Dekanin im RNZ-Interview

"Leere Kirchenbänke habe ich in Heidelberg nicht erlebt"

Marlene Schwöbel-Hug über ihre elf Jahre als evangelische Dekanin - Schmerzliche Veränderungen und wunderbare Projekte - Lob für die Schausteller und einen Katholiken

16.08.2018 UPDATE: 18.08.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 9 Sekunden

Die evangelische Dekanin Marlene Schwöbel-Hug verlässt die Stadt und "ihre" Heiliggeistkirche. Ihr Nachfolger wird voraussichtlich im Januar von der Synode gewählt. Foto: Rothe

Von Birgit Sommer

Heidelberg. Der Umzugswagen kommt am Montag. Die evangelische Dekanin Marlene Schwöbel-Hug schickt ihr Mobiliar nach Oberndorf im Schwarzwald und wohnt ein paar Wochen lang bei einer Freundin. Die Wochenendbeziehung mit ihrem Ehemann, dem Chemieingenieur Rolf Hug, hat im Oktober ein Ende - dann ziehen sie zusammen. Denn nach elf Jahren als Dekanin in Heidelberg fängt die 64-Jährige noch einmal ganz neu an, als Pfarrerin und Seelsorgerin in Schiltach-Schenkenzell im Kirchenbezirk Ortenau. Dort wartet man seit zwei Jahren auf einen Pfarrer. Von ihrem Wohnort ist der Arbeitsplatz nicht weit entfernt. Marlene Schwöbel-Hug lacht: "Im Sommer 19 Kilometer, im Winter 25 Kilometer, sagt mein Mann." Die RNZ sprach mit ihr über ihre Zeit in Heidelberg und die Herausforderungen für die Kirche.

Frau Schwöbel-Hug, wie wird Ihnen Heidelberg in Erinnerung bleiben?

Es gibt eine Menge Dinge und ich blicke auf elf Jahre mit ganz großer Dankbarkeit zurück.

Am Anfang haben Sie sich hier nicht so wohlgefühlt.

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Ich habe ein gnädiges Gedächtnis. Es war vieles, weiß Gott, nicht einfach. Aber ich habe bei vielen Menschen so viel positive Resonanz gespürt, sowohl auf das Amt und die Kirche als auch letzten Endes auf die Person, dass das in mir große Dankbarkeit erzeugt. Ich bin ja in einer Zeit ins Dekanat gekommen, als die finanziellen Schwierigkeiten des Bezirks deutlich wurden.

Wussten Sie das vorher?

Das wusste ich nicht. Und gleichzeitig kam in der Evangelischen Kirche in ganz Deutschland das Liegenschaftsprojekt auf, wo man überlegen musste: Wie stellen wir uns mit den Gebäuden auf die Zukunft ein? Das heißt in vielen Bereichen, in finanziellen wie bei den Gebäuden, dass wir anders und neu denken müssen. Zum Beispiel müssen Pfarrgemeinden fusionieren, damit langfristig Gelder eingespart werden können. Solche Veränderungen sind zunächst schmerzlich. Es fehlt einem da oftmals ein bisschen die Fantasie, um zu schauen, was das Neue an Positivem bringen könnte. Aber das ist uns in Heidelberg nun gut gelungen.

Die Fusionen sind schon klar? Auch in Neuenheim?

Die Jakobusgemeinde hat Widerspruch gegen die Fusion mit der Johannesgemeinde eingelegt. Alle anderen Pfarrgemeinden haben sich auf den Weg gemacht und viel Vorarbeit geleistet. Zudem wurde ganz viel gebaut und saniert. Diese notwendigen Veränderungen wurden mit meiner Amtszeit als Dekanin gleichgesetzt, was ich manchmal als schwierig empfand.

Und was werden Sie gerne in Erinnerung behalten?

Wunderbare Dinge, bei denen wir mithilfe vieler Spender inhaltlich etwas bewegen konnten. Etwa den ökumenischen Nikolausfonds, bei dem Lehrer unkompliziert nach Zuschüssen fragen können, wenn Kinder sonst aufgrund finanzieller Schwierigkeiten der Eltern von Theaterbesuchen oder anderen Freizeitaktivitäten ausgeschlossen wären. Dieser Nikolausfonds ist gut bestückt. Es gibt die Aktion "Schulranzen für Janne", die ich ins Leben gerufen habe, es gibt einen Fonds für junge Familien in Not, und Spender ermöglichen uns, Seelsorge in drei Kliniken zu betreiben.

Der Beruf mit Verwaltung, Planung, Finanzen hat also Freude gemacht, obwohl die Kirche kein Geld hat?

