Esperanto im Sandkasten - Wenn eine Kunst- zur Muttersprache wird
Es sollte eine Sprache für die ganze Welt werden, doch weltweit durchsetzen konnte sich Esperanto bis heute nicht. Dennoch gibt es inzwischen Generationen, für die Esperanto ganz alltäglich ist.

Erfurt. (dpa) Schaut sich der kleine Anton mit seinem Papa Bilderbücher an, kommt es vor, dass er begeistert "leono" ruft und dabei auf einen Löwen tippt. Noch spricht der Zweijährige erst einzelne Wörter, doch schon bald wird er ganze Sätze in einer Sprache beherrschen, die den meisten fremd ist. Anton lernt neben Deutsch als zweite Muttersprache Esperanto. Für ihn und seine Eltern, Robert und Carolin Weemeyer, gehört die Kunstsprache zum Alltag. Das junge Paar aus Hannover hat sich vor Jahren über Esperanto kennengelernt und besucht noch heute regelmäßig Sprach-Treffen.
Bei derartigen internationalen Familienzusammenkünften, so erzählt der 39 Jahre alte Vater, würden Steppkes aus England, Finnland und Spanien einmütig in der Sandkiste sitzen und sich spielend mit Esperanto verständigen. Die zweisprachige Erziehung seines Sohnes beispielsweise in Englisch hätte sich Weemeyer nicht zugetraut. "Esperanto ist nicht so kompliziert und dennoch ausdrucksstark", sieht der Parlamentsstenograf einen Vorteil dieser geplanten Sprache. Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem jüdischen Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof entwickelt, um die Völker-Verständigung zu erleichtern.
Heute wird die Sprache in etwa 120 Ländern gepflegt. Wie viele Menschen auf der Welt Esperanto sprechen, vermag niemand zu sagen. Schätzungen schwanken zwischen einer halben und 3,5 Millionen Sprechern. Die deutschen Esperanto-Sprecher kommen über Pfingsten in Erfurt zu ihrem alljährlichen Kongress zusammen und wollen sich dort unter anderem über die zweisprachige Erziehung austauschen. Noch sei die Zahl der "Denaskaj Esperantistoj", also jener, die von Geburt an Esperanto sprechen gelernt haben, begrenzt, weiß die Sprachwissenschaftlerin an der Leipziger Universität, Sabine Fiedler. Weltweit sei Esperanto in rund 350, zumeist internationalen Familien als Muttersprache etabliert. Genaue Angaben fehlten aber auch hier.
An die 1000 Versuche gab es schon, eine Sprache zur Erleichterung der internationalen Kommunikation zu kreieren. "Bislang ist es aber nur dem Esperanto gelungen, sich vom Projekt zur voll funktionierenden Sprache zu entwickeln", betont Fiedler. Enthielt das erste Esperanto-Wörterbuch noch 900 Wortwurzeln, so umfasst das jetzige bereits 17 000. So haben beispielsweise mit "komputilo", "Fejsbuko" und "Tvitero" auch Computer, Facebook und Twitter Eingang in den Esperanto-Wortschatz gefunden, der zu 75 Prozent auf romanischen Sprachen wie Latein und Französisch basiert.
Jährlich werden vom Krimi bis zum Comic mehr als 200 Bücher publiziert, es gibt an die 350 Zeitschriften, Popmusik, Kurzfilme und Radiosendungen in Esperanto. "Wir sind eine kleine, aber produktive Sprachgemeinschaft", sagt der Vorsitzende des Deutschen Esperanto-Bundes, Sebastian Kirf. Aufgrund einer sehr regelmäßigen Grammatik - die kaum Ausnahmen kennt - und eines Baukastensystems aus Vor- und Nachsilben sei Esperanto schneller erlernbar als andere Sprachen. Oft genügten schon zwei oder drei Wochenendkurse, um einfache Unterhaltungen führen zu können.
Trotz dieser Vorteile hat es Esperanto bis heute nicht geschafft, zur Zweitsprache für die ganze Welt zu werden. Den Grund dafür sieht Kirf in einer fehlenden Lobby. Anders als etwa beim Englisch stehe hinter Esperanto keine politische oder wirtschaftliche Kraft, sagt Kirf. Noch heute gelte: "Wer die Macht hat, dessen Sprache wird gesprochen."