Bluttest-Skandal Heidelberg

Jetzt greift Uni-Rektor Eitel an der Uniklinik durch

Universität kündigt Vertrag mit Ausgründungsfirma TTH - Rektorat übernimmt Kontrolle - TTH-Geschäftsführer sind empört

26.05.2019 UPDATE: 26.05.2019 06:00 Uhr 4 Minuten, 5 Sekunden

Das Neuenheimer Feld aus der Luft: Seit Wochen tobt am dortigen Uniklinikum ein Machtkampf, in den sich jetzt auch Uni-Rektor Bernhard Eitel eingeschaltet hat. Foto: Sommer

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Im Skandal um den Brustkrebstest am Heidelberger Universitätsklinikum wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. So hat sich am Donnerstag der Rektor der Universität, Bernhard Eitel, eingeschaltet: Per Einschreiben kündigte er den Dienstleistungsvertrag mit der Technology Transfer Heidelberg GmbH (TTH).

Das Unternehmen ist seit 2012 für die Vermarktung von Forschungsergebnissen des Uniklinikums und der Medizinischen Fakultät zuständig. Mit diesem Schritt zieht der Rektor die Entscheidungsgewalt über Ausgründungen des Uniklinikums an sich. Eitel verfügt, dass alles, was die Vermarktung von Forschungsergebnissen der Unimedizin betrifft, über seinen Schreibtisch laufen soll. Und zwar mit sofortiger Wirkung.

Die TTH-Geschäftsführer Volker Cleeves und Jörg Rauch erheben in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen die Universität, den Vorstand des Klinikums und das Wissenschaftsministerium. "Mit uns spricht niemand", sagt Cleeves. Eitels Brief sei aus heiterem Himmel gekommen. Man habe sich nichts vorzuwerfen, die TTH arbeite sehr erfolgreich, man habe "exorbitante Erlöse", die auch der Medizinischen Fakultät zugutekämen.

Hintergrund
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Die Kündigung des Vertrags sei ein Schock, der die zehn Mitarbeiter der Ausgründungsfirma schwer treffe. Und die wahren Verantwortlichen für den Skandal - aus Sicht von Cleeves und Rauch sind das auch die Vorstandsmitglieder Annette Grüters-Kieslich und Irmtraut Gürkan - stünden weiter unter dem Schutz des Wissenschaftsministeriums in Stuttgart.

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Zeitgleich kommen Zweifel an den Vorwürfen auf, mit denen sich der jetzt freigestellte TTH-Geschäftsführer Markus Jones konfrontiert sieht. Nach RNZ-Informationen geht es um eine vermeintlich unkorrekte Auftragsvergabe. Jones selbst wurde bis Freitag kein Grund für seine Freistellung genannt. Alles, was er darüber weiß, hat er aus der RNZ erfahren. Die Freistellung hatte Grüters-Kieslich am Freitag vor einer Woche ausgesprochen. Zuvor hatte sich der Aufsichtsrat mit der Thematik beschäftigt.

Das Klima am Klinikum wurde durch die Aktion jedenfalls nicht verbessert. In einem Brief an den Aufsichtsrat kritisiert der Personalrat, von Jones’ Freistellung aus der RNZ erfahren zu haben. Dass man nicht informiert, geschweige denn an der Entscheidung beteiligt gewesen sei, sei eine "Missachtung der gewählten Beschäftigtenvertretung" und störe den Betriebsfrieden. Der Personalrat fordert ein Ende der "voreiligen Maßnahmen". Wenn dann aber Ergebnisse feststünden, erwarte man, mit "der angemessenen Härte und Konsequenz vorzugehen - und zwar bei allen, ungeachtet der Funktion und des Status".






Für die Mitarbeiter des Technology Transfer Heidelberg (TTH) war es ein Schock: Am Donnerstag flatterte ein Schreiben des Rektors der Universität ins Haus. Bernhard Eitel kündigt darin den Dienstleistungsvertrag mit der TTH - fristgerecht zum 30. November 2019. Eine Kündigung des Vertrags ging auch an die Uniklinik. Eine Erklärung gibt Eitel nicht, er schreibt lediglich: "Aufgrund von aktuellen Entwicklungen haben wir festgestellt, dass sich die bisherige Praxis nicht bewährt hat."

Damit steht das Ausgründungsunternehmen des Klinikums vor dem Aus. Seit 2012 hatte die TTH Forschungsergebnisse aus der Medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum auf den Markt gebracht - darunter auch den umstrittenen Brustkrebs-Bluttest der Firma Heiscreen. "Das kam aus heiterem Himmel, niemand hat vorher mit uns gesprochen", sagt Volker Cleeves, der die TTH gemeinsam mit Jörg Rauch als Geschäftsführer führt, gegenüber der RNZ.

