Als Heidelberg kurz der Mittelpunkt der Welt war
Russland, Preußen und Österreich zu Gast: Die drei Monarchen der Anti-Napoleon-Koalition trafen sich 1815 in Heidelberg - Der Königstuhl wurde kurzzeitig zum Kaiserstuhl

Carl Rottmann malte "Einzug der Russen in Heidelberg im Juni 1815". Das Bild ist heute im Besitz des Kurpfälzischen Museums. Im Jahr darauf starb der gebürtige Handschuhsheimer Rottmann im Alter von 48 Jahren in München. Repro: Kurpfälzisches Museum/HVA
Von Klaus Siebler
Heidelberg. Am heutigen 15. August ist der 250. Geburtstag von Napoleon Bonaparte, einem Mann, der fast zwei Jahrzehnte die Welt in Atem hielt, aber andererseits gerade in Deutschland wegen seiner fortschrittlichen Maßnahmen - wie Beendigung der Kleinstaaterei - geschätzt wurde und etwa von Heinrich Heine als "Heiland" bezeichnet und von anderen wie Friedrich Hölderlin in Gedichten verehrt wurde.
Der Geburtstag Napoleons ist Anlass, sich im Zusammenhang mit ihm eines für Heidelberg höchst bedeutsamen Ereignisses des Sommers 1815 zu erinnern. Wohl fehlt es an spektakulären Besuchen Napoleons in Heidelberg, aber es ist bekannt, dass er schon früh verfügte, in Heidelberg keine Einquartierungen vorzunehmen. Hatte er etwa Gewissensprobleme deswegen, dass Ludwig XIV. die Stadt und vor allem auch das legendäre Schloss zerstören ließ? Wir wissen es nicht.
Trotzdem hat Heidelberg im Kampf gegen Napoleon besondere Bedeutung erlangt, und zwar in der letzten Phase der Befreiungskriege vor dem Ende Napoleons. Heidelberg war zeitweilig Hauptquartier der Verbündeten Österreich, Russland und Preußen. Während die Regimenter von Wellington und insbesondere von General Blücher während der 100 Tage Napoleons im Jahre 1815 für die Entscheidungsschlacht zur endgültigen Vernichtung Napoleons rüsteten, tagten die Monarchen in Heidelberg. Die Stadt war im Sommer 1815 für einige Wochen quasi der Mittelpunkt der Welt, wovon das treffliche Gemälde des gebürtigen Handschuhsheimers Friedrich Rottmann zeugt, das die Parade der Russen beim Einzug in Heidelberg auf dem Karlsplatz zeigt - und das heute noch im Besitz des Kurpfälzischen Museums ist.
Zar Alexander wird von den schon anwesenden Monarchen Kaiser Franz von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen mit ihrem Gefolge empfangen, wobei Rottmann selbst unter den schaulustigen Heidelberger Bürgern mit seiner Zeichenmappe zu sehen ist.
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Was war geschehen? Napoleon war in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 von den Verbündeten geschlagen worden, musste auf Beschluss der Sieger ins Exil nach Elba, aus dem er am 26. Februar 1815 ausbrach und von begeisterten Anhängern begleitet nach Paris zog, wo er wieder die Macht an sich riss. Die Verbündeten, die noch auf dem Wiener Kongress in zähen Verhandlungen über die Neuordnung in Europa waren, unterbrachen sofort und bliesen zum endgültigen Vernichtungskampf gegen Napoleon. Sie wählten Heidelberg als Hauptquartier. Am 24. Mai zog die österreichische Truppe unter dem Grafen Schwarzenberg ein und bereitete alles vor für die Ankunft des Kaisers.
Am 5. Juni kam es zum Einzug der Monarchen. Sie wurden vom badischen Großherzog Karl Ludwig Friedrich begrüßt. Den größten Beifall gab es für Kaiser Franz, der sehr beliebt war und den man insgeheim bedauerte, da er auf Drängen Napoleons die deutsche Kaiserkrone niederlegen musste, was das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bedeutete. Leider zeigte sich der Großherzog beim Empfang der Monarchen und bei ihrem Aufenthalt schwächlich und krank. Er starb dann auch drei Jahre später im Alter von gerade einmal 32 Jahren - nach nur siebenjähriger Regierungszeit.
Der Badener Karl stand unter Druck bei den Verbündeten. Er war als letzter deutscher Fürst aus dem Rheinbund, den sein Schwiegervater Napoleon gebildet hatte, ausgetreten, und man hatte auf dem Wiener Kongress auch von ihm verlangt, dass er sich von seiner Frau Stephanie, der Adoptivtochter Napoleons, trennen sollte - was er aber kategorisch ablehnte.
Natürlich waren die Verwandtschaftsverhältnisse der anwesenden Herrscher schon etwas verworren, was man auf Rottmanns Gemälde natürlich nicht sieht. Der Großherzog war, wie erwähnt, Schwiegersohn Napoleons aber auch Schwager von Zar Alexander, der mit der Schwester des Großherzogs verheiratet war. Kaiser Franz war seinerseits Schwiegervater von Napoleon selbst, und man weiß, dass er sich auf Intervention von Marie Luise, seiner Tochter und Frau Napoleons, nur sehr zögernd zur Beteiligung am Vernichtungsschlag gegen Napoleon entschloss. Die Monarchen tagten wohl regelmäßig, widmeten sich aber auch anderen kulturellen Dingen, etwa der Besichtigung der Gemäldesammlung der Brüder Boisserée (in deren Palais am Karlsplatz - am linken Bildrand zu sehen) oder auch Gesprächen mit Gelehrten der Universität wie etwa den Philologen Heinrich Voß oder des Rechtswissenschaftlers Anton Friedrich Justus Thibaut.
Am 14. Juni 1815 ritt Kaiser Franz auf den Königstuhl, der während seines Aufenthalts bereits in Kaiserstuhl umbenannt worden war. Er stieß auf dem Berg auf einen Steinmetz, der gerade einen Stein mit der Aufschrift "Kaiserstuhl" behauen hatte. Kaiser Franz würdigte die Geste der Stadt gebührend. Beim sonntäglichen Gottesdienstbesuch des Kaisers war auch wie selbstverständlich der protestantische Pfarrer zugegen - und das Einvernehmen wurde allseits begrüßt. Für Zar Alexander gestaltete gar die Stadt einen griechisch-orthodoxen Gottesdienst mit einer größeren Anzahl von Ikonen.
Mit einem Satz: Das waren große Tage für den einstigen Mittelpunkt der Kurpfalz mit der ältesten deutschen Universität. Viel Glanz auch für den Karlsplatz, wo Kaiser Franz in dem Großherzoglichen Palais (heute Akademie der Wissenschaften) wohnte, während Zar Alexander in einem herrschaftlichen Haus außerhalb der Stadt residierte. Natürlich besuchte Zar Alexander zusammen mit dem Großherzog seine von ihm sehr geschätzte Schwiegermutter, die Markgrafenwitwe Amalie im Rohrbacher Schlösschen.
Am 20. Juni 1815 erreichte Heidelberg die freudig aufgenommene Kunde, dass Napoleon in Waterloo vernichtend geschlagen worden war. So reisten die Monarchen und ihr Gefolge vier Tage später, am 24. Juni, wieder ab, aber nicht ohne das großartige vom Großherzog veranlasste Spektakel einer besonders aufwendigen Schlossbeleuchtung und damit unauslöschliche Eindrücke von Heidelberg genossen zu haben.
Info: Der Autor Dr. Klaus Siebler ist der ehemalige Leiter des Textilmuseums in Ziegelhausen, dem er mehr als 25 Jahre vorstand.