Das Ende der Kurpfalz

"Napoleon war der Totengräber"

Mit dem Anschluss an Baden begannen der Aufschwung und der Wiederaufstieg der Universität - Die Menschen damals wollten vor allem Stabilität

14.08.2019 UPDATE: 15.08.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden

Von Micha Hörnle

Heidelberg. Um die "Kurpfalz" gibt es eine fast babylonische Bedeutungsverwirrung: Ist das nun ein Lebensgefühl? Oder ein territorialer Flickenteppich mit Heidelberg als Zentrum? Oder der badische Teil der alten Pfalz? Und was hat Napoleon mit alledem zu tun? Die RNZ sprach mit Prof. Frieder Hepp, dem Direktor des Kurpfälzischen Museums und einem der besten Kenner der Heidelberger Geschichte.

Von dem legendären Regisseur Curt Goetz gibt es einen alten Film namens "Napoleon ist an allem Schuld". Gilt das auch für das Ende der Kurpfalz?

Frieder Hepp. Foto: Rothe

Das kann man für die Kurpfalz durchaus behaupten. Napoleon, der "Weltgeist zu Pferde", wie ein abgewandeltes Hegel-Zitat lautet, war ihr Totengräber, und zwar in vielerlei Hinsicht.

Wie wurde 1803 das Ende der Kurpfalz begangen, gab es da irgendwelche Feiern?

Auch interessant
Anti-Napoleon-Koalition: Als Heidelberg kurz der Mittelpunkt der Welt war

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 war eine wichtige, aber nicht die einzige Etappe im Zuge des allgemeinen Länderschachers, der mit Napoleons Idee, die deutschen Fürsten für ihre linksrheinischen Gebietsverluste rechtsrheinisch zu entschädigen, einsetzte. Die Gründung des Rheinbunds 1806, mit der das Alte Reich formell zu Grabe getragen wurde, sollte man dabei ebenfalls im Auge behalten. Die Menschen begriffen allmählich, dass sich mit der Französischen Revolution und ihren Ideen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zum Teil sehr radikal veränderten. Zum Feiern sah die überwiegende Mehrheit der damals lebenden Menschen, von einigen Intellektuellen und Künstlern abgesehen, dafür keinen Anlass.

Hintergrund

> Die Kurpfalz entwickelte sich als historische Landschaft gegen Ende des 11. Jahrhunderts aus der Pfalzgrafschaft bei Rhein. Ab 1214 regierten ausnahmslos die Wittelsbacher, die heute als Verkörperung des bayerischen Adels gelten, dabei zählte der

[+] Lesen Sie mehr

> Die Kurpfalz entwickelte sich als historische Landschaft gegen Ende des 11. Jahrhunderts aus der Pfalzgrafschaft bei Rhein. Ab 1214 regierten ausnahmslos die Wittelsbacher, die heute als Verkörperung des bayerischen Adels gelten, dabei zählte der Heidelberger Herrscher als einer der sieben Kurfürsten - er durfte den König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wählen - zum absoluten Hochadel.

Tatsächlich teilten sich die Wittelsbacher im 14. Jahrhundert in eine pfälzische und in eine bayerische Linie. Erst als 1777 die bayerischen Wittelsbacher ausgestorben waren, kam es zur Wiedervereinigung mit der Pfalz - was zugleich deren erster Untergang war; denn neue Residenz war fortan München statt Mannheim. Doch gut 20 Jahre später zerstörte Napoleon die neue Einheit: Die Pfalz links des Rheins kam 1798 zu Frankreich, rechts des Rheins 1803 zu Baden. Erst nach Napoleons Niederlage 1815 kam die linksrheinische Pfalz wieder zu Bayern, der Rhein war die Grenze mitten durch die alte Kurpfalz. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor Bayern diesen Teil der Pfalz wieder, der mit weiteren weitgehend linksrheinischen Provinzen der Französischen Zone zum Land Rheinland-Pfalz fusionierte. Nordbaden wurde mit Nord-Württemberg unter dem amerikanischen Besatzungsregime erst zum Land Württemberg-Baden vereinigt; zusammen mit Württemberg-Hohenzollern und (Süd-) Baden wurde 1952 daraus das neue Bundesland Baden-Württemberg. hö

[-] Weniger anzeigen

Wurde das Ende der traditionsreichen Herrschaft von den Zeitgenossen als Katastrophe empfunden? Gibt es da irgendwelche Zeugnisse?

Nach allem was wir wissen, fühlten die Menschen in der ehemaligen Kurpfalz eher Erleichterung, dass mit der Übernahme der Regierung durch die Zähringer erstmals wieder stabile Lebensverhältnisse in den Behörden und im Alltag eintraten. Außerdem war man jetzt nicht mehr in dem Maße von den militärischen Ereignissen betroffen, wie das noch während der Revolutionskriege der Fall gewesen war.

Die Kurpfalz war ja kein geschlossenes Territorium, gab es da ein eigenes Bewusstsein als Kurpfälzer?

In der Tat verhinderte die territoriale Zersplitterung der Kurpfalz über die verschiedenen Zeitläufte hinweg ein einheitliches regionales Bewusstsein, und zwar bis heute. Nach meinem Eindruck haben die Menschen ohnedies erst im Zeitalter der Romantik so richtig begriffen, was sie mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches alles verloren haben, so auch die traditionsreiche "Pfalz am Rhein". Bezeichnenderweise hat ja König Ludwig I. von Bayern als einer der ersten den Verlust "seiner Kurpfälzer" in einfühlsamen Worten betrauert.

Wie war die Stimmung in Heidelberg? Karl III. Philipp hatte bereits 1720 seine Residenz nach Mannheim verlegt, und Karl Theodor war 1777 nach München gegangen. Da war doch die alte Residenzstadt Heidelberg praktisch bedeutungslos …

In Heidelberg war die Stimmung prächtig. Man spürte und erkannte, dass die neue Regierung in Karlsruhe mit der raschen Reorganisation der Universität, die ja bezeichnenderweise neben dem Universitätsgründer Ruprecht seitdem auch den neuen Landesherrn Karl Friedrich in ihrem Namen trägt, wieder gesellschaftliche Bedeutung und wirtschaftlichen Aufschwung in die Stadt brachte. Clemens Brentano hat diese Aufbruchsstimmung mit seiner Formulierung "So geht hervor ein’ neue Zeit" in dem Gedicht "Lied von eines Studenten Ankunft in Heidelberg" treffend zum Ausdruck gebracht.

Wenn die Kurpfalz so traditionsreich sein soll, was sind dann die Heidelberger? Heidelberger? Kurpfälzer? Badener?

Weltbürger mit Herz und Verstand!

Wie stark prägt Ihrer Meinung die Kurpfalz die Region heute noch?

Im Zuge der Globalisierung spielen regionale Vergewisserungen eine wichtige Rolle. Dies kommt natürlich auch der "Renaissance der Kurpfalz" zugute, die wir in den letzten Jahren verstärkt erleben. Wir spüren dies im Verkehrsverbund Rhein-Neckar, der sich ja weitgehend auf alten kurpfälzischen Gebieten realisiert hat, wir genießen sie in der Gastronomie und sehen die wachsende Bedeutung im Tourismus. Vor allem aber prägen kurpfälzische Themen das Kulturprogramm der Metropolregion weit über deren Grenzen hinaus, nicht zuletzt die großen kulturhistorischen Ausstellungen in den Museen in Mannheim, Speyer und Heidelberg.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.