Wo jeder Stein Geschichte schreibt
Granitfelsen und Olivenhaine: Wandern und Schlemmen auf der Route der Aldeias Históricas de Portugal.

Von Sarah Hinney
Es ist, als hätten sich in grauer Vorzeit eine Horde Riesen mit Felsen beworfen – und sich die Menschen später aus Trotz zwischen den gewaltigen Brocken und zerklüfteten Hängen eine Heimat gebaut. Ein bisschen Trotz ist es auch, der uns antreibt, diesen Ort zu erkunden: Denn Monsanto, bekannt als das portugiesischste Dorf Portugals, empfängt uns wenig herzlich. Ein eisiger Wind zerrt an unseren klammen Jacken, dichte Wolken haben sich auf den Felsen und Schieferdächern der Häuser niedergelassen, die sich an den 752 Meter hohen Berg ducken. Das alte Pflaster in den steilen, engen Gassen ist glitschig, der ganze Ort wie ausgestorben.
Im Sommer strömen die Menschen in Scharen hierher, berichtet unser Reiseführer Manuel Franco vom Team Portugal A2Z Walking & Biking. Einen regelrechten Touristen-Run gebe es, seit Monsanto Drehort für "House of the Dragon" wurde. Am Fuße des Berges sind deshalb inzwischen Busparkplätze eingerichtet, weil es oben im Ort kaum möglich sei, einen der neun (!) Parkplätze zu ergattern. Das ist an diesem frühen Nachmittag nicht unser Problem, wir sind die Einzigen, die mit dem Auto angereist sind, dabei wollten wir eigentlich zu Fuß kommen.
Am Vormittag waren wir bereits in Idanha a Velha, einem Nachbarort von Monsanto angekommen. Beide Orte sind Teil der Aldeias Históricas de Portugal und liegen nahe der spanischen Grenze im Bezirk Castelo Branco. Die Aldeias Históricas sind eine Vereinigung von insgesamt zwölf mittelalterlichen Dörfern, deren aus verschiedenen Epochen stammende Bauwerke nach und nach restauriert wurden. Im Sommer sind Temperaturen von 40 Grad nicht selten hier, im Winter pfeift ein eisiger Wind. Eigentlich gilt das milde Frühjahr deshalb als beste Jahreszeit, um auf der historischen Route zu wandern, wie wir es vorhatten. Nur spielt das Wetter nicht so mit, wie erhofft.
Auch in Idanha a Velha sind am Vormittag die schmalen Gässchen wie leer gefegt, ein paar der wenigen Dorfbewohner – insgesamt leben hier rund 60 Menschen – beobachten uns durchs Fenster, eine Hand voll von ihnen sitzt im einzigen Café-Restaurant des Ortes, dem "Casa da Amoreira". Hier wärmt uns der heiße Espresso nach einem Rundgang durch den Ort, dessen Schätze sich erst bei einem genaueren Blick erschließen. Die Römer, die Westgoten, die Christen und die Templer, die im Jahr 1197 einen großen Wehrturm, die Burg von Idanha, errichteten, haben Spuren hinterlassen, die noch immer überall im Ort sichtbar sind. So hatten die Dorfbewohner beispielsweise keinerlei Hemmungen, sich beim Bau ihrer Häuser an römischen Säulenteilen zu bedienen – fast jeder Stein hier erzählt mehr als eine Geschichte.

Nach gut eineinhalb Stunden sind wir beeindruckt von alten Bauwerken und noch älteren Grabsteinen, von 4000 Jahre alten, mächtigen Olivenbäumen und der historischen Ölpresse "Lagar de Varas" – und wir sind nasser, als die Dorfkatzen, die uns neugierig umschleichen.
Theoretisch ließen sich alle zwölf historischen Dörfer der Aldeias Históricas in Zentralportugal erwandern, das würde aber dauern. Der Wanderweg GR22 verbindet die Orte auf einem Rundweg von knapp 600 Kilometern und ist auch vom portugiesischen Radsportverband als Mountainbike-Wanderweg anerkannt. Außerdem führt die Route durch den Naturpark Douro Internacional, den Tejo Internacional und den Naturpark der Serra da Estrela.
