Eine bunte Wand voller Statements
Die Künstlerin Ella Ponizovsky-Bergelson gestaltete eine Fassade bei Metropolink.

Von Sebastian Klump
Heidelberg. Mit sicherer Hand vollendet Ella Ponizovsky-Bergelson ihre Arbeit. Das Wort "Erfahrung" offenbart sich nun in großen Buchstaben im Hintergrund ihres Werkes. Aus einer tristen Hauswand in Patrick-Henry-Village (PHV) wurde so ein Zusammenspiel kontrastreicher Farben, eine Fläche, die voller unterschiedlicher Botschaften besteht. Das kolossale Kunstwerk erstreckt sich über die gesamte Höhe der Hauswand eines der Zeilenbauten des US-Militärs. Die auf den ersten Blick kontextlos und wild auf der Wand verteilten Aussagen beziehen sich alle auf die Erfahrung. "Erfahrung stammt vom Verb ,fahren’ – ein aktiver Zustand", erklärt Ponizovsky-Bergelson, "es ist ein langfristiges Konzept, das Erlangen von Wissen bedeutet."
"Kartoffeln kommen aus Peru", ist eine der Aussagen. "Menschen denken, Kartoffeln seien deutsch, aber das ist nur so, weil die Leute nicht wissen, dass Kartoffeln nur wegen der Kolonialisierung Südamerikas hier sind", erläutert die Streetart-Künstlerin, die im Rahmen der Jüdisch-Muslimischen Kulturtage und des Metropolink-Festivals in Heidelberg arbeitet.
Ihr Werk "Erfahrung" ist Element einer zweiteiligen Serie. Das zweite Werk unter der Überschrift "Erlebnis" befindet sich auf einer Leinwand und war nur temporär auf dem Metropolink-Festival in PHV zu sehen. "Leben" sei ein passiver Zustand, eine Erfahrung, die sich in einem schmalen Zeitfenster abspiele. Sowohl "Erfahrung" als auch "Erlebnis" lassen sich in das englische Wort "Experience" übersetzen. Damit erkundet Ponizovsky-Bergelson die Gemeinsamkeiten und Gegensätze der beiden Konzepte – und dies tut sie im Kontext der Migration: "Die Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Zuwanderern und Einheimischen" sind ein Thema, ebenso der Gegensatz von temporär und permanent.
Ella Ponizovsky-Bergelson bringt dabei auch ihre eigenen Perspektiven in das Werk ein. "Ich wurde an einem Ort geboren, bin dann woanders hingezogen und ging wieder zu einem anderen Ort", erzählt sie. Die aus Israel stammende und heute in Berlin-Neukölln lebende Künstlerin ist kulturelle Vielfalt gewohnt. Arabisch, Deutsch, Hebräisch, Englisch – all diese Sprachen kommen in ihrem Werk vor. Sie ist mit ihnen auch selbst vertraut und sie stehen für ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt. Die Schrift sei ein Weg, "die Sprachen zu visualisieren und Unterschiede zwischen ihnen aufzuzeigen", erklärt sie in einer Pause während ihrer Arbeit. Sie reflektierten kulturelle Eigenheiten. "Zum Beispiel Arabisch wirkt ziemlich chaotisch, all die Buchstaben haben unterschiedliche Höhen, während Englisch und Deutsch sehr gleichmäßig aussehen."
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Ponizovsky-Bergelson ist aufgrund ihrer Identität auch selbst Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. "Ich bin nicht nur Jüdin, ich bin auch eine Frau, habe russische Eltern, gehöre zu all diesen marginalisierten Gruppen", sagt sie, "ich fühle mich diskriminiert, auch in diesem Moment." Die Wut, die sich aus diesem Gefühl der Diskriminierung nährt, ist ein zentraler Bestandteil ihres Werkes. In ihrer Erfahrung fühlt sie sich mit deutschen Musliminnen und Muslimen verbunden, die ähnlicher Ausgrenzung ausgesetzt seien. Die Ursache für diese Diskriminierung sieht sie im Kapitalismus, den sie als strukturelles Problem unserer Zeit sieht: "Capitalism is the pandemic" (deutsch: "Kapitalismus ist die Pandemie"), "You own nothing" (deutsch: "Du besitzt gar nichts") – das sind zwei der kapitalismuskritischen Botschaften, die an der Wand im Patrick-Henry-Village zu lesen sind. Sie möchte Aufmerksamkeit für diese Themen schaffen, denn "die Kunst hat die Kraft, die Gefühle der Menschen zu erreichen", meint sie.
Info: Das Metropolink-Gelände in PHV ist in den nächsten Tagen noch für Veranstaltungen geöffnet – etwa für das Konzert von Moop Mama am Mittwoch, 11. August, um 21 Uhr.



