SRH-Hochschule in Heidelberg wird 50
130 junge Menschen starteten 1969 ihr Studium - Seitdem hat sich dort fast alles geändert

Im Jahr 2004 bezog die Fachhochschule Heidelberg, wie sie damals noch hieß, ihren neuen Campus. Der große blaue Turm, genannt "Science Tower", ist mittlerweile eine Landmarke und aus dem Heidelberger Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Foto: Hoppe
Von Denis Schnur
Heidelberg. 1969 war ein bewegtes Jahr. Neil Armstrong landete auf dem Mond, der Vietnamkrieg und der Protest dagegen waren auf ihrem Höhepunkt. Auch die Studenten der Heidelberger Uni gingen in der Altstadt zu Tausenden auf die Straße - gegen Krieg, Kapitalismus und Preiserhöhungen bei den Straßenbahnen.
Nur wenige Kilometer weiter boten ab Oktober 130 Studenten ein völlig anderes Bild. 40 Maschinenbau-, 60 BWL- und 30 Architektur-Studenten hatten ihre Ausbildung bei der "Unternehmung zur beruflichen Rehabilitation Behinderter" angetreten. Sie konnten ihren ursprünglich erlernten Beruf aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr ausüben und mussten umsatteln.

Pioniere: Arthur Brenig und Olaf Trapp waren zwei der ersten Studenten. Foto: SRH
Und während ihre Kommilitonen rebellierten, saßen die Reha-Studenten in der Wieblinger Bonhoefferstraße und trugen weiße Laborkittel. "Wir rannten da rum wie die Eisbären", erinnert sich Olaf Trapp, der 1969 einer der ersten Studenten der späteren SRH-Hochschule war. "Nach einem halben Jahr hatte sich das zum Glück erledigt", so der Maschinenbauingenieur.
Aber auf die Straße gingen sie auch dann nicht, die 40 Stunden Vorlesungen pro Woche ließen das nicht zu. "Das war ganz schön anstrengend, aber wir haben zusammengehalten und uns geholfen", berichtet Arthur Brenig, der mit Trapp begann. "Und schon vor dem Examen hatten wir alle unseren Job in der Tasche."
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50 Jahre ist es her, dass die ersten jungen Menschen in Wieblingen ein Studium aufnahmen. Und seitdem hat sich viel geändert, eigentlich fast alles. Deutschlands älteste Privathochschule heißt seit 2007 SRH-Hochschule, statt 130 Menschen studieren dort heute 3400, eine Behinderung haben nur noch etwa fünf Prozent von ihnen. Die Veränderungen kamen zum Großteil schleichend. So wurde etwa das Studienangebot fortwährend angepasst, heute sind es 38 Studiengänge. Aber es gab auch immer wieder große Umwälzungen.

