Hitlers monumentale Bauten in Nürnberg
In Nürnberg ließ Hitler für Propaganda-Zwecke einst riesige Bauten errichten. Heute machen Touristen Selfies auf der "Führerkanzel".

Von Thomas Frenzel
Nürnberg. Keine Frage: Diese Smartphone-App mit ihren Erläuterungen zu den 23 Stationen ist empfehlenswert, da äußerst hilf- und aufschlussreich. Abgesehen von der einen oder anderen unglücklichen Anmerkung zu damals moderner Bautechnik stört dennoch ihr Name. Denn dieser erhebt den Anspruch auf gottgegebene Absolutheit: "Das Gelände". Gemeint sind dagegen nur jene 16,5 Quadratkilometer in Deutschland, auf denen Adolf Hitler vor nicht einmal hundert Jahren alljährlich die Massen vor sich aufmarschieren ließ: das ehemalige Reichsparteitagsgelände von Nürnberg.
Zugegeben: Es handelt sich um ein weitläufiges Areal in jener zweitgrößten Stadt Bayerns, in der 1935 die "Nürnberger Gesetze" erlassen wurden. Diese Rassegesetze fassten die Diskriminierung der Juden in Paragrafen. Mit deutscher Gründlichkeit mündeten sie wenige Jahre später in den Holocaust. Sechs Millionen jüdische Leben wurden ausgelöscht, dazu eine halbe Million Sinti und Roma. Von den Zigmillionen Weltkriegstoten ganz zu schweigen.
Hintergrund
> Infos:
> Anreise: Von Heidelberg über die A 6 sind es mit dem Auto etwa 230 Kilometer oder 2:15 Stunden. Mit der Bahn zwischen 3 und 4 Stunden.
> Unterkunft: Zahlreiche Hotels in und rund um> Infos:
> Anreise: Von Heidelberg über die A 6 sind es mit dem Auto etwa 230 Kilometer oder 2:15 Stunden. Mit der Bahn zwischen 3 und 4 Stunden.
> Unterkunft: Zahlreiche Hotels in und rund um die Altstadt. Bei Frühbuchung: ab 110 Euro pro Nacht und Doppelzimmer inklusive Frühstück. Bis zu doppelte Preise während des Christkindlmarkts (1. bis 24. Dezember). > Essen & Trinken: Zum Flößla, fränkisch Deftiges, www.zumfloessla.de; Literaturhaus Café & Restaurant, www.rilh.de; Bratwursthäusle, Wurstspezialitäten; www.bratwursthaeuslenuernberg.de > Ausflugstipp: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände (inkl. kostenlose Handy-Apps): www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum. > Weiter Infos: www.tourismus.nuernberg.deDie architektonische Aufrüstung der nationalsozialistischen Aufmarschplätze lief in Nürnberg ab 1935. Bis dahin waren schon landauf, landab und auch auf dem Heidelberger Heiligenberg für ähnliche Zwecke sogenannte Thingstätten gebaut worden. Häufig nach antiken Theatervorbildern.
Diese Anlehnung an die Antike sollte auch das Reichsparteitagsgelände bestimmen. Nur: Deutlich monumentaler als im Altertum sollte alles werden. Es war in Architektur verpackter Gigantismus, auch Größenwahn genannt. Der neutralere Begriff: nationalsozialistische Staatsarchitektur. Dass sie in Nürnberg weitestgehend nicht fertiggestellt wurde, verhinderte allein der Zweite Weltkrieg, den Hitler 1939 anzettelte. Eine gewisse Faszination des Bösen übt diese Gigantomanie aber dennoch aus.
Beispiel Kongresshalle. Mit dem hufeisenförmigen Backsteinbau am Großen Dutzendteich war 1937 begonnen worden. Bis 1945 sollte er fertiggestellt sein. Bei der Fassade mit ihren vorgehängten Granitplatten ließ sich der Architekt Ludwig Ruff vom Kolosseum inspirieren. Aber selbst Roms riesiges Amphitheater hätte Platz gehabt in dieser Nazi-Halle. Mit einer Grundfläche von 275 mal 265 Metern und einer geplanten Höhe von etwa 70 Metern hätte die Halle 50.000 Parteimitglieder aufnehmen sollen.
Konjunktiv: Über den gigantischen Rohbau der Treppenhäuser und die beiden Kopfbauten kam der NS-Entwurf nicht hinaus. In dem einen Kopfbau sind heute die Nürnberger Symphoniker untergebracht, in dem anderen das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände; eine Interimsausstellung überbrückt derzeit den bis Ende 2024 laufenden Umbau dieses Zentrums. Der Innenhof wiederum dient, wenn nicht für Open-Air-Konzerte, als gebührenpflichtiger Parkplatz (Stand Spätjahr 2023). Er empfiehlt sich als Ausgangspunkt für den Rundgang über das weitläufige Reichsparteitagsgelände. Wer es ernst meint mit der Erkundung, sollte einen halben Tag reservieren – plus Ausstellungsbesuch.
