Der Vulkan Kirkjufell auf Island. Unten: Blick ins Lava Center, in dem man sich über die vulkanischen Ursprünge Islands, aktuelle Vulkanausbrüche und Erdbeben informieren kann. Fotos: Guitar Tawatchai/ Getty/srt
Von Simone F. Lucas
Hvolsvöllur. Die Isländer sind hart im Nehmen. Und deshalb wohl auch nicht so weinerlich wegen der Pandemie wie viele andere Europäer. Warum immer nur schlechte Nachrichten anschauen? Da ist es doch besser, die Laune mit schönen An- und Aussichten aufzubessern – und Corona zu vergessen. Schließlich leben die Isländer praktisch auf den Vulkanen.
Wie sich das anfühlt? Dazu besucht man am besten das Lava Center in Hvolsvöllur. Puh, das ist ganz schön unheimlich: Es rumort unter den Füßen, der Boden scheint zu schwanken, es knirscht und poltert. Rot glühen die Lavaströme, die sich bedrohlich schmatzend in Bewegung setzen. Was kommt als Nächstes? Ein Ascheregen scheint alles zu verdunkeln, die Füße stolpern über Unebenheiten, die Sicherheit schwindet. Und dann – öffnet sich eine Tür und gibt den Blick frei auf den Ursprung all dieser Phänomene – die Vulkane Islands. Da stehen sie in ihrer ganzen gefährlichen Pracht: Kirkjufell, Hekla und Tindfjöll, Katla und Grimsvötn. Natürlich ist auch der Eyjafjallajökull dabei, der 2010 tagelang den Flugverkehr ganz Europas lahmgelegt hat. Ihm ist die ganze Inszenierung in Hvolsvöllurs neuem Lava Center zu verdanken.
Auch der Ideengeber war ein Opfer der Aschewolke des Eyjafjallajökull und musste seinen Aufenthalt in Amerika unfreiwillig verlängern. Das brachte ihn auf die Idee dieses außergewöhnlichen Museums, das den Besuchern auf anschauliche Weise die vulkanischen Prozesse erklären soll. Private Investoren ließen sich die ebenso lebensnahe wie atemberaubende Inszenierung 16 Millionen Euro kosten. Während draußen die Vulkane noch unter einer dicken Decke aus Schnee und Eis zu schlummern scheinen, ist drinnen der Teufel los.
Der Vulkanausbruch als Höllenspektakel, das bleibt in Erinnerung. Ganze Schulklassen wurden vor Corona durch das Museum geschleust, sie sollten begreifen, wie Island, diese Insel aus Feuer und Eis, entstand. Vermittelt wird eine Ahnung vom glühenden Herzen im Erdinnern und davon, wie gewaltig diese Naturkräfte sein können. Doch das scheint die meisten Isländer wenig zu besorgen.
"Nein", sagt Asbjörn Palsson, der Restaurantleiter des Lava-Centers, Angst vor einem Vulkanausbruch habe er nicht. "Wir haben ständig Eruptionen. Wir leben damit." Die Katla sei eigentlich überfällig. Islands größter und gefährlichster Vulkan war das letzte Mal 1918, vor über 100 Jahren, ausgebrochen. So lange hat es bislang noch nie gedauert, bis die Katla wieder Feuer und Asche spuckt. Durchschnittlich war es alle 50 Jahre wieder soweit. Noch geben die Seismologen Entwarnung – und Palsson ist beruhigt. Den 50-Jährigen ängstigt auch nicht, dass hin und wieder binnen 24 Stunden 1000 Erdstöße registriert werden. "Es ist immer was los unter der Erde", meint er lapidar, das müsse man nicht so ernst nehmen. Schließlich habe Island seinen Vulkanen auch viel zu verdanken.
Schon die Wikinger wussten die Erdwärme zu nutzen und versammelten sich an den heißen Quellen. Heute versorgt sich die Insel dank Geothermie umweltfreundlich mit Energie. In den mit Erdwärme beheizten Gewächshäusern gedeihen Tomaten und Paprika, Gurken und Karotten, Kartoffeln und Salat – und das schon seit 1924.
