Jetzt trifft es die erste soziale Einrichtung
Diakonisches Werk muss Tagesstätte für psychisch Kranke schließen - Wegen Corona fehlt das Geld - Kritik an Stadtverwaltung

Von Julia Lauer
Heidelberg. Sie treffen sich zum Austausch, zum Filmnachmittag oder starten von hier zum gemeinsamen Herbstspaziergang: Seit 37 Jahren finden psychisch kranke Menschen in der Plöck 16 einen Ort, wo sie ihren Alltag verbringen können. Bald ist damit Schluss. Denn die Tagesstätte, die das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche Heidelberg betreibt, soll zum Jahresende schließen. Damit ist sie die erste Einrichtung im sozialen Bereich, die durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen zu Fall gebracht wird.
Martin Heß, Diakonie-Geschäftsführer, bestätigte Gerüchte um die Schließung gegenüber der RNZ. "Hauptgrund sind die Finanzen", sagte er. Man habe alle Arbeitsfelder geprüft; das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche betreibt auch drei Seniorenzentren und bietet ambulante Dienste und Beratung für verschiedene Lebenslagen an. Ergebnis der Prüfung: "So leid es uns um die Tagesstätte tut, wir können dieses Angebot nicht aufrechterhalten." Sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben: Soll und Haben passen für den mischfinanzierten Wohlfahrtsverband nicht mehr zusammen, aus mehreren Gründen. In Corona-Zeiten, erklärt der Geschäftsführer, seien zum einen die selbst generierten Einkünfte gesunken, etwa im Diakonieladen Brot und Salz. Daneben werden auch längerfristig weniger Mittel zur Verfügung stehen, weil die Kirchen weniger über die Kirchensteuer einnehmen. "Das trifft uns ab 2022", sagt Heß. Der Spielraum ist also schon eng – unter Zugzwang, jetzt so schnell zu entscheiden, sah er sich jedoch aus einem anderen Grund. "Corona setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, wozu auch gehörte, dass die Stadt ihre Verträge mit uns im Mai gekündigt hat", erklärt Heß seinen Handlungsdruck.
Damals hatte die Stadt angesichts des erwarteten Defizits im städtischen Haushalt aufgrund der Coronakrise ihre Verträge mit freien Trägern im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich gekündigt – aus "formalen Gründen", wie es hieß. Damit wollte die Stadt der automatischen Erhöhung der Zuschüsse einen Riegel vorschieben. Der Gemeinderat entschied zwischenzeitlich, die Förderung in den beiden kommenden Jahren im gewohnten Umfang fortzusetzen – aber eben ohne die Erhöhung in Höhe von 2,5 Prozent. Auch das wirkt sich aus.
"Für uns bedeutet das, dass uns in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 15.000 Euro an städtischer Förderung fehlen", hat Heß berechnet. Denn seine Ausgaben erhöhen sich: Die Personalkosten für die insgesamt 90 Beschäftigten der Diakonie steigen aufgrund der Tarifbindung. "Diese 30.000 Euro müssen wir also irgendwo einsparen", so der Geschäftsführer.
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In einer Sitzung des Aufsichtsrates im September habe man sich schließlich auf die Schließung der Tagesstätte für psychisch Kranke verständigt. Sie sei noch am ehesten verzichtbar, ist Heß überzeugt. Momentan kommen 30 bis 40 Besucher regelmäßig in die Tagesstätte, zum Teil schon seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten. Sie leiden etwa an Schizophrenie oder an Borderline-Störungen, nach einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie fanden sie nicht in einen geregelten Alltag mit festen Strukturen zurück. Inzwischen haben einige von ihnen das Rentenalter erreicht. In der Tagesstätte finden sie Gesellschaft, Struktur, gemeinsame Beschäftigung.
Dass man sich dazu durchgerungen habe, ausgerechnet diese Einrichtung zu schließen, liege daran, dass die Klienten der Tagesstätte am ehesten an andere Angebote andocken könnten, meint Heß: an die Seniorenzentren zum Beispiel, und der sozialpsychiatrische Dienst der Diakonie könne sie weiterhin unterstützen. Daneben gebe es in der Stadt auch noch andere tagesstrukturierende Angebote, etwa an der Universität.
Die Stadt weiß um die Schließung der Tagesstätte. Die Diakonie habe das Amt für Soziales und Senioren informiert, teilt eine Rathaus-Sprecherin mit. Sie betont, dass der Gemeinderat die Zuwendungsverträge mit den sozialen und kulturellen Trägern verlängert habe, sodass diese in den beiden kommenden Jahren mit den gleichen Zuschüssen wie 2020 rechnen könnten – also keine Kürzungen befürchten müssten. Man arbeite mit dem Sozialverband zusammen, um eine adäquate Anschlussversorgung der Klienten über andere Träger zu ermöglichen, heißt es weiter vonseiten der Stadtverwaltung.
"Die Stadt ist in einer schwierigen Position. Wenn sie uns mehr Geld geben würde, müsste sie auch anderen mehr Geld geben", sagt Heß. Aber bei allem Verständnis für den Kurs der Stadt – "ich hätte mir einen anderen Umgang gewünscht", kritisiert er. Denn auch wenn der Gemeinderat die weitere Unterstützung zugesagt habe und man seit Jahren gut zusammenarbeite, fehle es dem Diakonischen Werk nach wie vor an Planungssicherheit; denn noch immer habe er nichts schwarz auf weiß. "Die Stadt hat insgesamt fünf Verträge mit uns gekündigt, aber wir haben bisher keinen Entwurf für neue Verträge erhalten."
Er hofft nicht mehr darauf, dass sich die Schließung der Tagesstätte aufhalten lässt, wie er sagt. Sie wirft Arbeit für 1,25 Vollzeitkräfte ab, die sich auf fünf Paar Schultern verteilt. Eine Mitarbeiterin geht in den Ruhestand, für die anderen vier seien bereits Lösungen in anderen Einrichtungen des Diakonischen Werks gefunden. Und auch die Räumlichkeiten, die der Stadtmission gehören, seien bereits zum Jahresende gekündigt.



