Der Heidelberger, der Luther zuvorkam
Nikolaus Straub übersetzte die Bibel schon 60 Jahre vor Luther - und setzte sich immer wieder beim Papst für die Region ein

Die Bibelübersetzung von Straub liegt als "Manuskript 35" in Leipzig. Andreas Deutsch überträgt das beginnende Kapitel so: "Das dritt Capittell mathaei: In den tagen quam Johannes der töfer und predigt Inder wüsten deß Juttschen landes, sprach: wurckend und tond penitentz, dann das reich der himmel wurt nahen. furwar das ist der, von dem gesagt ist durch den propheten ysaiam: ein stimm deß schräyenden Inder wüstin bereitend den weg deß herren, machend sein fußstappfn gerecht ..." Foto: Deutsch
Von Andreas Deutsch
Heidelberg. Um 1460, also 60 Jahre vor Luther, übersetzte ein Heidelberger Magister das Neue Testament ins Deutsche. Erst vor Kurzem konnte das in der Leipziger Universitätsbibliothek verwahrte Bibel-Manuskript anhand eines Schriftenvergleichs mit Sicherheit zugeordnet werden: Es ist das Werk von Nikolaus Straub, der sich Ende 1431 in Heidelberg als Student einschrieb. Sein Neues Testament sticht unter den Bibelübersetzungen vor Luther nicht nur durch seine klare Sprache hervor - es ist selten, dass man über den Verfasser so genau Bescheid weiß. (Das Interview zur Entdeckung Straubs lesen Sie hier)
In Heidelberg erwarb Straub das Handwerkszeug für seine Bibel-Übersetzung, bestand nach gerade einmal anderthalb Jahren das Examen als Bakkalaureus der Artistenfakultät, 1435 wurde er Magister Artium, ein damals sehr beachtlicher Titel. In der Folgezeit unterrichtete er an der Artistenfakultät, 1437 wählte man ihn zum Fakultätsrat. Dann brach in Heidelberg die Pest aus; wer es sich leisten konnte, floh. Erst 1444 lässt sich Straubs Spur wieder aufnehmen, er reiste nun als kaiserlicher Notar durch die Lande. Die Bibelübersetzung unterzeichnete er als "notarius hallis", also Notar von Hall. Damit kann nur Schwäbisch Hall gemeint sein, wo Straub zwischen 1459 und 1463 wirkte, wodurch sich seine Arbeit nun unerwartet genau datieren lässt.
Rätselhaft ist, warum sich ein Notar an eine Bibelübersetzung machte. Wollte er in Kirchenkreisen auf sich aufmerksam machen? Tatsächlich genoss er wenig später einen guten Ruf bei hochgestellten Geistlichen. So betonte der Abt von Maulbronn, Straub sei ein Mann mit Fleiß, Ernst und Erfahrung.
Hintergrund
Das "Vaterunser" aus Matthäus 6,1 übersetzte Nikolaus Straub so:
"Vatter unßer, der du bist inn Himmeln, geheiligt werd din Nam, zu komm unß dein Reich, din Will werd als im Himmel und in der Erden; unßer teglich Brot gib uns heut und vergib uns unßer
Das "Vaterunser" aus Matthäus 6,1 übersetzte Nikolaus Straub so:
"Vatter unßer, der du bist inn Himmeln, geheiligt werd din Nam, zu komm unß dein Reich, din Will werd als im Himmel und in der Erden; unßer teglich Brot gib uns heut und vergib uns unßer Schuld, als und wir ablaßen und vergeben unßern Schuldnern; und fur uns nit [e]in in Versüchnust, besonders erlöß unß von Übel; furwar ob ihr werdend ablaßen den Menschen ihr Sünde, so wurt ewr himmelischer Vatter euch auch ablaßen ewr Sünde und Schulden."
Ab 1465 in Heilbronn, übernahm Straub eine entscheidende Rolle bei der Reformation zweier Klöster, die sich nicht an die Ordensregeln gehalten hatten. Bei den Franziskanern als "Barfüßer" fanden sich warme Stiefel und Betten, auch die Klarissen in Heilbronn lebten besser als erlaubt. Der hierbei seines Postens enthobene und exkommunizierte Guardian des Barfüßerklosters klagte allerdings gegen seine Entlassung, appellierte schließlich an den Papst.
Die Heilbronner betrauten Nikolaus Straub mit ihrer Verteidigung, wofür er nach Rom reisen musste; nach erfolgreicher Rückkehr ernannte man ihn zum ersten Generalsyndikus der aufblühenden Reichsstadt. 1472 befand sich Straub in anderer Sache ein zweites Mal beim Papst. Und 1485 wurde er zum dritten Mal in die Ewige Stadt geschickt. Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben unter anderem des Heidelberger Kurfürsten Philipp sollte er die päpstliche Bestätigung für einen Vergleich erwirken, den der Bischof von Würzburg mit den Karmelitern ausgehandelt hatte.
Die Mission erwies sich jedoch als beschwerlich. Drei Tagesritte vor Rom versagte Straubs Pferd, sodass der 70-Jährige die letzten rund 120 Kilometer zu Fuß reisen musste. Als er Rom erreichte, lag über der Stadt die Pest; alle seine Ansprechpartner waren erkrankt, verstorben oder geflohen. "Es steht übel zu Rom", schrieb er nach Hause, "Gott kriegt mit ihnen und der Welt."
Selbst derjenige, bei dem Straub hätte wohnen sollen, war tot, weshalb der Syndikus in einem Gasthof absteigen musste. "Lasst Euch meine Frau und mein Gut befohlen sein", bat er die Heilbronner Ratsherren - die ungewohnt private Bemerkung lässt erahnen, dass Straub ernsthaft in Sorge war. Aber er ließ sich nicht unterkriegen. Die Verhandlungen mit der Kurie erwiesen sich als unerwartet zäh. Annähernd zwei Jahre verblieb Straub in Rom - ohne den erhofften Erfolg. Immerhin erreichte er quasi nebenbei, dass der Papst der Stadt Heilbronn eine Ablassurkunde in Höhe von unglaublichen 6000 Gulden ausstellte, die es ermöglichte, den Chor der spätgotischen Kilianskirche zu finanzieren, bis heute das Wahrzeichen der Neckarstadt. Straub kam zurück als gefeierter Mann.
Trotz seines hohen Alters schickte man ihn weiterhin zu diplomatischen Missionen, etwa zum Kaiser nach Antwerpen oder in benachbarte Residenzen wie Stuttgart und Heidelberg. 1500 trat er ein letztes Mal vor Gericht auf, bald darauf starb er.



