Heidelberger Klangforum

"Die junge Generation geht klanglich schon wieder auf ganz neuen Wegen"

Das Heidelberger Klangforum feiert 25. Geburtstag - Manager Dominique Mayr über zeitgenössische Musik, ein Konzert in der Elbphilharmonie und das Geld

18.08.2017 UPDATE: 19.08.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 38 Sekunden

"Alles, was unbekannt und ungewohnt ist, fordert dazu heraus, sich damit auseinanderzusetzen." - Dominique Mayr, Manager des Klangforums Heidelberg, wirbt im RNZ-Interview für die Offenheit gegenüber experimenteller und Neuer Musik. Foto: Rothe

Von Birgit Sommer

Sie waren international immer bekannter als regional, die professionellen Sänger und Instrumentalisten des Klangforums Heidelberg. Doch in den letzten Jahren haben sich die "Schola Heidelberg" und das auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisierte "ensemble aisthesis" richtig in Szene gesetzt. Das hat zwei Gründe: Dirigent Walter Nußbaum kam aus Hannover zurück und konzentriert sich ganz auf Heidelberg, und Dominique Mayr hat vor vier Jahren das Management übernommen. Zum 25-jährigen Bestehen 2017 absolvieren die Künstler ein großes Programm, wie Dominique Mayr im RNZ-Interview sagt. Im Mittelpunkt steht das Festival "Diktaturen" vom 25. bis 29. Oktober.

Herr Mayr, das Klangforum Heidelberg ist vor allem für zeitgenössische Musik bekannt, auch wenn beispielsweise die Sänger der "Schola Heidelberg" öfter mal Alte und Neue Musik verbinden.

Das Interessante ist, dass wir international mit Neuer Musik unterwegs sind, aber die Kombination mit Alter Musik stößt dann auf Interesse. Bei den Festspielen in der Tonhalle Zürich vor drei Jahren war der Intendant so begeistert, dass wir ein Jahr später zu einem ganzen Renaissance-Tag eingeladen wurden.

Warum haben viele Menschen solche Probleme mit der Atonalität der Neuen Musik?

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Alles, was unbekannt und ungewohnt ist, fordert dazu heraus, sich damit auseinanderzusetzen, Kunst, Musik, Literatur - da zum Beispiel der Poetry Slam. Es ist eine neue Herangehensweise, eine neue Denkweise in allen Bereichen der Kultur. Wir haben beispielsweise immer mehr Künstler, die mit Videotechnik arbeiten. Auf der Leinwand passiert da etwas, das mit den Musikern vorne interagiert. Weswegen ich gar nicht glaube, dass die Leute mit Neuer Musik nichts anfangen können, sondern sich erst damit beschäftigen müssen.

Nicht nur Klassik wird als harmonisch empfunden?

Das kommt darauf an, wie ich sozialisiert bin: Zur Klassik der Großeltern kommen ja die Popmusik der Eltern und meine eigene Musik. Außerdem haben Bach, Beethoven und Mozart zu ihren Zeiten auch provoziert, sie haben genauso angefangen, zu experimentieren. Man müsste einmal im Konzert gegenüberstellen, was damals neu war, was heute neu ist ...

Wie definieren Sie moderne, zeitgenössische Musik?

Für mich ist Neue Musik, was heute und jetzt entsteht. Alles, was nach Klassik und Romantik kam, heißt erst mal zeitgenössisch, auch wenn viele der Komponisten inzwischen nicht mehr am Leben oder zumindest sehr alt sind. Die junge Generation geht klanglich schon wieder auf neuen Wegen.

Auf welchen?

Sie programmieren etwa die Rechner vor, schicken Stimmen in Echtzeit in andere Räume, arbeiten mit visuellen Komponenten. Auch wir beim Klangforum werden viel aktiver in theatralen Zusammenhängen und gehen deutlich weg vom reinen Konzertgenre.

Ist das Musik von Spezialisten für Spezialisten?

