Endlich wieder laut, fröhlich, euphorisierend (plus Fotogalerie)
Der Heidelberger Schriftsteller Marcus Imbsweiler lief trotz schwieriger Vorbereitung beim Halbmarathon mit. Wie er den Lauf erlebte.

Von Marcus Imbsweiler
Heidelberg. Bei Kilometer fünf beschleicht mich das irritierende Gefühl des Alleinseins. Mitten im Halbmarathon! Natürlich bin ich nicht allein, da sind Zuschauer, Läufer vor und hinter mir. Aber niemand in direkter Nähe.
Kein Konkurrent, der einen zieht, keine Gruppe, in der man sich verstecken kann. Und das ist mir in Heidelberg schon ewig nicht mehr passiert. Aber man soll ja vorne anfangen. Am Start – oder noch besser: bei der Vorbereitung. Die war in diesem Jahr, naja, suboptimal. Vor drei Wochen Verletzung, danach zwei Mal Trainingsabbruch.
Was der Rücken nicht mehr an Geschmeidigkeit hergibt, müssen die Oberschenkel ausbaden. Also Schonung statt Formschliff, oberstes Ziel ist jetzt Ankommen.
Dann der Start. Da ist natürlich niemand allein, im Gegenteil. Auch die Sonne lässt sich blicken, nanu, die stand doch gar nicht auf der Startliste? Aber sie sorgt für gute Laune, kein Frösteln wie häufig, dafür Gedränge, vor allem an der Engstelle beim Ebert-Platz.
Den ersten Kilometer laufen alle viel zu schnell, in der Hauptstraße sortiert es sich, und beim kleinen Anstieg zur Alten Brücke deutet sich schon an, wer heute gut die Berge hochkommt.
Auf der Brücke erhasche ich einen letzten Blick auf die große Führungsgruppe, mindestens zehn Mann stark. Auch die Frauen sind heute brutal schnell, das wird heiße Duelle um den Tagessieg geben. Dann der Trubel an der Theodor-Heuss-Brücke, Anfeuerungen ohne Ende.
Gefühlt jeder Zweite ruft meinen Namen – steht ja auf der Startnummer. Aber in Neuenheim sehe ich auch zahlreiche Bekannte, eine will mit mir anstoßen, andere meinen, ich solle mich mal beeilen. Die kennen meinen Rücken nicht.
Und schon ist es vorbei mit der Gemütlichkeit, dem Einrollen. Dank Baustelle dürfen wir heute den direkten Weg zum Philosophenweg hoch. Den steilstmöglichen. Kurzer Selbstcheck: muskulär noch alles im grünen Bereich.
Und überhaupt ist dieser Anstieg mein Terrain, da bin ich früher bis zu zehn Mal hoch, egal, wie komisch die Fußgänger schauten. Heute schaue ich komisch, denn in diesem Moment zieht mein alter Laufkumpel Oliver vorbei, dass es rauscht. Okay, der Mann ist Lauftrainer, der weiß, wie es geht. Ich würde ihn ja fragen, aber da ist er schon enteilt.
Irgendwann bin auch ich oben und werde belohnt: mit einem von der Sonne bis in den letzten pittoresken Winkel erleuchteten Neckartal. Ein kurzer Eindruck nur, aber der hallt nach. Wenn mich nicht alles täuscht, fährt eben der Besenwagen über die Alte Brücke.
Und noch immer meiden mich meine Mitläufer. Warum eigentlich? Corona ist doch vorbei, oder? Als es im Wald endlich bergab geht, prescht alles, was jünger ist, vorbei, bergauf kriege ich manche wieder. Aber mit mir laufen – Fehlanzeige.
Das Schöne am SAS Halbmarathon: Dank der abwechslungsreichen Strecke geht die Zeit schneller vorbei. Dafür erlebt man einige Abschnitte besonders intensiv. Beim Anstieg an der Schlierbacher Kirche kommt meine Mimik gar nicht mehr raus aus dem Schmerzverzerrt-Modus.
Schrecksekunde dann kurz vor dem Schloss: Ein Läufer kniet auf dem Gehweg, Kopf zwischen den Händen. Brauchst du einen Arzt? Er verneint, eine Passantin kümmert sich um ihn.
So, jetzt noch einmal konzentrieren. Bergab und beim Schwenk in die Hauptstraße lauert sie, die Verletzungsgefahr, ich spreche aus Erfahrung. Also Schritt sauber ziehen, Bewegungen möglichst flüssig. Gar nicht so einfach bei dem welligen Pflaster in der Altstadt mit den vielen Kanaldeckeln – hoffentlich fällt es dem Oberbürgermeister auch auf.
Aber die Stimmung, endlich wieder wie früher: laut, fröhlich, euphorisierend. Gerade jetzt heißt es, achtsam zu bleiben. Nicht übertreiben! Aber da kommt einer von hinten. Könnte meine Altersklasse sein.
Also dagegenhalten, irgendwie. Keiner gibt nach, und am Ende liege ich ein paar Zentimeter hinten. Ein Schlussspurt – auf diese Art von Gesellschaft hätte ich dann doch verzichten können. Also ärgern? Klar. Und gleichzeitig freuen, dass die Knochen gehalten haben. Manchmal geht beides.