Ausnahmezustand für Kita-Eltern in Wieblingen
Wegen des Fachkräftemangels wurden die Betreuungszeiten in der Tagesstätte Karolingerweg stark reduziert.

Von Anica Edinger
Heidelberg. Seit Wochen fehlt in den zahlreichen Kindergärten Personal. Öffnungszeiten mussten häufig bereits deutlich reduziert werden. Die städtische Kindertagesstätte Karolingerweg in Wieblingen hat es nun besonders hart getroffen. Seit Montag herrscht hier Notbetrieb: Die vier Gruppen des Kindergartens wurden auf zwei aufgeteilt. Sie können in den sechs Wochen bis Weihnachten nur wechselweise in die Kita kommen. Das heißt: Drei Wochen müssen die Eltern der Kindergartenkinder gänzlich ohne Betreuung auskommen. Was das für sie ganz konkret bedeutet, wie sie planen, die Wochen zu überbrücken, was sie sich von der Stadt als Träger wünschen – und wie es ihren Kindern damit geht: Darüber sprachen die Betroffenen mit der RNZ.
> Thomas Ronne*, Vater zweier Kindergartenkinder: "Meine Frau und ich, wir sind beide berufstätig. Wir hoffen nun, dass unsere Arbeitgeber es mitmachen, dass wir die Kinder aus dem Homeoffice heraus betreuen." Die Betreuung auf die Großeltern auslagern, wie von Stadt und Kita vorgeschlagen wurde, ginge nicht so einfach. Denn: "Meine Eltern arbeiten noch und die meiner Frau leben in Berlin. Wir sind also auf uns allein gestellt." Ronne ist sicher, dass die Situation allen Beteiligten nicht guttun werde. Denn Kinder betreuen und arbeiten – das bedeute zwangsläufig auch: "Die Bildschirmzeit der Kinder wird ausgedehnt."
> Inga Ziegler, alleinerziehende Mutter eines Sohnes: "Die Mail zum Wechselmodell vonseiten der Stadt und des Kindergartens traf mich wie ein Schlag." Ziegler ist alleinerziehend, arbeitet 75 Prozent. "Ich durfte es also mit mir selbst ausmachen, wie ich die kommende Zeit manage." Ihr Modell: "Ich arbeite diese Woche so viel es geht voraus, was sich unglaublich bedrückend anfühlt, um dann nächste Woche auf einen Schlag 30 Minusstunden zu machen, die dann irgendwann wieder aufgearbeitet werden müssen, was ebenso belastend ist." Bis Ende des Jahres sammelt Ziegler 90 Minusstunden in den drei Wochen, in denen ihr Sohn nicht betreut werden kann. "Wie soll ich das jemals wieder einholen?" Unbezahlten Urlaub zu nehmen, sei ebenfalls keine Option. "Weil es so schon knapp ist am Monatsende." Homeoffice in ihrem Metier sei nicht möglich, Omas und Tanten habe sie die letzten Wochen schon in Anspruch genommen, weil auch da häufig Notbetreuung angesagt war. Ihr bleibe nun einzig die Hoffnung, dass es doch nicht beim Wechselmodell bleibt.
> Janina Hermann, Mutter einer Tochter: "Für uns ist das eine Katastrophe." Hermann und ihr Mann arbeiten beide, die Großeltern sind außer Reichweite: Die Eltern ihres Mannes leben in Spanien, ihre eigenen in Dresden. "Meine Mutter überlegt, sich wenigstens ein paar Tage Urlaub zu nehmen, um uns auszuhelfen." Doch drei Wochen überbrücken? Das geht auch bei den Hermanns nur mit viel Homeoffice und paralleler Kinderbetreuung. "Mein Sohn ist vier Jahre alt, der kann sich vielleicht eine halbe Stunde selbst beschäftigen. Spätestens dann ist aber Schluss." Sie sagt: "Eigentlich kann man im Homeoffice kein Kind betreuen." Auch sie sieht die einzige Lösung für konzentriertes Arbeiten in mehr Zeit für ihre Tochter vor dem Bildschirm.
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> Manuel Dieter, Vater eines Sohnes: "Mein Sohn ist drei Jahre alt, wir haben erst im September mit der Eingewöhnung begonnen." Eingewöhnung: Das ist die Zeit, in der sich ein Kind, das neu in den Kindergarten kommt, an die neuen Erzieherinnen und die neue Umgebung gewöhnen muss. Das ist nicht immer einfach – so auch im Falle von Dieters Sohn. "Jeden Morgen wacht er auf und sagt, er will nicht in den Kindergarten." Nun muss der Sohn sich wegen des Wechselmodells wieder an eine neue Gruppe und andere Erzieherinnen gewöhnen. Dass die Eingewöhnung so erfolgreich sein wird, daran hat Dieter seine Zweifel. Glücklicherweise sei seine Frau noch in Elternzeit, da die Familie gerade weiteren Zuwachs bekommen hat. Insgesamt aber sei das "ein Riesenstress" – für die Eltern, aber auch für den dreijährigen Sohn. Dass "eine Stadt wie Heidelberg", so Dieter, keinen Springer-Pool habe – angestellte Fachkräfte, die im Notfall in den verschiedenen städtischen Kitas einspringen –, "das ist eigentlich unfassbar".
