"Die Streitlust ist noch da"
Wolfgang Lachenauer ist gerade 70 Jahre alt geworden - Seit 25 Jahren sitzt der Anwalt für die "Heidelberger" im Stadtrat - Und hat immer noch nicht genug davon

Seine Frau und sein Sohn haben zu Wolfgang Lachenauer gesagt: "Wenn du das nicht machst, regst du dich doch bei der Lektüre der RNZ sowieso auf, weil du nicht mehr mitmischen kannst." Deshalb kandidiert der 70-Jährige erneut für den Gemeinderat. Foto: Hentschel
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Wolfgang Lachenauer ist Rechtsanwalt und Stadtrat aus Leidenschaft. Die von ihm mitgegründete Wählerinitiative "Die Heidelberger" wurde gerade 25 Jahre alt, 1998 unterlag er als Oberbürgermeisterkandidat nur knapp der Sozialdemokratin Beate Weber. Im RNZ-Interview erklärt der ehemalige Basketball-Studenten-Nationalspieler, warum er von den langen Diskussionen im Gemeinderat noch immer nicht genug hat.
Sie sind gerade 70 Jahre alt geworden und sitzen seit 25 Jahren im Gemeinderat. Jetzt kandidieren Sie wieder. Warum tun Sie sich das immer noch an?
Eine rationale Erklärung kann ich dafür nicht geben. Ich kann es nur emotional begründen. Mein Herzblut hängt einfach an der Kommunalpolitik. Auch mein Sohn Marc und meine Frau Jutta meinten, dann soll ich es halt nochmal machen. Nach dem Motto: Wenn du das nicht machst, regst du dich doch bei der Lektüre der RNZ sowieso auf, weil du nicht mehr mitmischen kannst. Das stimmt wohl, obwohl ich das noch vor einem Jahr ganz anders gesehen habe.
Das müssen Sie erklären.
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Als ich in der Orthopädie lag, wo ich nach 20 Jahren meine künstliche Hüfte wechseln ließ, bekam ich dort einen Herzinfarkt und wurde mit Blaulicht in die Chirurgie gebracht. Das Schlimme ist: Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich eigentlich quietschfidel. Aber meine Blutwerte waren sehr schlecht. Dort wurden mir notfallmäßig drei Bypässe gelegt. Nach der OP hatte ich große Schmerzen und Atemnot. Das größte Problem war aber im Kopf. Wie damit umgehen?
Wollten Sie danach aufhören?
Ich wollte zunächst nicht mehr arbeiten und auch aus der Politik aussteigen. Aber nach sechs bis acht Wochen Zeit zum Überlegen in der Reha bin ich langsam wieder reingerutscht. Heute fühle ich mich wieder fit. Zwar mache ich beruflich etwas weniger, dafür widme ich mich etwas mehr der Politik. Ich mache das aber nicht auf ewig. Ich denke, das ist meine letzte Wahlperiode und dass ich die fünf Jahre noch durchziehen werde.
Trotzdem noch einmal meine Frage: Warum das alles?
Die Streitlust ist noch da. In Heidelberg haben wir momentan eine Phase des Stillstands. Die "linke" Mehrheit im Gemeinderat, also die, die uns gegenübersitzen, betrachten alles, was von der Verwaltung kommt, zunächst mit Argwohn. Auf der einen Seite wollen sie billigen Wohnraum, aber keinen Landschaftsverbrauch, auch Nachverdichtung wollen sie nicht. In meinen Augen lässt sich diese Mehrheit allzu sehr von dem "Bunten Linken"-Stadtrat beeinflussen, der sehr viele Vorschläge der Verwaltung grundsätzlich ablehnt. Da wird jeder Arbeitsplatz, der in Heidelberg geschaffen wird, erst einmal als Problem gesehen. Weil er damit angeblich die Wohnungsnot verschärft und zu mehr Verkehr führt. Gegen solche Positionen will ich ankämpfen.
Ihr wichtigster Mitstreiter geht von Bord: Fraktionsvorsitzender Matthias Diefenbacher will nicht mehr kandidieren. Jetzt stehen Sie auf einmal wieder in der ersten Reihe der "Heidelberger".
Das ist richtig, wobei wir auch in Kirchheim sehr engagierte Mitglieder haben und Larissa Winter-Horn in Rohrbach. Aber es stimmt schon: Mit Matthias Diefenbacher war die Zusammenarbeit sehr gut. Zu jeder Tages- und Abendzeit konnte man etwas bereden. Er war auch immer sehr gut informiert, dadurch konnten wir die Fraktion gut leiten. Das wird jetzt natürlich schwieriger, der Aufwand wird größer. Vielleicht schafft es Jörn Fuchs, unser Stadtteilvereinsvorsitzender aus Kirchheim, ja in den Gemeinderat. Er hat einen guten Einblick, welche Probleme Vereine und Stadtteile oft mit der Verwaltung haben.
Die "Heidelberger" haben aktuell nur 70 Mitglieder, mussten aber 48 Listenplätze füllen. Da müssen auch Söhne und Ehefrauen ran.
Richtig. Die Familie ist voll eingespannt. Bei mir ist es meine Frau und ein Sohn. Karlheinz Rehm hat dafür seine Tochter animieren können. Auch aus der Familie von Matthias Diefenbacher ist jemand dabei. Aber wir haben auch etliche neue Leute.
