Heidelberg: Handschuhsheim bekommt ein Füllfederhalter-Museum
Mitte der 1920er Jahre galt Heidelberg als "Wiege der Füllfederhalterindustrie"

In der kleinen Werkstatt des neuen Füllfederhaltermuseum im Alten Rathaus von Handschuhsheim zeigt Thomas Neureither an alten Maschinen, wie früher Füllfederhalter hergestellt wurden (Bild oben). Foto: Philipp Rothe
Von Timo Teufert
Heidelberg-Handschuhsheim. Es ist ein Stück Industriegeschichte, das fast in Vergessenheit geraten wäre: Mitte der 1920er Jahre galt Heidelberg als "Wiege der Füllfederhalterindustrie". Bis zu 40 Unternehmen, die sich den Schreibgeräten widmeten, gab es zu Hochzeiten. Dank der Stadt, des Stadtteilvereins Handschuhsheim und des Sammlers Thomas Neureither wurde jetzt ein Ort in Heidelberg geschaffen, an dem die alte Tradition wieder lebendig wird: Das neue Füllfederhaltermuseum im Alten Handschuhsheimer Rathaus, das Ende November offiziell eröffnet wurde und das am kommenden Sonntag nun erstmals regulär geöffnet hat.
Aus über 1000 ausstellungswürdigen Schreibgeräten in seiner Sammlung hat Neureither eine Auswahl für die Ausstellung getroffen und sie mit Maschinen, Werbung, Zubehör und Rohlingen angereichert. Neureither ist - was Füllhalter anbelangt - familiär vorbelastet: Sein Großvater arbeitete bis zum Konkurs 1927/28 in Europas größter Füllfederhalterfabrik. Bei Kaweco in Handschuhsheim war Valentin Neureither langjähriger Meister und Leiter der Reparaturabteilung. Zum 1. Oktober 1929 machte er sich mit den alten Kaweco-Maschinen, die er aus der Konkursmasse erworben hatte, selbstständig. Die Maschinen "setzen mich in den Stand, alle Reparaturen sämtlicher Füllhalter-Systeme fachgemäß auszuführen", warb er in einem Schreiben um neue Kunden. Aus dieser Zeit stammt auch die alte Drechselmaschine, die heute im Museum zu sehen ist.
Die Idee für ein Füllfederhaltermuseum kam Thomas Neureither vor gut 25 Jahren in den Sinn, als er für die Schulklasse seines Sohnes in der Tiefburgschule eine kleine Ausstellung organisierte. Die Resonanz darauf war riesig, und so kam es zu unzähligen Wiederholungen in Heidelberg und der Umgebung, die er aber wegen des großen Transportaufwands irgendwann wieder einstellte. Denn neben vielen historischen Ausstellungsstücken hatte er damals auch immer viel frei zugängliches Material wie Vogel-, Rohr- und Stahlfedern sowie historische Schreibgeräte zum Ausprobieren dabei. Und natürlich auch die funktionstüchtigen Produktionsmaschinen.
Und genau dieses Konzept findet sich nun auch im neuen Handschuhsheimer Füllfederhaltermuseum wieder, das den Rahmen für Neureithers Sammlung bildet. Vor den alten Sandsteinmauern im Hauptraum des Museums - der alten Fahrzeughalle der Freiwilligen Feuerwehr - werden die Exponate in Glasvitrinen gezeigt. Diese werden immer wieder durch Holzpodeste unterbrochen, an denen die Besucher selbst aktiv werden sollen und die Ausstellungsgegenstände sogar anfassen dürfen. Gleichzeitig bietet der Raum genug Platz, um auch eine Schulklasse unterzubringen.
Im Nebenraum wurde eine kleine Werkstatt eingerichtet, in denen Neureithers Maschinen ein neues Zuhause gefunden haben. Wie etwa die Guillochiermaschine, mit der die Oberfläche eines Schreibgerätes mechanisch nachbearbeitet werden konnte. "Das eingekratzte Streifenmuster verlieh dem schmucklosen Hartgummi eine dezente Verzierung sowie eine bessere Griffigkeit", erklärt Neureither. Der Begriff soll auf den französischen Goldschmied und Mechaniker Guillot als Erfinder des Verfahrens hinweisen. An der Maschine können gleichzeitig acht Füllhalterschäfte mit Hilfe eines mechanisch codierten Musters durch kleine Industriediamanten bearbeitet werden. Eingesetzt war die Maschine bei der Firma "Mercedes-Füllhalter" in Kirchheim und wurde auch noch in der Nachkriegszeit verwendet.