> Svenja Herz, alleinerziehende Mutter einer Tochter: "Wir haben hier weder Oma und Opa oder sonstige Verwandte. Betreuung außerhalb der Krippe zu finden, ist immer mit Aufwand verbunden." Eine Babysitterin käme finanziell nicht infrage. Herz sagt: "Ich bin mit der jetzigen Situation überfordert." Sie ist selbst Erzieherin, ihr Arbeitgeber habe glücklicherweise angeboten, dass sie ihre Tochter mitbringen dürfe. "Allerdings ist das für mich keine gute Alternative, weil es für uns beide eine Doppelbelastung ist." Davon abgesehen sei die Betreuung im Kindergarten für Herz die einzige Zeit für "Erholung". Wegen des Notbetriebs schon in den vergangenen Wochen habe sie kaum ärztlichen Termine wahrnehmen können. Sie sagt: "Durch die Situation entstehen in mir wieder viele Ängste, vor allem um den Job und um die finanzielle Situation."
> Mia Müller, Mutter eines Vorschulkindes: Ein Notbetrieb, die Kinder aus dem Homeoffice heraus bespaßen: "Das erinnert mich alles sehr an Corona", sagt Mia Müller. Sie und ihr Partner seien in Vollzeit beschäftigt. Nur mit viel "Getausche" habe sie es hinbekommen, dass sie zur Betreuung ihres Kindes ein paar Tage frei machen könne. "Wir haben keine Verwandten oder Bekannte, die mal vorbeischneien können." Ihr Sohn sei zwar schon sechs, dennoch belaste es ihn, wenn er in fremden Gruppen von Erziehern betreut wird, die er kaum kennt. "Der kommt dann nach Hause und ist völlig fertig." Trotz der Misere ist es ihr wichtig, zu betonen, dass sie große Fans der Kita Karolingerweg sind. "Die Erzieherinnen und die Leitung sind schon lange stark belastet und haben immer versucht, ihren pädagogischen Standards zu entsprechen und alles möglich zu machen."
> Christiane Hofmann, Mutter eines Vorschulkindes: "Ich fühle mich sehr unwohl, was wir von unserem Kind abverlangen: einen Arbeitstag bestreiten." Denn Christiane Hofmann, Lehrerin, muss ihre Tochter mit in den Unterricht nehmen. Das geht, dank der Zustimmung ihres Schulleiters, doch bedeutet es eine extreme Belastung. Schließlich muss sich die Tochter selbst beschäftigen, während die Mutter unterrichtet. Zwar ist Hofmann auch zwei Mal wöchentlich im Homeoffice – doch dann stehen Korrekturen und Vor- und Nachbereitung an. "Das findet dann nachts oder am Wochenende statt. Konsequenz: doppelte Belastung für die ganze Familie, da weniger Familienzeit." Ihr Mann versuche, ein Mal in der Woche Homeoffice zu machen. Doch auch dann müsse die Tochter "vier bis fünf Stunden bis zur Mittagspause still dabei sein". Fazit: "Von einer altersgerechten pädagogischen Betreuung kann keine Rede sein!" Immerhin: "Für eine ganze Woche reisen Oma und Opa (beide über 70) mehrere Hundert Kilometer an, um für etwas Abwechslung und vor allem ,Quality Time‘ für ihre Enkelin zu sorgen."
* Alle Namen wurden auf Wunsch der Betroffenen von der Redaktion geändert.
So reagiert das Rathaus
"Die Notbetreuung ist unumgänglich", heißt es auf RNZ-Anfrage aus dem Kinder- und Jugendamt. Seit Montag gilt in der städtischen Kita Karolingerweg in Wieblingen eine Teilschließung, aus vier Gruppen wurden zwei.
In der Kita arbeiten eigentlich zehn Erzieherinnen und zwei Auszubildende. Aktuell seien aber drei Vollzeitstellen gänzlich unbesetzt, dazu käme, dass mehrere Fachkräfte erkrankt seien. Derzeit seien nur noch fünf Voll- und Teilzeitkräfte sowie die Leitung anwesend. "In Summe fehlt das Personal für zwei Gruppen", so das Jugendamt. In dieser Situation seien deshalb Maßnahmen wie etwa die Reduzierung der Betreuungszeiten nicht mehr ausreichend, um die Aufsichtspflicht zu gewährleisten, sowie den Mindestpersonalschlüssel einzuhalten. Das Jugendamt betont aber: Die Teilschließung in der Kita "ist eine vorübergehende Maßnahme, die sofort wieder aufgehoben wird, wenn sich die Personalsituation dort wieder entspannt". Immerhin: Eine neue Fachkraft konnte bereits eingestellt werden: Sie fängt im Januar im Karolingerweg an.
Um den Fachkräftemangel in Kindertageseinrichtungen ging es auch am Dienstag im Jugendhilfeausschuss. Jugendamtsleiterin Myriam Lasso stellte Maßnahmen vor, die die Stadt gemeinsam mit den 46 Trägern der 134 Kitas in Heidelberg auf den Weg bringen will, um qualifiziertes Personal in die Stadt zu locken. Hauptthemen seien dabei etwa das Wohnen in Heidelberg. Gewünscht wird laut Lasso etwa, einen Mietzuschuss für Erzieherinnen und Erzieher ebenso wie einen Stellplatzzuschuss zu zahlen. Außerdem müsste das Fachpersonal in den Kitas entlastet werden, zum Beispiel durch hauswirtschaftliche Fachkräfte. Denn in manchen Kitas übernähmen die Erzieherinnen und Erzieher auch Aufgaben wie Abwaschen. "Dafür sind sie zu gut ausgebildet", meinte Lasso. Dringend geboten sei auch, ausländische Fachkräfte einzustellen. In ihren Heimatländern hätten sie meist die entsprechende Qualifikation, um in der Kita zu arbeiten. Doch deren Anerkennung sei noch immer sehr mühsam.
Außerdem meinte Lasso: "Wir brauchen eine Medienkampagne und müssen für unseren Standort werben." Auch bei den Stellenausschreibungen müsse man neue Wege gehen – und über die sozialen Medien wie Instagram oder TikTok nach Personal suchen. (ani)



