Dirigentin Mirga Gražinytė-Tylas steile Karriere begann am Heidelberger Theater

Mit 29 ist sie Musikdirektorin in Salzburg - Ihre "Entführung" war die allerschönste

24.04.2015 UPDATE: 26.04.2015 06:00 Uhr 3 Minuten, 21 Sekunden

Mirga Gražinyt.e-Tyla schwingt den Taktstock heute zwischen Los Angeles, Berlin und Salzburg. Foto: Vern Evens

Von Birgit Sommer

"Mirga ist toll, Mirga ist spitze", sagt Thierry Stöckel, der Konzertmeister der Heidelberger Philharmoniker. Wenn das Gespräch auf die junge litauische Dirigentin kommt, spürt man bei ihm die helle Begeisterung. Das Orchester und sie, das war eine glückliche Verbindung, ein intuitives Verstehen, ein Funke, der überspringt. Mirga Gražinytė-Tyla arbeitete genau zwei Jahre lang als Zweite Kapellmeisterin in Heidelberg.

Die Kammeroper "Frida Kahlo" und Mozarts "Entführung aus dem Serail" waren ihre ersten eigenen Einstudierungen, bei denen sie auch vom Publikum gefeiert wurde. "Ich habe noch nie eine so schöne ,Entführung‘ gehört", meinte ein Zuhörer damals. Und die Musiker haben die Arbeit mit ihr geliebt. Inzwischen ist die 29-Jährige weiter auf ihrer Karriereleiter hochgeklettert. Sie wird ab der Spielzeit 2015/16 Musikdirektorin am Salzburger Landestheater. Die Litauerin setzte sich gegen 180 Bewerber durch. Doch Heidelberg blieb ihr Zuhause; hier wohnt der Orchestermusiker, mit dem sie ihr Leben teilt.

Was die Heidelberger Philharmoniker ebenfalls sehr faszinierte, war ihre Gesangskunst. Wenn einem Sänger beim Einstudieren einer Oper die Stimme wegbleibt - die Dirigentin singt seinen Part während der Probe einfach selbst. "In Heidelberg hatte ich zwei Hauptrollen", lacht sie, "Don Jose aus Carmen bei der Orchester-Hauptprobe und die Ariadne bei der Klavier-Hauptprobe." Da ist sie in guter Gesellschaft: Gustavo Dudamel, bei dem sie derzeit auch als Assistentin bei den Los Angeles Philharmonic arbeitet, zeige Virtuosität in allen Stimmlagen, hat sie festgestellt.

"Singen gehört zu meinen Hauptwerkzeugen", sagt sie. In Litauen wurde das von klein auf geschult. Nicht nur, dass die baltischen Länder eine lange Tradition des Chorsingens pflegen; bei Festen hört man tausendstimmige Ensembles. Nicht nur, dass die Schule dort großen Wert auf Gehörbildung und Stimmschulung legen - Mirga Gražinytė-Tylas Vater ist Chordirigent, und statt in den Kindergarten zu gehen, begleitete sie die Sänger bei den Proben und auf Tourneen.

Richtig musikalisch erst ist die Familie ihrer Mutter, die selbst Klavier spielt und unterrichtet. Die Großmutter und deren sechs Geschwister spielen Orgel, Cello, Geige, Klavier oder komponieren. Gražinytės 18-jährige Schwester will in Hannover ein Klavierstudium beginnen. Nur der 15-jährige Bruder, ("Ein guter Pianist"), hat gerade eine Karriere als Basketballer im Auge. Es könne letztlich aber auch ein Chordirigent aus ihm werden, schmunzelt Mirga Gražinytė-Tyla.

Eigentlich wollten die Eltern keine Musikerlaufbahn für ihre Tochter. Das schien ihnen wohl wenig zukunftsträchtig. Klavier spielen lernte sie deshalb erst im Alter von elf Jahren. Da wusste sie aber schon: "Ich will nur Musik und sonst nichts." Ihre einzige Chance war also das Chordirigieren, mit 13 fing ihr Unterricht in der Schule an. In Osteuropa beginnt das spielerisch, man lernt die Musik verstehen, man lernt die Instrumente kennen. Dirigentisch gestalten, das kommt erst später, und dann mit großem Ernst.

Wegen Professor Johannes Prinz zog es die Litauerin nach dem Schulabschluss zuerst zum Studium von Chor- und Orchesterdirigieren nach Graz. Eine fremde Stadt, eine fremde Sprache. Anschließend vertiefte sie ihre Studien am Konservatorium in Bologna sowie an der Musikhochschule Leipzig und an der Zürcher Hochschule der Künste.

In Leipzig empfahl ihr dann Professor Ulrich Windfuhr, sich für die Stelle in Heidelberg zu bewerben. Sie schaffte die Vorbereitung innerhalb von zwei Wochen. Beim nächsten Mal musste sie sich schon nicht mehr selbst bewerben. 2013 bekam Mirga Mirga Gražinytė-Tyla ein Angebot als Erste Kapellmeisterin am Konzert Theater Bern, wo sie unter anderem beim Gastspiel von Nanine Linnings Heidelberger Tanztheaterproduktion "Zero" sowie in "La traviata" und "Das schlaue Füchslein" zu erleben war.

Gastdirigate in Berlin, Bonn, Lausanne, München, Vilnius sowie eine Tournee mit Gidon Kremers Kremerata Baltica machten die zierliche Litauerin in der Musikwelt bekannt. Am 6. Mai dirigiert sie die Wiederaufnahme von "Carmen" in Berlin, am 17. Mai die Uraufführung der ägyptischen Ober "Tahrir" sowie im Herbst die "Zauberflöte" am Landestheater in Salzburg.

Oper ist also ein starker Schwerpunkt bei ihrer Arbeit, und sie ist ganz glücklich damit. Gleichzeitig genießt Mirga Gražinyte. die Erfahrung, die sie im sinfonischen Bereich sammelt. Assistentin bei Gustavo Dudamel zu sein, bedeutet auch, eines der besten Orchester Amerikas zu leiten, denn eines der Abo-Konzerte beispielsweise gehört der Assistentin, ebenso das Hollywood-Bowl-Konzert mit Mahler und Brahms, bei dem im letzten Sommer Alina Pogostkina die Solistin war. Laut Kritiker wurde die Dirigentin mit Ovationen verabschiedet, nur das mit der amerikanischen Hymne, das muss sie wohl noch üben.

Das Leben der 29-Jährigen ist eine große Herausforderung. Sie muss stets abwägen, wie viel sie leisten will, doch sie hat das im Griff: "Wenn ich die ,Zauberflöte‘ vorbereite, ist das oft auch eine innere Reise und ich beschäftige mich mit mir selbst", sagt sie, "Musik ist der Weg, ein Mensch zu sein und zu werden." Wenn Mirga Gražinyte. doch mal ausgepowert ist, dann sucht sie die Ruhe in der Natur. In Los Angeles dauert es eine Weile, bis sie an den Strand kommt. Heidelberg dagegen nennt sie perfekt. Denn hier ist sie ganz schnell auf dem Philosophenweg.

Raus in die Natur - das ist ein ganz wichtiger Ausgleich für die Litauerin. Genauso wie sie ihre langen und festen Freundschaften braucht, wenn sie in der weiten Welt unterwegs ist. Wer Glück hat, zum Beispiel das Orchester in Heidelberg, bekommt auch mal eine litauische Suppe von ihr gekocht, eine Art kalter Borschtsch. Denn Kochen macht ihr Spaß, da kann sie aus jedem Angebot aus dem Kühlschrank etwas Leckeres zaubern, sagt ihr Lebensgefährte.

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