Wir schaffen leider nicht mal die knapp zwölf Kilometer von Idanha a Velha nach Monsanto zu Fuß. Denn Reiseführer Manuel Franco weist auf die tiefschwarze Wolkenwand, die sich am Horizont auf uns zuschiebt. Zwischen den Dörfern ist nichts als Natur, also genau das, was wir suchen, aber vielleicht dann doch nicht heute. Franco wirkt sichtlich erleichtert, als wir ihm vertrauen und die Tour von Ort zu Ort absagen.
Unser Picknick, das eigentlich unterwegs, im Schatten von Olivenbäumen, geplant war, wird spontan in das Herz von Idanha a Velha verlegt, in jenen Raum, in dem sich der Gemeindebackofen befindet und in dem bis heute einmal in der Woche Brot gebacken wird. Wir fühlen uns ein Jahrhundert in die Vergangenheit versetzt, machen uns durchgefroren über Schafs- und Ziegenkäse, Salami und frisches Brot her. Und wir kosten die Choriça Morcela, die traditionelle Blutwurst des Landes, die Franco über einem offenen Feuer auf dem Tisch erhitzt, bis zischend das Fett herausläuft.
Wir werden noch einige Male Blutwurst auf unserer Reise essen, oft herzhaft, aber auch mal süß mit karamellisiertem Apfel. Aber keinmal mehr wird sie so köstlich schmecken wie hier, im Stehen aus fettigen Fingern genossen, die gerade noch einem struppigen Streuner das Fell gekrault haben.
Während Idanha a Velha seine Sehenswürdigkeiten mit Zurückhaltung präsentiert, geriert sich Monsanto eher wie eine Diva. Staunend streifen wir eine gute halbe Stunde nach unserem Picknick durch die Gässchen mit den pittoresken, herausgeputzten Häuschen. Monsanto hat eine reiche Geschichte. Nach dem Zerfall des Römischen Reichs herrschten die Westgoten. Im 8. Jahrhundert geriet Monsanto unter die Kontrolle der Mauren. 1165 eroberte König Alfonso Henriques den Ort zurück und übergab ihn neun Jahre später dem Templerorden, der mit dem Bau einer Festung begann.
Im 13. Jahrhundert wurde die Burg von Monsanto zur Grenzfestung ausgebaut, das Dorf blieb bis ins 18. Jahrhundert ein wichtiger Grenzort. Das bekannteste Wahrzeichen des Ortes ist der Lucano-Turm mit seinem silbernen Hahn. Letzteren bekam das Dorf, als es 1938 den Titel als portugiesischstes Dorf erhielt. Hier starten wir, um uns auf den Weg zur Festung auf dem höchsten Punkt des Berges zu machen – auch weil die Aussicht spektakulär sein soll.

Auf einem Kopfsteinpflaster-Pfad führt uns Manuel Franco steil bergab hinaus aus dem Dorf – und in diesem Moment öffnet die schwarze Wolkenwand, die sich seit einer Stunde beharrlich genähert hat, ihre Schleusen. Wer in Zentalportugal wandern möchte, braucht grundsätzlich gutes Schuhwerk, meins ist nicht gut genug. Die Wanderschuhe sind nach zehn Minuten durchnässt, Wasser tropft vom Schirm in den Kragen der Regenjacke, mit dem Handy zu fotografieren wird ob des nassen Bildschirms zur Unmöglichkeit.
Aber irgendwann ist alles egal, denn die Natur präsentiert sich uns in einem so überbordenden Reichtum an Grüntönen, wie ich ihn zuvor noch nie gesehen habe. Wir wandern vorbei an Korkeichen, Oliven-, Zitronenbäumen, klettern durch gespaltene, gewaltige Granitblöcke und schließlich auf den Gipfel des Berges zur Burg, von der aus sich sicherlich ein tatsächlich imposanter Ausblick böte, wenn da nicht der Regen, die Wolken und der Nebel wären. Dafür hatten wir das ganze Dorf und sämtliche Wanderwege für uns allein – eine absolute Seltenheit, wie unser Guide beteuert.
