Luigi Toscanos Ausstellung über Holocaust-Überlebende kommt nach Heidelberg
Seit über sechs Jahren fotografiert Luigi Toscano Holocaust-Überlebende - Unmöglich, an ihnen vorbeizugehen

Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Luigi Toscano befindet sich in einem Wettlauf. Seit 2014 reist er um die Welt und fotografiert Überlebende des Holocaust. 400 Porträts sind bisher entstanden, aber Toscano macht immer weiter – bis es keine Zeitzeugen der NS-Taten mehr gibt. "Manchmal komme ich zu spät", sagt der Mannheimer Fotograf. Er hat das schon öfter erlebt: Alles ist fest vereinbart, doch kurz vorher sagen Angehörige den Fototermin ab – weil der Mensch, den Toscano porträtieren wollte, gerade verstorben ist. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Hintergrund
Das Programm
> Zeitzeugengespräch: Die Ukrainerin Anne Strishkowa war als kleines Mädchen in Auschwitz und wurde von KZ-"Arzt" Josef Mengele als Versuchskind missbraucht. Am Dialogtisch auf dem Uniplatz spricht sie mit Luigi Toscano.
> Diskussionsrunde:
Das Programm
> Zeitzeugengespräch: Die Ukrainerin Anne Strishkowa war als kleines Mädchen in Auschwitz und wurde von KZ-"Arzt" Josef Mengele als Versuchskind missbraucht. Am Dialogtisch auf dem Uniplatz spricht sie mit Luigi Toscano.
> Diskussionsrunde: Mit internationalen Gesprächspartnern geht es am Dialogtisch auf dem Uniplatz um die Frage: "Was bedeutet Erinnerung?".
> Lesung: Wunderhorn-Verleger Manfred Metzner und Karla Jauregui vom Montpellierhaus lesen im Karlstorbahnhof aus den Memoiren der Filmkritikerin Lotte Eisner ("Ich hatte einst ein schönes Vaterland").
> Film: Im Karlstorkino wird Toscanos Filmdokumentation "Gegen das Vergessen" gezeigt.
> Wissenschaft: Die Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin Tine Voecks besucht mit ihren Studierenden der Pädagogischen Hochschule im Rahmen des Seminars "Resonanz" die Ausstellung und führt Gespräche mit Besuchern zum Thema Kunst im öffentlichen Raum.
"Gegen das Vergessen" heißt Toscanos Projekt: Über eine Million Leute haben die Porträts schon gesehen, in Mannheim, Kiew, New York, Wien, San Francisco oder Paris. Nun holt das Kulturhaus Karlstorbahnhof die Ausstellung nach Heidelberg. Das war schon 2020 geplant, fiel wegen Corona jedoch aus. Nun ist es soweit: Vom 23. April bis 7. Mai werden 100 Porträts auf dem Universitätsplatz gezeigt – mitten in der Stadt, denn das ist Teil des Konzepts. "Wir wollen auch Menschen mit dem Thema konfrontieren, die sich sonst nicht aktiv damit auseinandersetzen würden", sagt Toscano. Weil nicht jeder in Gedenkstätten geht, "muss das Thema auf die Straße", ist er überzeugt.
Die Porträts sind eindringlich: Die Gesichter tauchen aus einem schwarzen Hintergrund hervor, blicken den Betrachter frontal an, manche ernst, andere lächelnd, viele offen, einige erschöpft, einzelne triumphierend. Gezeigt werden die Fotos über zwei Meter groß. Es ist fast unmöglich, einfach an ihnen vorbeizugehen.

"Als ich vor sechs Jahren damit anfing, war mir nicht klar, dass mich die Begegnungen mit den ehemaligen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern so tief berühren würden", sagt Toscano, "und auch nicht, was dieses Projekt für Brücken schlagen wird." Im Mai 2019 machte "Gegen das Vergessen" weltweit Schlagzeilen: Die im Wiener Burgring unter freiem Himmel ausgestellten Fotografien wurden drei Mal von Unbekannten mutwillig zerstört und beschmiert. "Das war entsetzlich", sagt Toscano. "Aber was dann folgte, gab mir viel Hoffnung." Nach und nach kamen immer mehr junge Menschen – und beschützten die Porträts. Sie hielten Mahnwachen ab, rund um die Uhr. "Da war etwa auch die Muslimische Jugend Österreich dabei", erinnert sich Toscano. "Ich werde nie vergessen, wie der Oberrabbiner von Wien zu den jungen Muslimen ging, um ihnen Essen für das Fastenbrechen zu bringen."

Der 46-Jährige will mit seinem Projekt die Überlebenden würdigen und der Opfer gedenken, aber auch im Hier und Heute gegen Rassismus und Antisemitismus wirken. Deshalb hat er das Ganze nun auf die nächste Ebene gehievt: "Die Ausstellung in Heidelberg ist der Startschuss für ein langfristig angelegtes Bildungsprogramm." Vor einigen Monaten wurde dafür der Verein "Gegen das Vergessen" gegründet, pädagogischer Leiter ist der Heidelberger Max Martin – als studierter Pädagoge und Fotograf die Idealbesetzung.

"Wir rufen alle Lehrerinnen und Lehrer auf, sich bei uns zu melden", sagt Martin. Im Angebot sind etwa Ausstellungsführungen mit Luigi Toscano, Gespräche mit den Porträtierten, E-Learning-Module oder die Arbeit mit Videosequenzen. Denn Toscano ist auch Filmemacher und hat letztes Jahr eine Dokumentation über seine Begegnungen mit den Holocaust-Überlebenden gedreht.

Eines ist Martin und Toscano dabei besonders wichtig. "Das Bildungsprogramm soll sein wie die Ausstellung, sehr persönlich, sehr niederschwellig. Wir sind da offen für alles, gehen auch auf individuelle Bedürfnisse ein", sagt Martin. "Wir wollen eine dynamische Erinnerungsarbeit." Toscano hat damit schon viele gute Erfahrungen gemacht: "In Ingelheim planen Schüler eine eigene kleine Ausstellung auf ihrem Schulhof." Und in Mainz haben die Jugendlichen selbst nach Überlebenden des NS-Terrors gesucht und deren Geschichten dann ihren Mitschülern nahegebracht. Dabei wendet sich das Bildungsangebot nicht nur an junge Menschen. "Wir können uns auch die Zusammenarbeit mit Volkshochschulen gut vorstellen", sagt Max Martin.
Während der Ausstellung auf dem Uniplatz ist auch ein Begleitprogramm geplant (siehe Hintergrund). An einem Dialogtisch, an den sich Luigi Toscano auch mal ganz spontan setzen will, können die Besucher ins Gespräch kommen. Aber natürlich haben die Veranstalter auch die Entwicklung der Pandemie auf dem Schirm. "Wir planen alles zweigleisig", sagt Karlstorbahnhof-Chefin Cora Malik. Jeder Programmpunkt funktioniere komplett analog, komplett digital – oder als Mischform.
Info: Infos zu Projekt, Ausstellung und Bildungsprogramm unter www.luigi-toscano.com. Kontakt für Interessierte am Bildungsprogramm per E-Mail an education@luigi-toscano.com.