Erst vor einer Woche hatte das Uniklinikum seinen Mitarbeiter Markus Jones, der als dritter TTH-Geschäftsführer bestellt war, freigestellt. Dem Universitätsklinikum gehören 90 Prozent der TTH, Cleeves und Rauch sind mit jeweils fünf Prozent Anteilen ebenfalls Gesellschafter.

Die beiden TTH-Geschäftsführer sind stocksauer. "Die Firma hat zehn Mitarbeiter", sagt Jörg Rauch, "die haben jetzt natürlich Angst." Cleeves und Rauch sehen sich als Opfer der Machtspiele, die nach dem Brustkrebstest-Skandal an der Universität und im Uniklinikum ausgebrochen sind. "Es geht nur noch um einzelne Personen und Macht, nicht mehr um die Sache", sagt Rauch. "Es ist wirklich unglaublich, was sich hier abspielt." Er befürchtet, dass die Vorgänge das Umfeld für Start-up-Unternehmen in der ganzen Region massiv verschlechtern werden.

Womöglich sieht Universitäts-Rektor Bernhard Eitel die Misere als günstige Gelegenheit, die Universitätsklinik an die Kandare zu nehmen - und künftig wieder mehr Einfluss auf die Universitätsmedizin auszuüben. Denn in dem Kündigungsschreiben erklärt Eitel, dass Forschungsergebnisse des Uniklinikums, die verwertet werden sollen, "ab sofort" ihm zur Entscheidung vorzulegen seien. Auch bereits vom Uniklinikum beanspruchte Erfindungen seien von nun an mit dem Rektorat der Universität abzustimmen. Damit stellt er das bisherige Verfahren auf den Kopf - und entzieht nicht nur TTH, sondern auch dem Uniklinikum die Verantwortung.

Die TTH-Geschäftsführer sehen ihre Arbeit in Misskredit gebracht. "Wir sind sehr erfolgreich, haben exorbitante Erlöse gemacht", sagt Cleeves. "Alleine 2018 haben wir der Medizinischen Fakultät einen Reingewinn von knapp einer Million Euro in die Kassen gespült." Mehrere Firmen sollten bald ausgegründet werden, die Erfinder seien sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Eine Umfrage unter den Forschern der Universitätsmedizin zur Zufriedenheit mit dem TTH habe der Ausgründungsfirma 2016 die Note "gut bis sehr gut" ausgestellt. Erst letztes Jahr habe man dem Uniklinik-Vorstand ein Strategiepapier vorgelegt, wie man den Technologietransfer noch einmal weiterentwickeln könne, um "das volle Potenzial Heidelbergs heben zu können", so Rauch.

"Aber jetzt wollen die zurück in die Steinzeit", sagt Cleeves. "Die" - damit sind in erster Linie die Leitende Ärztliche Direktorin der Uniklinik, Annette Grüters-Kieslich, und der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, gemeint. "Man will die Uhr zurückdrehen bis vor 2002, als es noch das Professorenprivileg gab", so Cleeves. Damals durften Hochschullehrer noch selbst Patente anmelden, mit Firmen verhandeln und Erfindungen zu Geld machen, die sie im Rahmen ihrer vom Steuerzahler bezahlten Arbeit gemacht hatten.

Cleeves und Rauch empört besonders, dass sie nun - mitten im Aufklärungsprozess in der Heiscreen-Affäre - vor vollendete Tatsachen gestellt werden. "Es gibt eine unabhängige Kommission, die noch mitten in der Aufklärung steckt", sagt Rauch. Doch mit ihnen habe bislang niemand geredet - kein Kommissionsmitglied, kein Mitglied des Aufsichtsrats der Uniklinik und auch niemand von der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft in Mannheim, die in Sachen Heiscreen gegen Unbekannt ermittelt - etwa wegen möglichen Betrugs und Insiderhandels.

Die TTH habe sich in der Sache nichts zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil, sagt Cleeves: "Die Strukturen, die wir etabliert haben, sollten solche Auswüchse ja gerade verhindern." Die Entscheidungsgewalt zu Heiscreen hätte der Vorstand des Uniklinikums aber frühzeitig an sich gerissen - und die TTH-Geschäftsführer hätten nur noch zusehen können, wie die übertriebene Marketingkampagne ihren Lauf nahm. Cleeves sagt entgeistert: "Und jetzt schützt das Wissenschaftsministerium auch noch jene Personen, die für dieses Desaster verantwortlich sind." Ob Wissenschaftsministerin Theresia Bauer auch über den Schritt von Rektor Eitel vorab Bescheid wusste, ist nicht bekannt.

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