Die bauliche Inszenierung der NSDAP-Parteitage hatte Hitlers Lieblingsarchitekt entworfen: der Heidelberger Albert Speer (1905-1981). Der spätere Rüstungsminister, der 1946 beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, plante ein riesiges Aufmarschgelände. Vom sogenannten Märzfeld, das für Vorführungen der Wehrmacht gedacht war, führt noch heute – 60 Meter breit, zwei Kilometer lang – die Große Straße als zentrale Achse zur verschwundenen Luitpold-Arena; dort "weihten" die SA- und SS-Verbände bei Massenaufmärschen ihre Fahnen. Beiderseits dieser Paradestraße waren weitere Monumentalbauten vorgesehen.
Darunter das "Deutsche Stadion", von dem auf den ersten Blick nur noch der Grundstein existiert. Als weltgrößte Arena hätte die Anlage über 400.000 Zuschauer fassen sollen. Während im Umland von Nürnberg – als Test für die späteren Sichtverhältnisse – Holztribünen im Originalmaßstab angelegt wurden, blieb es bei dem 1937 begonnenen Stadionbau bei der Baugrube. Sie war derart riesig, dass sie nach dem Krieg in Teilen mit dem Schutt der Altstadt aufgefüllt wurde, die durch Bombenangriffe zu 90 Prozent zerstört worden war. Eine zusätzliche Nutzung als Mülldeponie tat ihr übriges: Der sogenannte Silbersee, der wegen des ansteigenden Grundwassers im Rest der Baugrube entstand, ist hochgiftig verseucht. Baden verboten. Lebensgefahr noch heute!
Als einziger Bau der Parteitagsarchitektur, zu der auch Bahnhöfe und ausgedehnte Barackenlager für bis zu einer Million Besucher zählten, wurde 1937 das Zeppelinfeld fertiggestellt: Eine 370 Meter lange Haupttribüne mit Säulenreihen, davor ein Aufmarschfeld mit umlaufenden Sitzwällen, die von turmartigen Toilettenbauten unterbrochen wurden – Platz für bis zu 320.000 Leute. Die US-Armee nutzte die Anlage nach dem Krieg für ihre eigenen Zwecke, sie sprengte 1945 lediglich das überdimensionierte Hakenkreuz über der Haupttribüne. Die knapp neun Meter hohen Pfeilerreihen beseitigte 1967 die Stadt Nürnberg selbst. Wegen Baufälligkeit, wie es damals offiziell hieß. Der heute gesperrte Mittelbau mit seinem "Goldenen Saal" blieb stehen, ebenso die sogenannte "Führerkanzel". Auf ihr ließ sich Hitler einst huldigen, vor ihr standen SS und SA stramm.

Innehalten, das Gesehene auf sich wirken lassen, beobachten, die Handy-App ein weiteres Mal anhören – die steinernen Sitzreihen der Zeppelintribüne machen es möglich. Der Blick schweift hinüber zum ehemaligen Aufmarschfeld, dessen Zuschauerwälle sich die Natur zurückerobert. Bilder von NS-Inszenierungen kommen in den Sinn, auch vom "Lichterdom", bei dem 1936 zahllose Flakscheinwerfer den Nachthimmel pflügten. Das sind Bilder, die bis ins Detail arrangiert worden waren.
Die NS-Propaganda nutzte alles, das macht auch die Interimsausstellung deutlich, was sich für moderne Manipulation anbot: Das Radio als gesteuerten "Volksempfänger", die gleichgeschaltete Presse, Wochenschau-Filme im Kino und dazu Massenveranstaltungen, die nach heutiger Begrifflichkeit als spektakuläre "Events" galten, für Unterhaltung sorgten und für "Wir-Gefühl". Die gigantisch geplante Nürnberger Architektur hätte das Ihrige beigetragen sollen: die weitere Reduzierung des Einzelnen auf eine unsichtbare Winzigkeit, nur als uniformierte Masse erkennbar.
Doch zurück auf die Zeppelintribüne. Ihre Besucher sprechen auch Englisch, Französisch, Italienisch, es klingt nach Polnisch, vereinzelt erblickt man Gäste aus China oder Japan. Nach einer gewissen Zeit der Umschau haben sie fast alle nur ein Begehr: ein Selfie. Auf der "Führerkanzel". Wo sonst.