste Schwert, das wir haben. Aber da sehen wir noch Luft nach oben – vor allem bei der Entwicklung neuer Quartiere.
Ein anderes wirksames Instrument könnte eine aktivere Bodenpolitik sein.
Die fordern wir ebenfalls. Die Stadt sollte überhaupt kein Grundstück mehr verkaufen, weil wir doch inzwischen alle erkannt haben sollten, dass wir am besten gestalten können, wenn uns der Boden gehört. Als ich vor 15 Jahren im Gemeinderat angefangen habe, war das noch total verpönt. Mittlerweile ist das auch für die Mehrheit des Gemeinderates und die Stadtverwaltung interessanter geworden. Bei der Entwicklung von Patrick-Henry-Village sollten wir nun nicht die gleichen Fehler machen wie an anderen Stellen. Aber wir wissen auch, dass das eine teure Geschichte ist.
Was wollen Sie beim Klimaschutz anders machen – oder sind Sie der Meinung, das läuft schon gut?
Der Weg ist der richtige. Was ich mir jedoch schneller vorstelle, ist der Ausbau der Fernwärme. Da sind wir schon gut, aber das geht noch besser. Dafür braucht es natürlich mehr Geld. Die Flusswärme wollen wir ebenfalls schnell nutzen. Und wir werden auch an Windrädern nicht vorbeikommen.
Auch auf dem Lammerskopf?
Da haben wir wenig Einfluss, das Areal gehört ja Forst BW. Aber ja: Wir sind dafür, dass dort Windräder gebaut werden. Ich glaube, die Zeit haben wir nicht mehr, um über Flächen zu diskutieren.
Als Sie noch im Gemeinderat saßen, wurde viel über Flächen diskutiert.
Aber da wurde letzten Endes leider alles abgewehrt durch den Nachbarschaftsverband und den Gemeinderat. Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Wir müssen jetzt überall Windräder aufstellen.
Ihre Partei stellt derzeit ein Drittel des Gemeinderates. Eigentlich hätte es leicht sein müssen, viel mehr umzusetzen.
16 Leute sind leider noch keine Mehrheit. Und die Fraktion hatte es extrem schwer. Auch wegen Corona, wo vieles nicht so laufen konnte. Das ist natürlich keine Ausrede. Aber Mehrheiten zu finden, ist im jetzigen Gemeinderat für die Grünen sehr schwierig. Da haben wir vieles, was geplant war, nicht durchsetzen können. Das bedauere ich auch sehr.
Woran denken Sie?
Zum Beispiel an die Mittermaierstraße, die verkehrstechnisch eine Katastrophe für Fußgänger und Radfahrer ist. Das sind Projekte, die schon ewig in der Pipeline sind. Jetzt soll irgendwann der Verkehrsversuch kommen. Aber es ist immer noch sehr mühsam, so etwas durchzusetzen. Bei solchen Dingen hätten wir mehr erreichen können, wenn es leichter gewesen wäre, Mehrheiten zu finden.
Glauben Sie, dass das nach der nächsten Wahl einfacher wird?
Ich würde mir zumindest wünschen, dass alle sich bemühen, zusammenzuarbeiten. Die Fraktionen müssen sich im Klaren sein, was für eine Verantwortung sie haben für die Demokratie. Der Wind wird rauer. In Heidelberg vielleicht noch nicht so, aber es gibt genügend Beispiele in Deutschland. Ich komme aus Sachsen. Ich weiß, was dort los ist. Man ist natürlich im Konkurrenzkampf. Aber wenn es drauf ankommt, sollte man zusammenhalten.
Welche Erfolge hat Ihre Fraktion denn in den vergangenen vier Jahren erzielt?
Ein paar klimapolitische Erfolge haben wir schon erzielt, auch wenn die noch nicht so offensichtlich sind. Hinzu kommt eine Kleinigkeit, die ich – passend zum Quartiersmanagement – gerade in nächster Zeit sehr wichtig finde: die Stadtteilbudgets. Ich glaube, das kann einen Stadtteil noch einmal stärken, wenn kleinteilig Geld da ist, um Projekte umzusetzen oder Veranstaltungen zu organisieren.
Glauben Sie, dass Sie nach der Wahl weiter eine so große Fraktion stellen?
Die Hoffnung haben wir schon, dass wir wieder die stärkste Fraktion stellen.
Auch, dass Sie die jetzige Größe mit 16 Räten beibehalten?
Die Hoffnung ist natürlich da.
Und die Erwartung?
Das ist auf jeden Fall schwer zu erreichen – aber wir werden dafür kämpfen.
2019 fiel die Wahl in eine bundespolitisch günstige Zeit für die Grünen. Aktuell sieht es ganz anders aus – die Ampel kommt in Umfragen nicht gut weg. Befürchten Sie, dass sich das bei der Kommunalwahl durchschlägt?
Klar. Ich glaube auch, dass das 2019 ein richtig guter Zeitpunkt war. Aber trotzdem werden wir im Wahlkampf daran arbeiten, dass wir keine großen Verluste einfahren. Aber das liegt nicht nur in unseren Händen. Und die Bundespolitik ist gerade sehr schwierig für uns.
Mit welchen Namen werden Sie in den Wahlkampf ziehen?
Wir führen gerade Gespräche mit Leuten, die an einer Kandidatur interessiert sind. Dann machen wir einen Vorschlag. Letztendlich entscheidet die Mitgliedschaft am 12. November. Wir wollen eine durchmischte Liste mit neuen Gesichtern und Erfahrenen, auf der alle Altersgruppen gut vertreten sind, Männer und Frauen sowieso. Und die Grüne Jugend soll auch dabei sein.
Kürzlich ist "Boulevard Bou" in Ihre Fraktion nachgerückt. Wird man wieder prominente Namen auf der Liste finden?
Dazu kann ich jetzt nichts sagen.
Das ist kein "Nein".
(lacht)
Aber Sie können uns sagen, ob Sie selbst noch einmal antreten.
Nein. Da ich in Karlsruhe arbeite, schaffe ich das zeitlich nicht.
Hintergrund
> Kommunalwahl 2019:
31,9 Prozent
> Sitze im Gemeinderat:
16 von 48 (bis 2019: 10)
> Fraktionschef:
Derek Cofie-Nunoo
> Weitere Stadträte:
Anja Gernand, Christoph Rothfuß, Ursula Röper,
> Kommunalwahl 2019:
31,9 Prozent
> Sitze im Gemeinderat:
16 von 48 (bis 2019: 10)
> Fraktionschef:
Derek Cofie-Nunoo
> Weitere Stadträte:
Anja Gernand, Christoph Rothfuß, Ursula Röper, Marilena Geugjes, Felix Grädler, Sahin Karaaslan, Dorothea Kaufmann, Nicolá Lutzmann, Kathrin Rabus, Luitgard Nipp-Stolzenburg, Julian Sanwald, Anita Schwitzer, Manuel Steinbrenner, Bülent Teztiker, Frank Wetzel