Es gab tolle Kooperationen mit der Stadt - etwa bei den Jubiläen des Heidelberger Katechismus und der Reformation - und mit dem Theater bei den Tanzgottesdiensten. Es gab den Interreligiösen Dialog und im letzten Jahr die ökumenische Vereinbarung mit der katholischen Stadtkirche. Ich bekomme selbst aus Australien Briefe, dass diese Vereinbarung für unsere Kirche der richtige Weg und ein großer Fortschritt sei. Die vertrauensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem katholischen Dekan Joachim Dauer war überhaupt ein Geschenk in diesen Jahren. Und was ich als etwas ganz Besonderes empfinde: die unkomplizierte und gute Zusammenarbeit mit den Schaustellern. Sie starten den Weihnachtsmarkt erst nach dem Totensonntag und haben dafür gesorgt, dass die Kirchen bei der Eröffnung dabei sind, das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal im Land. Und die Schausteller haben sich finanziell für die Seelsorge in der Kinderklinik engagiert.

Was war Ihr schönstes Erlebnis in Heidelberg?

Das war der Reformationsgottesdienst 2017 mit der Unterzeichnung der ökumenischen Vereinbarung. Und es ist auch toll, dass zu großen christlichen Feiern immer Vertreter der jüdischen Kultusgemeinde und der muslimischen Gemeinde kommen.

Wenn Sie nun in den Schwarzwald ziehen, lassen Sie Großstadt- und Universitätsleben hinter sich.

Das ist sicherlich nicht leicht. Ich genieße die Uni-Atmosphäre und finde die intellektuellen Herausforderungen ungemein bereichernd, dieses bunte Leben hier in Heidelberg. Aber ich mag auch das Ländliche sehr und habe auch da schon viele Anregungen bekommen. Es liegt immer an den Menschen, die ein weites Herz und breite Interessen haben.

Wie fühlt sich solch ein Aufbruch an?

Ich spüre Dankbarkeit, dass ich in meinem Alter die Chance habe, etwas Neues zu beginnen.

Es ist vielleicht auch ungewöhnlich, dass Sie für wenige Jahre noch etwas Neues machen wollen?

Ich freue mich darauf. Ich bin von meinen Grundüberzeugungen her Pfarrerin. Was mir schwerfällt, ist, dass ich den engen Kontakt zu Menschen verliere, die mir in Heidelberg ans Herz gewachsen sind. Aber mein Mann und ich freuen uns auch sehr darauf, dass wir jetzt ein gemeinsames Leben an einem gemeinsamen Ort führen können.

Haben Sie einen Rat für Ihren Nachfolger?

Ich glaube, das steht mir nicht zu. Einen Rat würde ich auch nicht öffentlich geben. Heidelberg und die evangelische Kirche liegen mir am Herzen. Ich habe versucht, meine Arbeit so gut zu machen, wie ich konnte, mit dem Einsatz aller Kräfte. Aber natürlich macht man Fehler.

Vor denen man andere bewahren könnte?

Es ist schwierig, anderen einen Rat zu geben. Vielleicht lagen die Fehler auch in meiner Persönlichkeit begründet?

Angesichts der vielen leeren Kirchenbänke - wie kann Kirche überleben?

Leere Bänke habe ich in Heidelberg nicht erlebt. Wo ich gepredigt habe, war der Kirchenbesuch gut. Das ist natürlich auch der Unistadt geschuldet, dass man alle Generationen in der Kirche findet. Ich glaube, wir haben eine Botschaft, die für die Gesellschaft von großem Wert ist. Es geht bei der Kirche um Gottes weit geöffnete Arme. Es geht um sehr viel Barmherzigkeit und darum, dass wir mit Menschen im Gespräch bleiben. Natürlich müssen wir auch überlegen, was verändert werden kann.

Was meinen Sie?

Die Kirche braucht unterschiedliche Profile. Wir haben Gemeinden, die mehr charismatisch oder mehr liturgisch sind, und wir müssen diese Profile noch erweitern. Wir wollen in dieser Stadt eine "Kirche in neuen Formen" ins Leben rufen, wir wollen andere Formen des Gottesdienstes und des Feierns ausprobieren für Menschen, die nicht die Tradition einer kirchlichen Bindung erfahren haben. Das ist ab dem Jahr 2019 fest eingeplant. Klar, man kann bei manchen Dingen scheitern, aber wir brauchen den Mut, etwas Neues zu wagen. Gott hat uns das Boot gegeben, aber rudern müssen wir selber. Wir können uns nicht einfach treiben lassen, sondern wir müssen dem Boot eine Richtung geben.

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