Plus Freiräume in Heidelberg

"Kultur ist mehr als nur eine Ware"

Künstler Thomas Traub sprach mit der RNZ über gesellschaftliche Teilhabe und träge Strukturen.

24.07.2022 UPDATE: 24.07.2022 06:00 Uhr 5 Minuten, 17 Sekunden
Das "Feierbad" im Neuenheimer Feld. Foto: Rothe
Interview
Interview
Thomas Traub (38)
Freischaffender Künstler, Schlagzeuglehrer und Inhaber einer Textildruck-Werkstatt

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Mehr und dauerhafte Flächen für die Kultur, diskriminierungsfreie und behindertengerechte Räume zum Feiern und Arbeiten, mehr Mitsprache bei städtischen Kulturprojekten – das sind nur einige von mehreren Forderungen kulturschaffender Menschen aus Heidelberg und Umgebung.

Um darauf aufmerksam zu machen, hat ein Bündnis aus mehr als 20 Gruppen für diesen Samstag zur Kundgebung aufgerufen. Initiator Thomas Traub (38), freischaffender Künstler, Schlagzeuglehrer und Vorsitzender des Vereins Spielraum, erklärt im Interview, um was es geht – und wo die Stadt in seinen Augen Geld verbrennt.

Herr Traub, Sie und Ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter gehen an diesem Samstag auf die Straße, weil Sie – Zitat – "wütend" sind. Warum und auf wen genau?

Wir junge Menschen als größte Bevölkerungsgruppe der Stadt werden systematisch ignoriert. Wir haben es satt, seit Jahren über dieselben Probleme zu klagen, ohne dass sich etwas bewegt.

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Können Sie das genauer erklären?

Das Angebot an kulturell nutzbaren Räumen in Heidelberg wird immer weniger. Ich komme selber vom Dorf, da gab es nichts. Wenn man irgendetwas anpacken wollte, dann hat man eben einfach gemacht. Deswegen gefällt mir die Idee, Kultur nicht als reines Konsumprodukt zu verstehen. Kultur ist mehr als nur eine Ware, Kultur ist auch gesellschaftliche Teilhabe. Genau daran fehlt es aber in unserer Stadt.

Inwiefern?

Du kannst in Heidelberg zwar viel Kultur erleben – aber eben in erster Linie als Konsumprodukt. Natürlich kannst du hier in einen Club, ins Kino oder ins Theater gehen – aber wo sind die kulturellen Orte, die du selber mitgestalten kannst? Die gibt es hier nicht. Dabei sind es solche Orte, die einer Stadt erst einen Mehrwert und einen Charakter geben.

Heidelberg hat also keinen Charakter?

Heidelberg hat jedenfalls zu viele Orte des Konsums. Wenn man sich etwa die Altstadt anschaut: Da ist jeder zweite Laden ein Brillen- oder Fast-Food-Laden. Wenn die Stadt nur noch dem Geld gehört, bleibt alles andere auf der Strecke – und das ist dann irgendwann auch nicht mehr attraktiv für die Bewohnerschaft, egal ob jung oder alt.

Was wären Orte, die Heidelberg für Sie wieder attraktiver machen würden?

In Mannheim gibt es zum Beispiel das Freizeitzentrum "Alter". Da kann man ohne großen Aufwand einfach hingehen, Sport machen oder eine Bühne nutzen – also ein öffentlicher Raum, der von der gesamten Stadtgesellschaft niedrigschwellig bespielt werden kann. So etwas gibt es bei uns nicht. Heidelberg ist vor allem Disneyland. Die Altstadt ist für Touristen da, da gibt es ein Schloss und einen Brückenaffen, wo man nette Fotos machen kann – aber die Menschen, die eine Stadt eigentlich ausmachen und prägen, will man möglichst aus dieser Kulisse heraushalten.

Mit "man" meinen Sie die Verwaltung?

Ja. Was ich in 20 Jahren Kulturarbeit in Heidelberg gelernt habe, ist: Die Stadt ist immer irgendwo miteingebunden. Sie will überall mitreden und überall den Daumen drauf haben. In der Verwaltung sieht man es nicht gerne, wenn irgendwo etwas passiert, worauf man keinen Einfluss hat. Aber eine Jugend-, eine Sub-, eine Gegenkultur – das lässt sich nicht erzwingen, das muss sich von selbst ergeben. Die Verwaltung könnte zwar die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, doch das Problem ist: Sie weiß einfach nicht, was es dafür braucht.

Während der Pandemie hat die Stadt die Stelle eines Nachtbürgermeisters ins Leben gerufen, der sich um die Nachtkultur in Heidelberg kümmern soll. Mit dem "Jungen Büro" gibt es seit Anfang des Jahres eine neue Anlaufstelle für junge Menschen. Zudem hatte die Verwaltung mit dem "Team Z" schon 2019 eine eigene Zwischennutzungsagentur gegründet, durch deren Arbeit leere Räume in der Stadt kreativ genutzt werden sollen. Hat sich da in den letzten Jahren nicht auch viel Positives getan?

Wenn man sich einmal anschaut, wie das "Team Z" oder der Nachtbürgermeister-Posten organisiert sind – das läuft alles über das Stadtmarketing. Das sind Stellen, die werden eingerichtet, aber letztlich haben die entsprechenden Personen kaum Möglichkeiten, Dinge zu verändern. Da wird versucht, Problemen gerecht zu werden, ohne dass man es wirklich schafft. Was fehlt, ist eine richtige Vermittlerrolle zwischen Kulturschaffenden und Verwaltung – eine Rolle, die viel dynamischer und flexibler ist als die einer langsamen und statischen Verwaltung. Wenn die Stadt etwas macht, dann ist es am Ende oft einfach sehr steif, sehr uncool und sehr unflexibel.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir das "Feierbad".