Viele Unterkünfte in diesem Teil des Landes sind etwas Besonderes, etwa liebevoll hergerichtete, historische Steinhäuser. Sogar direkt in Monsanto lassen sich solche kleinen Häuser buchen. Wir verbringen die Nacht allerdings rund 70 Kilometer entfernt – in einer echten Oase. Etwa eine Stunde dauert die Fahrt dort hin. Mit den nassen Klamotten ist das etwas lästig, aber die Ankunft entschädigt für alles. In der kleinen Ortschaft Seixo do Côa, im Landkreis Sabugal, leben gerade noch 50 Einwohner. Es werden auch hier immer weniger, denn die meisten jungen Menschen zieht es in die größeren Städte an die Küste. In Seixo do Côa gibt es keinen Supermarkt, aber vielleicht eine der schönsten Unterkünfte des Landes. Die Idee, hier ein Wellnesshotel zu errichten, hatte Lourdes Brigas, die in dem kleinen Ort aufwuchs und einst auch fortging. Sie betreibt eigentlich eine Praxis für chinesische Medizin in Lissabon.
Ursprünglich wollte sie nur das alte Familienhaus in Schuss bringen, kaufte dann aber die umliegenden Gebäude dazu, restaurierte sie liebevoll und eröffnete im Oktober 2023 gemeinsam mit ihren zwei Töchtern das "In Bulla" Landhotel mit Sauna, Pool, Gemeinschafts- und urgemütlichem Kaminzimmer. Und während unsere Wanderschuhe auf der Heizung oder vor dem offenen Feuer trocknen, werden wir mit fürstlichem Essen verwöhnt. Käse, Schinken, Oliven, Öl und Brot dürfen bei keiner Mahlzeit in Portugal fehlen. Danach gibt es Bacahlau mit Gemüse, also gesalzenen und getrockneten Kabeljau, das portugiesische Nationalgericht. Angeblich gibt es mindestens 1000 Rezepte, den Fisch zuzubereiten. Im Anschluss wird uns butterzartes Lamm mit Kartoffeln aus dem Backofen serviert und wir schlemmen, bis wir nicht mehr können. Fleisch, Gemüse, Käse, Wein – sämtliche Zutaten stammen aus der Region. Nicht nur hier, überall, wo wir speisen, wird bemerkenswert viel Wert auf Regionalität und Qualität gelegt – die Portugiesen sind stolz auf ihre Produkte und zeigen es auch. Und sie essen und trinken wahnsinnig gern, am liebsten stundenlang.
Nach einer Nacht inmitten der Natur in unserer traumhaften Unterkunft sind wir frisch und ausgeruht und machen wir uns auf den Weg in das dritte historische Dorf auf unserer Route. Castelo Novo liegt rund 50 Kilometer entfernt von Monsanto. Und während wir bei einem Rundgang vorbei an den Granithäusern, dem imposanten barocken Brunnen am Rathaus und einer Weinpresse aus dem 7. Jahrhundert in Richtung Burg schlendern, kommt dann auf einmal auch die Sonne raus – endlich!

Informationen
> Die Fluggesellschaft TAP Air Portugal ist die führende portugiesische Airline. Von Deutschland, Österreich und aus der Schweiz fliegt TAP Air mehrmals täglich nonstop nach Lissabon – Abflughäfen sind Frankfurt, München, Hamburg, Berlin und Düsseldorf sowie Wien, Genf und Zürich. Die Reisezeit von Frankfurt nach Lissabon beträgt etwas mehr als drei Stunden.
> Das historische Dorf Monsanto liegt mit dem Auto zwei Stunden 47 Minuten vom Flughafen Lissabon entfernt. Unterkünfte direkt im Ort unter: www.casasdavilla.com
> Das "In Bulla" Landhotel mit Wellness ist ein Geheimtipp für alle Reisenden, die Natur, Ruhe und Entspannung suchen. Weitere Infos und Reservierung: www.inbulla.pt
> Infos gibt es auf der Webseite www.centerofportugal.com.
Unter www.aldeiashistoricasdeportugal.com gibt es Wander- und Mountainbiketouren samt Kartenmaterial