Von Dagmar Gehm
Da soll noch mal jemand behaupten, Männer hätten kein Gespür für Blumenschmuck und Deko! Spätestens bei der ältesten und eindrucksvollsten Wasserprozession Deutschlands, die von Moos nach Radolfzell über den Untersee führt, wie der westliche Teil des Bodensees genannt wird, strafen die Mooser Männer das Vorurteil Lügen. Denn nur ihnen ist es gestattet, noch vor Sonnenaufgang ihr Boot zu schmücken, mit dem sie wenig später übersetzen werden.
Seit dem 18. Jahrhundert dürfen sie ihrer Kreativität nun schon freien Lauf lassen. Damals rottete eine Rinderpest im Südwesten Deutschlands fast die gesamten Viehbestände aus. In ihrer Verzweiflung begaben sich 1797 die Bauern der Untersee-Gemeinde Moos in einer Wallfahrt ins drei Kilometer (Luftlinie) entfernte Radolfzell am gegenüberliegenden Ufer und flehten die Stadtpatrone St. Theopont, St. Senesius und St. Zenoum um Beistand an. Bischof Radolf von Verona, der 806 die Stadt unter dem Namen "Cella Ratoldi" gründete, hatte ihre Reliquien mitgebracht, die bis heute im Münster Unserer Lieben Frau aufbewahrt werden.
Die heiligen "Hausherren" erhörten die Gebete, und nachdem sie von der Viehseuche verschont blieben, gelobten die Mooser, alljährlich am "Hausherren-Montag" eine Wallfahrt nach Radolfzell anzutreten. Seitdem wird zu Ehren der Heiligen an jedem dritten Sonntag im Juli das Hausherrenfest gefeiert, beginnend am Freitagabend, mit dem Höhepunkt der Mooser Wasserprozession, der anschließenden Prozession zum Münster, dem feierlichen Hausherrenamt am Montag und Feuerwerk an der Seeufer-Festmeile.
Fast ihr ganzes Leben lang sitzt auch die einstige Gemeinderätin Elfriede Schiffhauer (70) mit im Boot. Vorher hat sie noch viel zu tun: "Es ist Tradition, am Freitagabend im alten Feuerwerkshaus gemeinsam die halben Rundbögen mit Eichenlaub zu umwickeln", sagt sie. Einen ganzen LKW voll haben Gemeindearbeiter im Wald geschnitten. Unter der Leitung von Siegfried Graf wird das Laub nun für gut 20 Eisenbögen garniert - für jedes Boot einen. Erst am Sonntag werden aus den Gärtnereien frische Blumen geholt.
Montagmorgen, 6 Uhr. Die Ruderer lassen ihrer Kreativität freien Lauf und stecken Blüten in die bereits befestigte Girlande. Elfriede Schiffhauer ist als Chorsängerin bereits auf dem Weg zur Andacht, die vor der Überfahrt in der Kirche von Moos abgehalten wird. Als aktive Teilnehmerin am Brauchtum ist ihr ein Platz in einem der Boote gewiss.
7.30 Uhr. Die halbstündige Wallfahrt zu Wasser beginnt. Gleichmäßig taucht Bootsmann Thomas Wieland die Ruder in den See, der so glatt ist, dass er die Kähne gestochen scharf widerspiegelt. Immer schwerer wird die Last, fünf Passagiere machen das Übersetzen zu einem echten Opfergang für den 61-Jährigen. Seit seinem fünften Lebensjahr ist der Sozialarbeiter schon dabei. Viele in dem kleinen Fischerort besaßen damals ein Boot. Heute muss gut die Hälfte von einem Verleih geholt werden. 18 kleinere Boote, drei größere "Weidlinge" und das große "Führboot", in dem der Höripfarrer mit zwei Kollegen und dem Bürgermeister sitzt, gleiten vor, neben und hinter uns durch die Stille. Nichts hat der See in all den Jahren ihm wie auch Elfriede Schiffhauer erspart: "Regen und Wellengang. Durch starke Böen haben wir uns gekämpft und durch Gewitter." Trotzdem traf es sich gut, die Wallfahrt auf den Juli zu legen: "Das Heu war schon eingefahren, und das Korn noch nicht reif", erzählt der Steuermann.
Heute haben die Pilger Glück - nur leicht kräuseln sich sanft die Wellen, langsam schälen sich die geschmückten Fischerboote aus dem Dunst des frühen Morgens. Schon von weitem hört man die Kirchenglocken läuten auf der anderen Seite des Sees. Elfriede Schiffhauer ist zufrieden. Mit dem Wetter, mit der verzauberten Stimmung und mit der Schlagzahl des Ruderers.
Thomas Wieland legt sich nun mächtig in die Riemen. Eigentlich sollten die Boote ein V bilden, doch so recht gelingt es nicht, die Formation einzuhalten. Bei der Kanone an der Mole verteilen sie jetzt Ohrstöpsel als Schutz gegen drei Böllerschüsse, mit denen die Wasserprozession lautstark begrüßt wird.