Sie meinen den Pop-up-Club am Tiergartenbad, den "Heidelberg Marketing", die Nachtbürgermeister und Jugendgruppen letztes Jahr ins Leben gerufen haben, und für dessen Neuauflage der Gemeinderat erst am Mittwoch 133.000 Euro freigegeben hat.

Im "Feierbad" geht um Mitternacht die Musik aus, die jungen Leute werden nach Hause geschickt – da frage ich mich, ob überhaupt verstanden wird, wie die Jugend feiert und feiern will. Im Winter hat man ja gesehen, dass dieses Format nicht mehr gut bei der Zielgruppe ankommt. Und trotzdem macht man weiter und schmeißt Hunderttausende Euro zum Fenster hinaus, ohne dass das Ganze irgendwie nachhaltig wäre.

Was ist mit dem Airfield, dem ehemaligen US-Flugplatz im Heidelberger Süden, den die Stadt nun an mehreren Wochenenden für die Menschen freigibt?

Das ist in meinen Augen weder wirtschaftlich noch nachhaltig. Auch da wird viel Geld ausgegeben für eine Fläche, auf der man am Ende picknicken und ein bisschen mit dem Fahrrad im Kreis fahren kann. Das ist in meinen Augen verbranntes Geld.

Wurden Sie in die Entscheidung, was auf dem Airfield passiert, miteinbezogen oder haben Sie sich selbst miteingebracht?

Alle interessierten Kulturakteure wurden im Dezember von der Grünen-Fraktion für eine Besichtigung der Fläche eingeladen. Es gab dann ein Online-Meeting, bei dem man seine Ideen für die Fläche vorstellen konnte. Bei dem Termin wurde sehr schnell aber vor allem eines klar – nämlich was alles nicht geht. Ich weiß noch, wie ein Mitglied der Verwaltung sagte: Man müsse ja auch berücksichtigen, was man der Stadt zumuten könne. Wir haben den Vorschlag eingebracht, ein Zelt, ein Klo und ein Aggregat auf die Fläche zu stellen und dann einfach mal zu machen – ernst genommen wurden wir damit nicht.

Einfach mal machen – was heißt das?

Man hätte dort zum Beispiel Konzerte, Poetry-Slams oder auch eine Party veranstalten können. Aber wenn du das machst, hast du natürlich sofort Anwohner, die sich daran stören. Das ist wie mit dem Bau von Windkrafträdern – im Grunde eine gute Idee, aber wehe, es passiert vor der eigenen Haustür. Das ist das Problem mit Kultur, die nicht zur Hochkultur gehört – die will niemand, deswegen findet man sie, wenn überhaupt, nur noch in der Peripherie.

Was wünschen Sie sich?

Wir brauchen wieder mehr Freiräume und Orte in Heidelberg, wo Menschen kulturell aktiv sein, wo sie sich ausleben und ihre Arbeit vorstellen können – damit meine ich nicht nur Veranstaltungsflächen, sondern auch Proberäume, Ateliers, Werkstätten. Diese Orte sollten gut zu erreichen und vor allem finanzierbar sein. Es geht da nicht allein um unsere Interessen, es geht auch um die Frage, wem die Stadt gehört, wie viel Freiraum man ihren Bewohnern noch lässt.

Und was braucht es dafür?

Es bräuchte zunächst einmal einen Tisch, an dem sich alle Akteure versammeln, an dem man diskutiert und auslotet, was alles möglich ist. Es ist ja nicht so, dass wir nur in unserer Blase bleiben und unser eigenes Ding machen wollen. Wir sind durchaus bereit, mit der Stadt zusammenzuarbeiten.

Unter welchen Bedingungen?

Die Bürokratie müsste deutlich zurückgefahren werden. Ich habe viele gute Projekte scheitern sehen von Menschen, die am ausgestreckten Arm verhungert sind, die zerrieben und frustriert waren, weil die Mühlen von Verwaltung und Gemeinderat so langsam mahlen. Das schreckt die meisten früher oder später ab und führt dazu, dass Kulturschaffende die Stadt verlassen. So verpufft viel kreatives Potenzial. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre mehr Transparenz.

In welcher Hinsicht?

Die Verwaltung sollte sich besser erklären. Man wäre weniger gefrustet, wenn einem mitgeteilt würde, warum manche Projekte gefördert werden und andere nicht. Ich gönne ja allen kulturellen Akteuren ihre Förderung. Wir wollen auch anderen Kulturträgern und Einrichtungen nichts wegnehmen. Aber man muss eben auch schauen, wofür das Geld am Ende ausgegeben wird und bei wem es ankommt.

Und wie sieht Ihr Beitrag aus?

Es wird ja oft kritisiert, dass sich kaum noch Menschen ehrenamtlich engagieren. Was wir machen, ist genau das: Wir engagieren uns ehrenamtlich. Und damit machen wir kostenlose Kulturarbeit. So günstig wie bei uns bekommt es die Stadt nirgendwo sonst.

Info: "Kulturdemo – Freiräume schaffen und erhalten", Samstag, 23. Juli, 17 Uhr, Treffpunkt: Stadtbücherei/Schwanenteichanlage – von dort aus geht es über die Hauptstraße zum Rathaus.

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