Von den ehemaligen Heidelberger Firmen Hebborn und Mutschler hat Neureither zwei Prägemaschinen in seiner Sammlung: "In die Oberfläche des fertigen Füllhalters konnte die Marke sowie gegebenenfalls ein Werbeaufdruck eingeprägt werden. Dazu musste ein Negativ-Klischee aus Metall, meistens Messing, angefertigt werden. Dieses wurde in die Prägemaschine eingespannt und elektrisch beheizt", berichtet Neureither.
Info: Das neue Füllfederhaltermuseum im Alten Rathaus, Dossenheimer Landstraße 5, hat jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat geöffnet. Von 15 bis 17 Uhr ist im Dezember am 11. und 25. Dezember geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Hintergrund
Heidelberg-Handschuhsheim. (tt) Es war der Grundstein für eine boomende Branche: Vor 133 Jahren, im Jahr 1883, wurde die Federhalterfabrik Luce und Enßlen gegründet. 1899 zog sie in die Dossenheimer Landstraße 31 um. Zur Jahrhundertwende waren dort auch die beiden Kaufleute
Heidelberg-Handschuhsheim. (tt) Es war der Grundstein für eine boomende Branche: Vor 133 Jahren, im Jahr 1883, wurde die Federhalterfabrik Luce und Enßlen gegründet. 1899 zog sie in die Dossenheimer Landstraße 31 um. Zur Jahrhundertwende waren dort auch die beiden Kaufleute Otto Koch und Rudolph Weber beschäftigt. Ab 1903 hieß die Firma dann Kaweco - die nicht ganz stimmige Abkürzung für Koch, Weber und Companie - benannt nach Koch und Weber. Sie sorgten dafür, dass das Handschuhsheimer Unternehmen Weltruf erlangte. Zunächst produzierte man lediglich Holzfederhalter und Tintenlöscher. Doch mit der Zeit wuchs die Firma immer weiter, es wurde an- und umgebaut. Schließlich errichtete man eine neue Fabrik - damals die größte in Europa - auf dem Gelände der Dossenheimer Landstraße 98, in dem heute das Modegeschäft Niebel seinen Sitz hat.
Mit der Zeit änderte sich auch das Material: Statt Holz wurde nun Hartgummi verwendet, später wurden Teile der Füllerkappe und des Schaftes aus brennbarem Zelluloid hergestellt, ein Stoff, den es in vielen Farben und Marmorierungen gab. Neben der Produktion von Füllern importierte Kaweco in den Anfangsjahren auch Schreibgeräte der Firma Parker aus den Vereinigten Staaten. Schließlich wurden in Heidelberg von rund 1200 Mitarbeitern Pipetten- und Kolbenfüller produziert, 1912 kam der patentierte Sicherheits-Füllfederhalter hinzu. Gleichzeitig begann man mit der Produktion von Federn, die man bis dato auch aus Amerika importiert hatte.
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges spürte auch die Firma Kaweco, zurückgehende Exporte und der Niedergang der deutschen Wirtschaft durch die Inflation taten ihr übriges. Das Unternehmen geriet in eine finanzielle Schieflage, von der es sich nicht mehr erholen konnte. Auch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Anfang der 20er Jahre konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten: 1927/28 musste Kaweco Konkurs anmelden. Weil noch viele Arbeitergehälter ausstanden, sollen sich nach der Bekanntgabe des Konkurses unwirkliche Szenen in Handschuhsheim abgespielt haben: Die Arbeiter nahmen aus der Fabrik mit, was sie tragen konnten. Viele nutzten das Material oder die Maschinen, um sich in ihren Wohnungen oder in kleinen Hinterhofwerkstätten selbst-ständig zu machen. Nach dem Niedergang von Kaweco entstanden so in Heidelberg und der Umgebung rund 40 neue Hersteller von Füllern.