Die Isländer haben gelernt, mit und von ihren Naturkräften zu leben. Die Touristen fühlen sich von der ungezähmten Natur angezogen, von den hochschießenden Geysiren, von den donnernden Wasserfällen, den warmen Quellen und den dampfenden Schlammlöchern. Sie alle legen den Verdacht nahe, in Teufels Küche geraten zu sein.
Für Drífa Byarnadóttir, die im Lavafeld nah der Katla aufgewachsen ist, gehören diese Naturphänomene zum Alltag. Sie ist damit groß geworden und wollte nie weg – auch wenn der Boden kaum etwas hergab. Nur eiskaltes Gletscherwasser, das gab es im Überfluss. Drífa wurde in eine Familie von Schafzüchtern hineingeboren, später studierte sie Biologie und arbeitete auf einen Master in Fischzucht hin. Das brachte sie 2009 auf die Idee, das Gletscherwasser für eine eigene Fischfarm zu nutzen. Die Familie half mit, Tanks aus alten Containern zu bauen. Drífa kaufte 2011 die ersten 80.000 Eier vom Arctic Char, einer Art Seesaibling, die nur in glasklarem und eiskaltem Wasser gedeiht.
Etwa eine Million Fische leben auf ihrer Farm, rechnet die 39-jährige Geschäftsfrau vor, und alljährlich würden 200 Tonnen geerntet. Absatzprobleme hatte die Mutter von drei Kindern vor Corona keine. Ihre schmackhaften Fische wurden regional vermarktet – und kamen in den örtlichen Restaurants auf den Tisch. Doch derzeit haben die meisten geschlossen. Auch das Suður-Vík-Restaurant, von dem aus die Besucher die Bucht von Reynisdrangar mit den schwarzen Felsnadeln im Blick haben. "Game of Thrones" lässt grüßen.
Lava MuseumDass Teile der US-Fantasy-Serie hier gedreht wurden, spülte Fans aus aller Welt ins kleine Vik, Islands südlichsten Ort. Drífas Cousine Æsa Cudrunardottir profitierte davon. Vor 18 Jahren hat die heute 41-Jährige ihr Hostel eröffnet, Norður Vík. Bis zum Frühling 2020 mit wachsendem Erfolg. Doch Corona hat auch Æsa einen Strich durch die Rechnung gemacht: Über den unberechenbaren Sommer – "nicht ausgebucht und nicht zum vollen Preis" – half ihr die Unterstützung der Regierung. Ihre Familie und sie haben das Beste daraus gemacht und renoviert. Doch Æsa macht sich nichts vor: "Wir haben einen harten Winter vor uns." Sie hat nie daran gedacht, wegzugehen. "Wir wollten unsere Kinder hier großziehen", sagt sie. Die begeisterte Paragliderin genießt die Freiheit, tun zu können, was ihr gefällt. Ihr Mann und die zwei Töchter teilen ihre Hobbys und Vorlieben. Zur Familie gehören außerdem 18 Hühner und ein Hund. Die Familie hat sich in ihrer eigenen Welt eingerichtet.
Dass sie praktisch auf dem Vulkan lebt, stört sie nicht. Im Gegenteil, den Ausbruch des Eyjafjallajökull hat sie noch in bester Erinnerung: Aufregend sei es gewesen, ja, auch nicht ganz ungefährlich, aber: "Ich würde das nicht missen wollen, es war ein großartiges Erlebnis." Und wenn heute wieder ein Vulkan ausbricht? Die dunkelhaarige Isländerin überlegt nur kurz. "Wir haben die besten Wissenschaftler, da mache ich mir keine Sorgen." Trotzdem ist die Frühwarnseite im Internet ihre erste Lektüre am Morgen. Man kann ja nie wissen. Aber aus der Ruhe bringen kann Æsa nicht einmal die Katla. "Im Ernstfall haben wir mindestens eine Stunde Zeit, um uns in Sicherheit zu bringen", sagt sie. "Das reicht!"