"Vorfall melden": Per Online-Formular kann Hass im Netz zur Prüfung vorgelegt werden.
Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Sersheim. "Das hier wurde zum Beispiel heute gemeldet", sagt Stephan Ruhmannseder und klickt einen Screenshot auf seinem Laptop an. Auf dem Monitor erscheint ein Facebook-Post von "Focus-Online", im verlinkten Artikel geht es um Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer Migranten retten. Unter dem Beitrag hat jemand einen Kommentar hinterlassen: Er fände es besser, steht da sinngemäß und in holpriger Sprache, wenn man Schlepper und Seenot-Retter im Meer versenken würde. Das Profil des Kommentators zeigt das Porträtfoto eines älteren Mannes und einen normal klingenden Namen, Vorname Wilfried.
"Das bewegt sich wohl im Bereich der Meinungsfreiheit", sagt Ruhmannseder. "In solchen Fällen antworte ich dem Melder, dass das nicht justiziabel ist." Er schließt die Datei. "Aber natürlich ist das eine schlimme Aussage: wehrlose Leute im Meer versenken", sagt der 35-Jährige kopfschüttelnd. Dann klickt er weiter.
Stephan Ruhmannseder - Turnschuhe, Jeans, T-Shirt, Kurzhaarschnitt - arbeitet beim "Demokratiezentrum Baden-Württemberg" und hat dort die "Meldestelle Respect" mit aufgebaut. Ihr Kern ist eine Eingabemaske im Internet, über die man Fälle von "Hatespeech" (engl. Hassrede) melden kann.
Anfang des Monats ging die Seite online, seitdem landen jeden Morgen ein paar Portionen Hass und Hetze auf Ruhmannseders Monitor im beschaulichen Örtchen Sersheim bei Ludwigsburg. In der ersten Woche 65 Meldungen - eine düsterbunte Mischung aus Holocaust-Leugnungen, Hakenkreuz-Bildchen, üblen sexualisierten Beleidigungen, Schmähungen gegen Juden, Moslems oder "südländische Untermenschen", dazu der ein oder andere "Hurensohn".
Die Debatte um den Ton im Internet ist nicht neu, doch seit kurzem gibt es sogar ein eigens zugeschnittenes Bundesgesetz: das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Ende Juni vom Bundestag beschlossen. Die im Vorfeld heftig umstrittene Regelung verpflichtet große Social-Media-Betreiber wie Facebook, "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" 24 Stunden nach Beschwerde zu löschen oder sperren. In schwierigen Fällen beträgt die Frist eine Woche. Geschieht das nicht, drohen Bußgelder, im Extremfall von bis zu 50 Millionen Euro.
"Die Debattenkultur im Netz ist oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt", schrieb Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zur Begründung. Das Gesetz sei nötig, denn: "Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte, die nicht effektiv bekämpft und verfolgt werden können, bergen eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft."
Stephan Ruhmannseder lässt den Blick durch sein kleines, helles Büro schweifen. Auf seinem Schreibtisch, neben dem Laptop und einem Kommentar zum Strafgesetzbuch mit vielen Lesezeichen, steht ein ausgedrucktes Comic-Bildchen. Es zeigt einen fröhlichen Fuchs, den "Demokratiefuchs", der sagt: "Ich habe deinen Kommentar zur Kenntnis genommen und für scheiße befunden." Missbilligend hinnehmen reicht den Leuten vom Demokratiezentrum nicht. Äußerungen, die ihnen gemeldet werden und die sie für strafbar halten, bringen sie zur Anzeige. Außerdem fordern sie die Seitenbetreiber auf, die Posts zu löschen. Unterstützt und beraten wird die Meldestelle von einem Anwalt für IT-Recht, der auch schon mal Facebook-Gründer Mark Zuckerberg verklagt hat.
Die Landtagsfraktion der AfD wirft dem Zentrum daher vor, eine "Anlaufstelle für Denunzianten" zu bieten. Das "selbsternannte Demokratiezentrum", klagt der Abgeordnete Emil Sänze, sei ein "willfähriger, staatlich finanzierter Helfer auf dem Weg in den Überwachungsstaat". Sänze findet, für Straftatenverfolgung gebe es Polizei und Justiz.
Die Kritik überrascht Ruhmannseder nicht. "Wenn man gegen ,Hatespeech‘ im Netz vorgeht, ist es klar, dass man Kritik von Rechtspopulisten erntet", sagt er. Den Denunziations-Vorwurf könne er "nur sehr begrenzt nachvollziehen". "Es geht uns nicht um eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern darum, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit auch im Netz eingehalten werden."
Info: www.demokratiezentrum-bw.de/meldestelle-respect/