Mit dem Pferd durch Londons Hyde Park
London ist eine der weltweit hippsten Metropolen. Was bietet sich also mehr an, als den beliebten Hyde Park statt zu Fuß standesgemäß zu Pferd zu besichtigen?

London. (dpa) - Über flauschige Pferdeohren hinweg fällt der Blick auf die rote Ampel vor der Bayswater Road, die die Nordgrenze von Hyde Park und Kensington Gardens markiert. Rote Doppeldeckerbusse und schwarze Taxis rauschen in Richtung Oxford Circus oder Buckingham Palace.
Kaum springt die Ampel um, schüttelt Boris – augenzwinkernd nach dem britischen Ex-Premier Johnson benannt – seine blonde Mähne und setzt sich in Bewegung. Mit ihm Artgenosse Jack samt Reiterin Sophie Gray, die langjährige Stallmanagerin in den Hyde Park Stables. Mit Hufgeklapper trotten die Wallache über die Straße, hinein in Londons grüne Lunge: den 140 Hektar weitläufigen Hyde Park.
"Die Waden leicht nach unten ziehen, gerade aufrichten", korrigiert die Reitlehrerin den Sitz, während es im Schritt entlang eines Reitpfads geht. Schlagartig wird es ruhiger.
London und die Pferde: Manches ändert sich nicht
Seit König Charles I. das private Jagdgebiet 1637 für die Öffentlichkeit freigab, spielten sich vier Jahrhunderte Londoner Geschichte in der Grünanlage ab. Von der Geburtsstunde des "Speakers Corner" über die Weltausstellung 1851 bis hin zu Triathlon-Wettkämpfen der Olympischen Spiele 2012. Vieles ist passé, die Präsenz von Pferden aber ist geblieben.
Auf der eigens Pferden vorbehaltenen "horse lane" geht es im Takt des Hufschlags über die Serpentine Bridge hinweg über den gleichnamigen See. Baumkronen und Cafés rahmen das Ufer, Tretboote tuckern übers Wasser - eine wahrlich erhabene Sattelperspektive.
Klingelnde Radfahrer scheinen Boris nicht im Geringsten zu stören. "Jedes unserer Pferde muss zunächst den London-Test bestehen", sagt Sophie. "Wir beobachten genau, wie die Tiere auf unerwartete Situationen reagieren", erklärt die 30-Jährige und versichert: "Für Reitnovizen ist Boris einer unserer besten." Und tatsächlich: Der braun-weiß gescheckte Irish Cob strahlt eine gleichmütige Ruhe aus.
"Manche unserer Hobbyreiter drehen schon vor der Arbeit eine Runde durch den Park", erzählt die Pferde-Expertin. Eine beliebte Galoppstrecke ist die legendäre "Rotten Row", die – verballhornt – wohl auf die ursprünglich französisch benannte "Route de Roi" zurückgeht. Sprich auf den "Weg des Königs", der den Kensington Palace im Westen mit dem St. James's Palace verbinden sollte.
Nach der Fertigstellung 1690 ließ König William III. zum Schutz vor Wegelagerern 300 Öllaternen installieren, und schuf damit die erste künstlich beleuchtete Straße Londons. Es galt sehen und gesehen werden: Hier tummelten sich Aristokraten, später auch die Mittelschicht, um edle Kutschen, noble Reiter oder mit Glück den König zu sichten.
Das moderne London am Horizont
Die schnurgerade Reitallee ist heute gesäumt von Platanen und Kastanien. In der Ferne ragen zwei ikonische Wahrzeichen Londons empor: "The Shard", Londons höchstes Gebäude, sowie das Riesenrad "London Eye".
Die zahllosen Hufspuren auf der Rotten Row stammen nicht nur von Freizeitreitern. Südlich an den Park angrenzend sind in den Hyde Park Barracks in einem langgestreckten Bau auf zwei Stockwerken bis zu 300 Pferde der royalen Garde-Kavallerie untergebracht. Stets in den frühen Morgenstunden werden sie im Park trainiert, erzählt Sophie. Ebenso wie die Kutschpferde der "Royal Mews" und jene der berittenen Polizei. Auf den acht Kilometern Reitweg des Parks dürfte dann eine Pferde-Rushhour herrschen.