1994 sind die "Heidelberger" als Gegenbewegung zu Beate Weber angetreten. Was ist einfacher: Opposition gegen eine Sozialdemokratin wie Weber oder Unterstützung für Eckart Würzner?
Früher waren wir gegen die Verkehrspolitik von Beate Weber. Das war viel einfacher. Zudem waren wir politische Neulinge. Wenn ich sehe, was wir damals für Schlagworte hatten: Keine Bezahlung von Stadträten, zum Beispiel. Wir dachten, es müsse alles ehrenamtlich und offen sein. Wenn man dann auf einmal im Betrieb drin ist, sieht man, dass nicht alles so funktioniert, wie man sich das in seiner Naivität vorgestellt hat. Heute sind wir in der Position, dass wir oft die Verwaltung gegen die Mehrheit des Gemeinderates stützen müssen, wobei uns das auch nicht immer leichtfällt. Dadurch haben wir nicht so klare Kanten wie damals gegen Beate Weber.
Wie wollen Sie Profil gewinnen?
In dem Moment, wo sich die anderen Parteien versuchen zu profilieren, können wir auch wieder Kante zeigen. Die erstarkten Grünen, das fordert Widerstand heraus. Wir können nicht alles grün anstreichen.
Wenn man die Themen heute mit denen von 1994 vergleicht: So viel hat sich doch gar nicht verändert?
Das stimmt. Manche Themen sind nur etwas dringlicher geworden - vor allem der Verkehr und das Neuenheimer Feld und die Finanzen. Frau Weber war ja in einer schlechten Situation, was die Finanzen angeht. Und sie hat das trotzdem ganz gut hingekriegt. Jetzt geht es uns von der Einnahmesituation her sehr viel besser. Wir schaffen es aber nicht, Schulden zu tilgen. Die Anspruchshaltung der Bevölkerung führt dazu, dass man nicht genügend Blick auf die Finanzen hat.
Dann macht man sich aber auch nicht beliebt, wenn man als Spaßbremse auftritt und sagt, ihr müsst erst einmal auf das Geld gucken.
Das ist die Krux, in der man sich als Politiker befindet. Der Haushalt interessiert die Bevölkerung überhaupt nicht. Gegen den aktuellen Doppelhaushalt hatten wir wohl 58 Einwendungen, davon kamen ca. 55 von den Heidelberger Sinfonikern. Das heißt, die Leute interessiert das gar nicht, weil ihre Interessen alle bedient wurden.
Ist diese Haltung der Grund, warum die "Heidelberger" immer noch als eigenständige Liste antreten? Man könnte ja auch gemeinsame Sache mit den Freien Wählern machen oder mit der CDU.
Ich will jetzt nichts Schlechtes über die Freien Wähler sagen. Sie stellen aber zur Zeit keine politische Kraft mehr dar in dem Sinn, dass sie mit einer einheitlichen Meinung auftreten. Wir haben ja immer wieder Kontakt und reden über Fusionen. Das wird inzwischen eher möglich sein, weil bestimmte Köpfe nicht mehr da sind. Und wenn ich bei den "Heidelbergern" abtrete, ist vielleicht auch für die Freien Wähler ein rotes Tuch beseitigt. Aber die CDU? Sollen wir etwa eine vierte Abteilung in der CDU aufmachen?
Sie sind für die fünfte Neckarquerung und den Nordzubringer durchs Handschuhsheimer Feld als "Radieschentunnel". Sind Sie die Autopartei Heidelbergs?
Wenn man nur diese beiden Themen betrachtet, könnte man das meinen. Wir sind der Auffassung, der Individualverkehr muss ins Neuenheimer Feld kommen. Das können irgendwann auch autonom fahrende Fahrzeuge mit Elektroantrieb sein. Der Platzbedarf ist derselbe. Eine Fünfte Neckarquerung kann ja auch für die Straßenbahn genutzt werden. Und unser "Radieschentunnel" würde den Gärtnern zu 90 Prozent entgegenkommen. Die Oberfläche bleibt nach dem Bau dieselbe. Man gräbt die Erde auf, legt die Röhre rein, schüttet alles wieder zu und nach einem Jahr sieht alles aus wie vorher. Die Anbindung ist natürlich wie bei jedem Tunnel etwas schwieriger. Alles in allem wäre das aber ein verträglicher Eingriff.
Die Fünfte Neckarquerung wäre dagegen nicht verträglich.
Doch, und im Endeffekt würden davon auch die Wieblinger profitieren. Der Stadtteil wäre auf einmal gut an das Neuenheimer Feld angebunden, der Wert der Grundstücke und Häuser würde steigen. Auch die Mannheimer Straße wäre wieder belebter. Zu mir hat mal ein Wieblinger gesagt: Da kannst Du Dich fünf Minuten auf die Straße legen und wirst nicht totgefahren.
Wird es die "Heidelberger" in 25 Jahren noch geben? Wolfgang Lachenauer kommt als 95-Jähriger mit dem Rollator auf die Bühne.
Mit 95 Jahren nur Rollator wäre schön. Ich denke als "Heidelberger" allein wird es uns nicht mehr geben. Es gibt aber ja noch eine zweite freie Wählervereinigung. Ich denke, die beiden Gruppierungen sind so nah beieinander, dass sie irgendwann zusammengehen werden. Das würde ich auch befürworten. Aber eine Wählervereinigung abseits der etablierten Parteien wird auch dann noch ihre Daseinsberechtigung haben.