Gleich werden geistliche und weltliche Würdenträger von Radolfzell die Pilger begrüßen. Gemeinsam setzt sich die Prozession dann zu Lande fort zum Münster, wo der Höhepunkt des Wunders der drei Heiligen, das Mooser Amt, gefeiert wird. Die meisten Radolfzeller Bürger tragen Tracht, die Frauen geklöppelte goldene Radhauben.
Vom Ufer weht der leichte Wind Gesänge, die von Kirchenchor und Stadtkapelle angestimmt werden, zu den Booten. "Großer Gott, wir loben Dich!" fallen jetzt auch die Wallfahrer mit ein. Gänsehaut pur! Allein für diesen einen, unglaublich intensiven Augenblick hat sich das frühe Aufstehen, hat sich auch die Schinderei für die Ruderer gelohnt.
Informationen:
■ Allgemeine Auskünfte erteilt Tourismus Untersee e.V., Im Kohlgarten 2, 78343 Gaienhofen, Telefon 07735 919055, www.tourismus-untersee.eu.
■ Anreise: Von Heidelberg auf der A 5 und
A 6 über Stuttgart bis AB Ulm, weiter auf der A 81 Richtung Singen bis Kreuz Hegau, dann Richtung Lindau folgen, weiter auf der B 31 nach Radolfzell und Moos.
■ Übernachten: Das "Relais du Silence Hotel Gottfried" bietet Doppelzimmer mit Frühstück ab 115 Euro pro Nacht. Es ist auch wegen seines Gourmetrestaurants bekannt (s. Essen & Trinken), Böhringer Str. 1, Telefon 07732 92420, www.hotel-gottfried.de. Direkt am Hafen, wo auch die Ruderer vor der Wallfahrt frühstücken, liegt das Gasthaus "Schiff". Hier kostet ein Doppelzimmer mit Frühstück ab 68 Euro pro Nacht, Hafenstr. 1, Telefon 07732 99080, www.schiff-moos.de. Erst im Mai öffnete das lifestylige Hotel Bora mit dem ausgedehnten HotSpa direkt am See seine Pforten. Die großen Doppelzimmer beginnen bei 175 Euro pro Nacht, Karl-Wolf-Straße 33, Radolfzell, Telefon 07732 950 400, www.bora-hotsparesort.de.
■ Essen und Trinken: Das gesamte Ufer inklusive des Jachtclubs in Radolfzell ist während des Festes von Buden gesäumt. Wer es feiner mag, geht in das auf Fisch spezialisierte Gourmetlokal "Honolds Mettnausstube", Strandbadstr. 23, Telefon 07732 13644. Chef Thomas Honold empfiehlt Felchenmatjes mit Bratkartoffeln für 14,50 Euro. Das "Strandcafé" direkt am Wasser, ebenfalls auf der Halbinsel Mettnau, bietet eine fantastische Aussicht bis in die Schweiz. Ein Kalbs-Saltimboca mit Rotweinsauce und Risotto kostet 20,50 Euro, Strandbadstr. 102, Telefon 07732 1650, www.strandcafe-mettnau.de. In Moos erkochte Patron Klaus Neidhart im Restaurant Gottfried zahlreiche Auszeichnungen. Für das Drei-Gang-Fischmenü mit Dessert zahlt man 45 Euro, Böhringer Str. 1, Telefon 07732 92420, www.hotel-gottfried.de.
■ Die Prozession: Die Mooser Wasserprozession 2013 findet am 22. Juli statt. Mit etwas Glück nehmen die Ruderer auch Touristen mit. Unbedingt vorher anfragen! Ansonsten kann man auf Begleitschiffen mitfahren. Das gesamte Hausherrenfest in Radolfzell wird vom 19. 22. Juli abgehalten, und zwar mit einem bunten Rahmenprogramm. Der Hausherren-Sonntag beginnt um 9 Uhr mit dem feierlichen Hausherrenamt im Münster Unserer Lieben Frau, gefolgt von der Prozession mit den Reliquien der drei Hausherren durch die Innenstadt. Den Höhepunkt des Festabends bildet der Gondelkorso, das Defilee lampiongeschmückter Segelboote und ein imposantes Feuerwerk. Am Montagmorgen um 8 Uhr trifft die Wasserprozession im Hafen von Radolfzell ein.
■ Extra-Tipp: Nach der feierlichen Wasserprozession mit anschließendem Kirchgang trifft man sich vor und in der "Weinstube Baum". Auch sonst gilt "der Baum" als geselliges Epizentrum von Radolfzell, Samstagvormittag und abends (außer Samstag/Sonntag) rollt Wirt Thomas Baum alte Fässer in die autofreie Gasse, wo Einheimische und Gäste ihr "Viertele" von ausgesuchten Weinen trinken.