1929 kaufte dann die Badische Füllfederfabrik Knust, Grube und Woringen das südliche Kaweco-Gebäude sowie die Markenrechte des weltweit bekannten Unternehmens. In den 30er Jahren konnte die Firma mit neuen Modellen verloren gegangene Märkte zurückerobern. Die Produkte waren nach den Leitlinien von Parker produziert und wurden zu 70 Prozent exportiert. 1931 schließlich zog die Firma nach Wiesloch und musste auch dort etliche Tiefschläge hinnehmen. Bis 1996 war sie im Besitz der Markenrechte, auch wenn in den letzten Jahren nur noch Schreibgeräte vertrieben und nicht mehr produziert wurden. Nach dem Aus für die Firma kaufte ein Geschäftsmann aus Nürnberg die Kaweco-Rechte, er produziert heute wieder die Klassiker von damals wie den "Kaweco Sport".
Das Gebäude in der Dossenheimer Landstraße 98 wurde 1931 an die Firma Hebborn aus Köln veräußert, die dort seit 1925 Schreibgeräte herstellte. In der "Heidelberger Füllhalterfabrik" produzierte man Füller der Marke "Luxor", 1938 wurde der Firmensitz von Köln an den Neckar verlegt. Seinen Anteil daran hatte der ehemalige Kaweco-Mitarbeiter Heinrich Schlicksupp, der mit Hebborn eine Partnerschaft einging. Nach dem Siegeszug der Kugelschreiber Mitte der 50er Jahre begann Hebborn als einer der ersten Produzenten mit der Herstellung von Kugelschreiberminen. 1965 wurde dieser Zweig aus Kostengründen wieder eingestellt. Das Ende der Firma kam 1970, als Hebborn an eine Firma aus Baden-Baden übergeben wurde, die zu Parker gehörte. Parker schloss 1976 das Heidelberger Werk dann endgültig.
Der wohl erfolgreichste Kaweco-Aussteiger ist aber wohl Philipp Mutschler, der nach dem Rückzug von Hebborn als letzter am Standort Handschuhsheim Füller produzierte. Seit 1928 waren seine Schreibgeräte unter dem Markennamen "Certo" bekannt. Diese Bezeichnung wurde Ende der 50er Jahre durch den Begriff "Reform" abgelöst - zuvor hatte Mutschler die gleichnamige Füllhalterfabrik übernommen. Nach der Übernahme des Betriebs durch Mutschlers Söhne Otto und Peter 1963 errichtete man 1983/84 einen Neubau im Handschuhsheimer Gewerbegebiet "Im Weiher". Schon in den 50er Jahren hatte man bei Mutschler auf das Kunststoff-Spritzgussverfahren für Füllerschäfte umgestellt. Bekannte Unternehmen wie Geha, Herlitz und Rotring ließen bei Mutschler fertigen.
In den 90er Jahren geriet das Unternehmen durch die schlechte Wirtschaftslage in Schwierigkeiten. Als problematisch erwies sich auch die Marktausrichtung auf die Massenproduktion, die einem ständig wachsenden Preisdruck ausgesetzt war. Nach einigen Sanierungsversuchen blieb dem Unternehmen schließlich am 14. April 2004 nicht anderes übrig, als Insolvenz anzumelden.
Die Tradition der Schreibgerätefertigung hält heute nur noch die Firma Lamy in Wieblingen aufrecht. Am einzigen Standort des Unternehmens werden dort pro Jahr rund sieben Millionen Schreibgeräte für die ganze Welt produziert. Angefangen hat der Unternehmensgründer C. Josef Lamy als Exportmanager für Parker, er gründete dann 1930 die Orthos-Füllfederhalter-Fabrik. Neun Jahre später wurde die Peter Bock AG gegründet, die bis heute Federn aus Edelmetallen für Füllfederhalter herstellt - in Handschuhsheim.
