Abstrakte Kunst zum Anfassen
Manfred Gerstner stellt seine Werke aktuell im "Paradoxon" aus. Die Farben sind bei ihm immer in Bewegung.

Von Hannes Huß
Heidelberg. Sobald Manfred Gerstner über seine Kunst redet, kann er gar nicht mehr aufhören – dabei kam der 70-Jährige, der momentan seine abstrakten Werke im Non-Profit-Kulturzentrum "Paradoxon" in der Unteren Straße ausstellt, erst spät zur Malerei: während des Corona-Lockdowns. Der Rentner aus Schwaigern-Niedersteten brachte sich damals mit Hilfe von Büchern selbst Mal- und Zeichenstile bei: "Ich musste schließlich erst lernen, zu malen." Inzwischen hat er seine ganz individuelle Ausdrucksform gefunden.
"Moving Colours" ist sowohl der Name von Gerstners Ausstellung, als auch seine Maltechnik. Gerstner hält die Farbe immer in Bewegung. So benutzte er für das große "Wimmelbild", das er im Schaufenster des "Paradoxon" ausstellt, Styroporkugeln, die er in Farbe tunkte und auf einer Leinwand anbrachte. Bevor die Farbe austrocknete, fotografierte er verschiedene Ausschnitte – seine jetzt ausgestellten Werke.
In Bewegung ist dabei nicht nur die Farbe, sondern auch Gerstner selbst. Immer wieder übermalt der Künstler seine Bilder, legt Teile des übermalten Bildes danach durch Aufkratzen frei. Dadurch entstehen dreidimensionale Strukturen voller Farbkleckse und Narben. Vor allem bei genauerer Betrachtung fällt diese Plastizität ins Auge. Dann erkennen Betrachter, welche Farblinien dicker sind, welche dünner. Auch Anfassen ist ausdrücklich erlaubt. Dieser mehrstufige Arbeitsprozess gehört für Gerstner auch zur Ausstrahlung des Bildes dazu.
Gerstners Serie "Die Welt" begann als einfache Weltkarte. Als diese fertig war, beschloss der Künstler, sie zu übermalen. Jetzt ist "Die Welt" voller Farbflecken und Linien, in denen Gerstner die Strömungen der Welt, etwa Flugzeuge, sieht. Doch seine Interpretation der Werke ist keinesfalls allgemeingültig. Wo ein Besucher eine Karte der USA erkennen mag, steht für ihn ein sommerlicher Salat, den andere wiederum als Bienen oder Engel interpretieren.
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Immer wieder übermalt Gerstner seine ursprünglichen Werke, vor allem, wenn diese zu eindeutig interpretierbar sind. Das kann durchaus passieren, denn er beginnt jedes Werk ohne eine Vorstellung, wie es am Ende aussehen soll. "Ich fange einfach mit irgendeiner Farbe an." Dann trägt er Strukturspachtel und weitere Farben auf, kratzt Farbe wieder ab, bis er zufrieden ist. Wichtig sind ihm die Strukturen, die so entstehen. Künstlerische Vorbilder hat der 70-Jährige nicht: "Wenn ich male, versuche ich nicht, mich an irgendeinem abstrakten Künstler zu orientieren."
Zum "Paradoxon" kam er auf Einladung der Initiatorin und OB-Kandidatin Sofia Leser. Bei dieser nahm er Spanischunterricht, und sie lud ihn ein, seine neugefundene Kunstleidenschaft im "Paradoxon" zu teilen. Damit passt er gut in das Konzept des Kulturzentrums, Künstlern einen Raum zu bieten, die nicht in einer großen Galerie ausstellen können. Leser sieht das "Paradoxon" allerdings nicht als klassische Galerie. Vielmehr ist es für sie ein "nicht-kommerzieller Raum der Begegnung", in dem Kunstinteressierte mit den Künstlern ins Gespräch treten können: "Man inspiriert sich ja auch gegenseitig," sagt sie.
Aus diesem Grund ist Gerstner, wie die anderen Künstler im "Paradoxon" jeden Sonntag anwesend, um Besuchern seine Arbeitsweise und seine Bilder zu erklären. Wem diese besonders gut gefallen, kann sie natürlich auch kaufen oder einen hochwertigen Abzug des Werks bei Gerstner bestellen.
Info: "Moving Colours" ist noch bis 25. August von Montag bis Freitag von 16 bis 19 Uhr und samstags und sonntags von 13 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt in das "Paradoxon", Untere Straße 15, ist kostenlos.