Ein Informatik-Student der späteren SRH in den siebziger Jahren. Foto: SRH
Die wohl entscheidendste stand Ende der 80er Jahre an. Der Staat schränkte damals die Förderung der Rehabilitation ein. Sozialleistungsträger zahlten nur noch für Maßnahmen, die maximal zwei Jahre dauern; die Studiengänge der Fachhochschule Heidelberg, wie sie damals hieß, waren schon immer auf drei Jahre ausgelegt. Die Immatrikulationszahlen sanken um 30 Prozent . Ein radikaler Schritt war nötig.
Und ein radikaler Schritt kam. Klaus Hekking, damals Vorstandsvorsitzender des SRH-Konzern, trieb ihn voran: "Unternehmertum und Privatisierung waren in Mode", erinnert er sich. Auf diesen Zug sollte auch die Hochschule aufspringen: Neben den Studenten in Reha-Maßnahmen sollten auch "Selbstzahler" an der Hochschule studieren. Menschen, die für ihr Studium Gebühren zahlen - das war alles andere als üblich in Deutschland.
Entsprechend groß waren die Widerstände in der Hochschule, wie sich Hekking erinnert. Doch die härtesten Kritiker habe er bei einem Ausflug "bei Rotwein und Raclette überzeugt". Auch Horst Methner, Rektor von 1980 bis 2000, war nicht begeistert. Aber er sagte: "Wir müssen es machen oder wir beerdigen die Hochschule gleich." Also wagte man den Schritt. Der Studiengang Musiktherapie wurde 1992 "für Selbstzahler geöffnet". Und die Nachfrage war da: "In der ersten Runde hatten wir 80 Anmeldungen", so Hekking.
Hintergrund
Die SRH-Hochschule in Zahlen
> 3400 Studentinnen und Studenten sind derzeit eingeschrieben. Die 3000er-Marke wurde 2012 überschritten.
> 600 Euro pro Monat kostet aktuell der günstigste Studiengang: ein
Die SRH-Hochschule in Zahlen
> 3400 Studentinnen und Studenten sind derzeit eingeschrieben. Die 3000er-Marke wurde 2012 überschritten.
> 600 Euro pro Monat kostet aktuell der günstigste Studiengang: ein Master in Therapiewissenschaften. Am meisten Geld zahlt man dagegen für den Master in Sales Management, nämlich 890 Euro monatlich.
> 38 Studiengänge gibt es derzeit an sechs Fakultäten der SRH-Hochschule. Neben "Klassikern" wie BWL, Informatik und Maschinenbau finden sich auch Exoten wie Tanz- und Bewegungstherapie, "Big Data and Business Analytics" und Virtuelle Realitäten.
> 275 Dozenten, Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter sind an der Hochschule beschäftigt.
> Sieben Partnerhochschulen gehören mittlerweile zum Mutterkonzern SRH Holding. Sie sitzen in Berlin (2), Gera, Hamm, Riedlingen, Wiesbaden und in Paraguay. dns
Die Revolution stieß vielen Professoren zwar bitter auf, aber sie hatte Erfolg. Die Hochschule wuchs wieder, sodass Methners Nachfolger Wolfram Hahn (2000-2008) wenige Jahre später vor einem ganz anderen Problem stand: "Wir hatten zu wenig Platz." Also wagte man wieder einen großen Schritt: In der Lugwig-Guttmann-Straße begann man mit der Errichtung des neuen Campus - vor allem des "Science Towers", des blauen Turms, der mittlerweile zur Landmarke geworden ist. 2004 wurde er fertig. "Der Umzug weckt einen neuen Geist und stärkt die Identifikation von Mitarbeitern und Studierenden mit ihrer Hochschule", schrieben SRH-Mitarbeiter fünf Jahre später in der RNZ.
Die letzte große Umwälzung ist erst sieben Jahre her und war erstmals nicht aus der Not heraus geboren. "Wir waren in einer Phase, in der es der SRH richtig gut ging. Deshalb konnten wir experimentieren", denkt Ex-Rektor Jörg Winterberg (2008-2017) an seine ersten Jahre im Amt zurück. Ein neues Studienmodell sollte her. "Als private Hochschule müssen wir uns positionieren", war er überzeugt.
In Deutschland gebe es nämlich ein "hochklassiges Bildungsangebot" an staatlichen Unis. Die privaten könnten jedoch "ein Stachel im Fleisch der öffentlichen Hochschulen" sein, ist er überzeugt. Doch das gehe nur mit herausragender Qualität. Deswegen wurde erstmal in großem Stil gebrainstormt: "Wir kamen da mit spinnerten Ideen."

39 Jahre Hochschulleitung (unten rechts, v.l.): Wolfram Hahn (2000-2008), Jörg Winterberg (2008-2017), Katja Rade (seit 2017) und Horst Methner (1980-2000). Foto: SRH
Was herauskam, entpuppte sich wiederum als Erfolg. Das "Core"-Prinzip (Competence Oriented Research and Education, also: Kompetenzorientierte Forschung und Lehre) setzt auf eigenverantwortliches Lernen. "Wir ziehen das von hinten auf", erklärt Susanne Edinger, die das Modell mitentwickelt hat. Wichtig sei, was ein Student am Ende können soll. "Daran richten wir alles aus." Auch hier gab es Widerstände. Langjährige Dozenten mussten ihre Vorlesungen über den Haufen werfen.
"Aber letztlich sind fast alle diesen Weg mitgegangen", so Winterberg. Und spätestens die Verleihung des Genius-Loci-Preis für "Exzellenz in der Lehre" im Jahr 2018 gab ihm Recht. In Empfang nahm ihn Katja Rade, die die Hochschule seit 2017 leitet, und die Auszeichnung als Höhepunkt in deren Geschichte sieht. Aber auch als Ansporn für weitere Entwicklungen. Denn: "Unsere Tradition ist auch Motor für Erneuerung und Innovation."