Hintergrund
Von Timo Teufert
Heidelberg. In Handschuhsheim stand einst die größte Füllfederhalterfabrik Europas. Die Firma Kaweco gehörte zur Weltspitze und hatte - wie viele andere Füllfederhalterfabriken auch - ihren Sitz in Heidelberg. Zwar gibt es heute noch das Kaweco-Gebäude
Von Timo Teufert
Heidelberg. In Handschuhsheim stand einst die größte Füllfederhalterfabrik Europas. Die Firma Kaweco gehörte zur Weltspitze und hatte - wie viele andere Füllfederhalterfabriken auch - ihren Sitz in Heidelberg. Zwar gibt es heute noch das Kaweco-Gebäude in der Handschuhsheimer Landstraße 98, doch sonst erinnert nur noch wenig daran, dass die Stadt einst Füllfederhalter-Hochburg war. Das soll sich jetzt ändern: Am Donnerstag wurde im alten Handschuhsheimer Rathaus ein Museum eröffnet, das vom Stadtteilverein betrieben wird. und das an die Blütezeit der Schreibgeräteherstellung im Stadtteil erinnern soll.
Eigentlich war geplant, die alte Fahrzeughalle der Freiwilligen Feuerwehr im Handschuhsheimer Rathaus, in der der VW-Kübelwagen der Wehr abgestellt war, als Archiv und Leseraum zu nutzen. Doch auf Betreiben des ehemaligen Vorsitzenden Martin Hornig entstand die Idee, die Räumlichkeiten für ein Füllfederhaltermuseum zu nutzen. "Uns als Stadtteilverein ist es wichtig, dass die Tradition nicht in Vergessenheit gerät", sagte Gerhard Genthner, der heute Vorsitzende des Stadtteilvereins ist. Dafür hat nicht nur die Stadt, sondern auch der Verein beträchtliche Mittel für das Museum bereitgestellt. Während die Stadt sich um die Bausubstanz kümmerte, bezahlte der Stadtteilverein die Inneneinrichtung. "Den Grundstock für unsere Spendenaktion hat der Verkauf eines ganz besonderen Füllers gelegt", berichtet Genthner. Dr. Manfred Lamy vom gleichnamigen Wieblinger Schreibgerätehersteller hatte eine limitierte Auflage eines Füllers mit Handschuhsheimer Wappen aufgelegt und dem Verein zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind durch den Verkauf und die Spenden rund 36.000 Euro zusammengekommen. "Ich hoffe, dass die Räume des Füllfederhaltermuseums ein Teil des Stadtteils und ein Teil von ganz Heidelberg werden", sagte Genthner.
"Für die Handschuhsheimer ist der Füllfederhalter ein Stück Stadtteilgeschichte", weiß auch Oberbürgermeister Eckart Würzner. Er freue sich, dass mit dem Museum ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gehe. Er lobte auch den Stadtteilverein für seine Initiative und seine Bereitschaft, sich an den Kosten zu beteiligen. "Dafür haben wir dann gerne auch 248.000 Euro in die Hand genommen", so Würzner. Die ehemalige Fahrzeughalle bekam von Architekt Harald Schwarz eine neue Bodenplatte und eine Fußbodenheizung, auf dem die alten Sandsteinplatten wieder verlegt wurden. Das Mauerwerk wurde im oberen Teil gedämmt und im unteren freigelegt sowie die Heizung erneuert. Die Exponate werden in Glasvitrinen gezeigt, die an der Wand befestigt sind und die durch Holzpodeste unterbrochen werden. Dort sollen die Besucher selbst aktiv werden. Sie dürfen die Ausstellungsgegenstände sogar anfassen.
Im Museum werden vor allem Exponate aus der Privatsammlung von Thomas Neureither gezeigt. Seine Vorfahren waren selbst an der Füllfederhalter-Produktion beteiligt. Seit Jahren sammelt er Schreibgeräte und hat viele der alten Maschinen aus Fabriken vor dem Schrottplatz bewahrt. "Ich sammle gegen das Vergessen", sagte er bei der Eröffnung. Seine Leidenschaft begann vor 25 Jahren, als er in der Tiefburgschule zum ersten Mal eine Ausstellung für die Schüler zeigte. Im Museum werden aber nicht nur vierteljährlich wechselnde Spezialthemen zu sehen sein, dort sollen auch Seminare zum Thema Schreiben stattfinden. Im Nebenraum befindet sich eine Werkstatt mit Maschinen, an denen gezeigt wird, wie früher aus einem Rohling ein Schreibgerät entstand.
Fi Info: Das Museum im Alten Rathaus, Dossenheimer Landstraße 5, hat heute, 26. November, und morgen, 27. November, jeweils von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
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