Boris und Jack trotten schließlich zurück zu den Hyde Park Stables – einige Hundert Meter durch die Straßen Londons. Ein einzigartiges Erlebnis, das nur wenige Metropolen der Welt ermöglichen.
Am Stall in der Gasse Bathurst Mews angelangt, wimmelt es vor Ponys und Pferden. Ein surreal dörflich anmutendes Miteinander inmitten der 9-Millionen-Stadt. Die nächsten Reiter satteln auf; ein Tross des benachbarten Stalls Ross Nye Stables zuckelt durchs Tor. Mitarbeitende versorgen und pflegen die Tiere – oder schaufeln Pferdeäpfel vom Kopfsteinpflaster der charmanten Gasse, die mit ihren cremefarbenen niedrigen Häusern ihrerseits ein Hingucker ist.
Von der Unterkunft für Bedienstete zum Heim der Stars
Einer, der sich mit diesen bestens auskennt, ist Mike Lurot vom gleichnamigen Familienunternehmen Lurot Brand. Als Makler in dritter Generation ist er spezialisiert auf Immobilien in Londons zahlreichen Mews - Hinterhofgassen, die man vor allem rund um den Hyde Park findet. Sie entstanden zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert. "Hinter den Straßenzügen der gut betuchten Oberschicht lagen jeweils kleine Straßen mit zweigeschossigen Reihenhäuschen", so Lurot. "Unten waren Pferde und Kutschen untergebracht, darüber wohnten die Bediensteten." Zu jedem Herrenhaus gehörte ein rückwärtiges Mews-Haus.
Mit dem Einzug der Automobile wurden diese Anfang des 20. Jahrhunderts überflüssig. Viele Gebäude verwahrlosten – bis man ihr Potenzial wiederentdeckte. "Mein Großvater lebte 35 Jahre lang in der Bathurst Mews", erzählt Lurot. "Er verliebte sich in die versteckten ruhigen Gassen und spezialisierte sich auf Mews-Häuser."
Heute sind viele der Häuser um Dachterrassen oder Kellergeschosse erweitert und gefragte Immobilien. Auch Promis zählen zu Lurots Kunden - welche, bleibt ein Geheimnis. Die Mews sind nicht selten auch begehrte Filmlocations: In der St. Luke's Mews in Notting Hill etwa wurden Szenen des Filmklassikers "Tatsächlich Liebe" gedreht.
Die Bathurst Mews ist jedoch die letzte ihrer Art, in der bis heute Pferde wiehern. Sind die Tiere nach ihrem letzten Ausritt versorgt, machen es sich auch die Besitzerinnen in den Wohnungen oberhalb der Ställe gemütlich und wachen über ihre behuften Vierbeiner. Wie anno dazumal.

Tipps, Links, Praktisches:
Reiseziel: Die Ställe befinden sich nördlich des Hyde Parks, Stadtbezirk City of Westminster, London
Beste Reisezeit: Frühling bis Herbst, wenn es grünt und blüht.
Anreise: Über die Londoner Flughäfen Heathrow, City, Stansted, Luton oder Gatwick. Per Zug via Brüssel mit dem Eurostar.
Einreise: Neben dem Reisepass ist seit April auch eine elektronische Reisegenehmigung (ETA) für 16 Pfund (rund 19 Euro) Pflicht. Sie muss rechtzeitig vor der Einreise online beantragt werden. Infos gibt es unter: https://www.gov.uk/eta
Unterkünfte im Zentrum: Eine Übernachtung im Hostel-Schlafsaal ab umgerechnet etwa 50 Euro pro Nacht pro Person; einfaches Hotel ab ca. 100 Euro, komfortablere Hotelzimmer ab etwa 150 Euro aufwärts.
Währung: Ein britisches Pfund entspricht etwa 1,16 Euro. Gängige Kreditkarten werden generell akzeptiert.
Ausritte für Kinder und Erwachsene bis 80 Kilogramm: Einstündiger Ausritt mit zwei Personen umgerechnet ca. 170 Euro, privater Ausritt zwischen ca. 140 bis 175 Euro. Etwa bei Hyde Park Stables (www.hydeparkstables.com) und Ross Nye Stables (www.rossnyestables.co.uk). In beiden Ställen können Helme und Stiefel geliehen werden; Vorerfahrung nicht vonnöten.
Weitere Auskünfte: www.visitlondon.com/de