Es ist immer Pionierarbeit. Der erste nimmt eine gewisse Klientel mit, andere Zuhörer setzen sich erst mal ab. Ich sehe aber oft in Konzerten, dass beim zweiten Hören andere Sachen wahrgenommen werden. Beim Verständnis kommt es auch auf den Kontext an, zum Beispiel, wenn ein Komponistengespräch die Arbeit näherbringt.

Deshalb setzen Sie ja auch auf die Musikvermittlung in Schulen.

Wir versuchen, jedes Jahr ein Projekt anzubieten. Letztes Jahr ging es um unser Projekt "Heimathen". Die Klangcollage der Thadden-Schüler dazu war ein Riesenerfolg. Sie hatten asiatische Instrumente dabei, man hörte ein deutsches Volkslied heraus - die haben sich richtig Gedanken gemacht. Dieses Jahr ist es das Thema "Diktaturen".

Ein sehr aktuelles Thema für ein Festival.

Wir haben das vor drei Jahren geplant und unsere Komponistenaufträge vergeben. Es war nicht abzusehen, dass es in Europa einen solchen Rechtsruck geben würde. Manche Leute fragen mich ja: Könnte man das 25-jährige Bestehen nicht fröhlicher feiern?

Und was sagen Sie denen?

Das Klangforum steht auch dafür, dass es Themen aufgreift, die uns interessieren und an denen wir uns abarbeiten wollen: Jerusalem, Heimaten, Diktaturen. Dass wir leider aktuell sind, ist auf der einen Seite sehr bitter. Aber wir können auch Aufmerksamkeit erzeugen und für solche Themen sensibilisieren. Der chinesische Komponist für das Festival etwa hat sämtliche Kulturrevolutionen überlebt. Die Künstler lechzen danach, endlich mal die eigene Biografie aufarbeiten zu können. Ausgangspunkt für "Diktaturen" war eigentlich der Film von 2014 über die deutsche Studentin Elisabeth Käsemann, die 1977 in Argentinien starb. Karin Haußmann vertont aus dem Briefwechsel mit den Eltern. Das Festival Ende Oktober ist das größte Projekt, das wir je gemacht haben. Auch logistisch eine absolute Herausforderung.

Wie bewältigen Sie das?

Unsere vier Räume im Tankturm reichen für die Proben nicht aus. Derzeit renoviert die Architektengemeinschaft aus dem Tankturm das Bahnbetriebswerk nebenan, in dem wir ein Jahr lang temporär auch sechs Proberäume zusätzlich bekommen können. Eventuell auch für öffentliche Proben oder Aufführungen. Es ist gerade viel los bei uns, was Projektdichte und Umsatz angeht.

Was haben Sie alles vor?

Wir werden am 4. November in der "angesagtesten Konzertlocation", der Elbphilharmonie, "Quatre Chants" von Gérard Grisey aufführen, die Einladung dazu kam erst vor sechs Wochen. Wir werden beim Heidelberger Frühling 2018 ein Porträtkonzert über José María Sánchez-Verdú spielen, den Komponisten der Opernpremiere in Schwetzingen. Und wir werden im Oktober erstmals bei der Konzertreihe der BASF in Ludwigshafen vertreten sein mit einem Werk von Brigitta Muntendorf.

Und was den Umsatz angeht?

Wir sprengen in diesem Jahr erstmals den sechsstelligen Umsatzbereich und kämpfen darum, dass sich unsere Geldmittel stabilisieren. Von der Stadt Heidelberg bekommen wir 100.000 Euro, vom Land bisher 70.000 Euro - für zwei Ensembles, die international unterwegs sind. Wir sind stolz, dass wir so viele Eigenmittel einwerben, aber es ist ein enormer Kraftakt.

Im Gemeinderat wird es heißen: "Nicht noch mehr Geld für die Kultur", wenn Sie einen höheren Zuschuss beantragen.

Die Heidelberg-Studie der Stadt hat aber auch ergeben, dass 80 Prozent der Heidelberger die Kultur schätzen und nutzen. Das finde ich toll. Ich bin wahnsinnig gerne in Heidelberg. Man wird hier als Vertreter der Kultur mit offenen Armen empfangen, egal, wo man hinkommt.

Info: www.klanghd.de

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