Versuch einer Annäherung: Im April 2018 besuchte CDU-Generalsekretär Manuel Hagel (l.) eine Veranstaltung der WerteUnion von Alexander Mitsch (r.) in Schwetzingen. Bei deren Gründung hatte er noch über unnötige „Selbsterfahrungskurse“ gespottet. Foto: Uwe Anspach
Von Sören S. Sgries
Heidelberg/Plankstadt. Die einen wollen die "WerteUnion" möglichst klein halten, beschimpfen sie gar als "Krebsgeschwür". Die anderen sehen in ihr die Rettung der CDU. Was steckt hinter dieser "konservativen Basisbewegung", wie sich die Gruppe selbst nennt?
1. Die WerteUnion entstand als genialer PR-Coup. Was tut man im Jahr 2017 als frustriertes CDU-Basismitglied? Die einen schimpfen am Stammtisch auf die Kanzlerin. Alexander Mitsch, damals Beisitzer im CDU-Kreisverband Rhein-Neckar und Mitinitiator einer Bürgerinitiative gegen eine Flüchtlingsunterkunft, geht einen anderen Weg. Er gründet einen Verein. Rund 70 Gründungsmitglieder kommen auf seine Einladung hin im März 2017 in Schwetzingen zusammen, um den "Freiheitlich-konservativen Aufbruch e.V."aus der Taufe zu heben.
Das "zunächst lockere Netzwerk" wächst. Auf über 4400 Mitglieder verweist Mitsch derzeit. Allerdings: Gemessen an 407.000 Mitgliedern in der CDU, 140.000 in der CSU ist das ein Bruchteil. Die "WerteUnion", wie die Gruppe sich bald nennt, tritt dennoch mit massivem Selbstbewusstsein auf. Erfolgreich.
Allein die Selbstbeschreibung als "konservative Basisbewegung" reicht aus, damit der Gründer und Bundes-Vorsitzende Mitsch medial als Sprachrohr einer unzufriedenen konservativen CDU-Basis akzeptiert wird. Überraschend wird der Kreisverbands-Beisitzer (ein Amt, das der 53-Jährige 2019 verliert) bundesweit immer wieder als meinungsstarker Kanzlerinnenkritiker zitiert – schwer vorstellbar ohne das Etikett "WerteUnion". Doch viele Medien sind dankbar, dass da einer mit CDU-Parteibuch so unverdrossen "Klartext" redet.
Zumal Mitsch es mit Ehrgeiz und Geschick versteht, seinen Verein weiter aufzubauen – oder aufzubauschen? Größter PR-Coup ist sicherlich, dass der Verein seit Anfang 2019 den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Aushängeschild hat. Dennoch ändert auch dieser taktisch geschickte Schachzug nichts daran: Die "WerteUnion" bleibt das, was man – nach der Figur von Autor Michael Ende – einen "Scheinriesen" nennen könnte. Sie wirkt groß, mächtig. Doch wenn man näher ran geht, schrumpft sie rapide.
2. Die WerteUnion brauchte das Machtvakuum innerhalb der CDU, um zu wachsen. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Gründung dieses Vereins ausgerechnet im Südwesten erfolgte. Die Landes-CDU hatte 2016 die zweite Landtags-Wahlschlappe in Folge verkraften müssen, landete sogar hinter den Grünen. Spitzenkandidat Guido Wolf hatte enttäuscht. Parteichef Thomas Strobl, angeschlagen durch die Niederlage im vorherigen Mitgliederentscheid, war als Vize-Regierungschef in Stuttgart gebunden. Mit Manuel Hagel war ein Generalsekretär ins Amt gekommen, der zwar Ambitionen und Talent hatte – aber als damals 28-Jähriger erst Rückhalt und Routine aufbauen musste.
Viel Raum also für Unzufriedenheit. Und keine klaren Machtstrukturen innerhalb der CDU, mit denen diese aufgefangen und kanalisiert wurde. Ein Problem, das sich auf Bundesebene fortsetzte. Angela Merkel war als Vorsitzende spätestes seit dem Wahltag 2017 schwer angeschlagen. Seitdem gärt es in der Partei. Bis heute.
3. Die WerteUnion hilft den Rechtspopulisten. Auch wenn Mitsch sich überzeugt gibt, dass das Gegenteil der Fall ist: Die WerteUnion hilft den Rechtspopulisten der AfD. Sie hält seit drei Jahren den Geist des "Merkel muss weg!" in den Reihen der Union. Sie beklagt lautstark einen "Linkskurs". Attacken von außerhalb der Partei könnte diese recht kaltblütig abprallen lassen. Attacken durch den politischen Gegner adeln eine Regierungspartei ja eher als dass sie schaden. Doch die WerteUnion behauptet, für massiven Unmut innerhalb der CDU/CSU zu stehen – und so wird permanent die eigene Regierungslinie diskreditiert, die Parteiführung beschädigt. Geschlossenheit – einst die große Stärke der CDU – kommt nicht mehr zustande. Wähler wenden sich verunsichert ab.
Anschaulich zeigt das die Art, wie Hans-Georg Maaßen seit seinem Rauswurf als Verfassungsschutzchef für die WerteUnion tourt. Er bastelt in erster Linie an seinem eigenen Opfermythos – was der Partei wenig helfen dürfte. Aber auch Mitschs Geständnis, für die AfD gespendet zu haben, hinterlässt mehr als ein Geschmäckle.
4. Die konstruktive Kurs-Kritik findet in der CDU an anderer Stelle statt. Der (mediale) Erfolg der WerteUnion beruht darauf, dass sie permanent polemisieren darf, aber nie Verantwortung übernehmen muss. Es ist kein Zufall, dass sich keine prominenten Mandatsträger öffentlich zu ihr bekennen. Nur zur Erinnerung: Es gibt durchaus prominente Köpfe, die Merkels Kurs kritisierten – und sich damit auch innerhalb der Parteistrukturen durchsetzen konnten, ganz ohne Vereinsmeierei. Jens Spahn stieg über Parteitage erst ins Präsidium, dann ins Kabinett auf. Auch aus der Jungen Union gab es lebhaften Widerstand – übrigens auch schon unter dem aktuellen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Und die Mittelstandsvereinigung unter ihrem Chef Carsten Linnemann steht ebenso wenig für "Linkskurs". Der Unterschied: Alle Genannten haben etwas zu verlieren. Und sie wissen, dass sie die Gesamtheit der Partei erreichen müssen – weil sie beispielsweise auch innerparteiliche Wahlen gewinnen wollen. Destruktive Fundamentalopposition gegen die eigenen Leute geht in diesen Positionen nicht.
5. Von scharfer Abgrenzung könnte die CDU profitieren. Die fehlende CDU-Führung hat die WerteUnion erst stark gemacht. Und die Parteispitze könnte sie auch wieder in sich zusammenfallen lassen. Wie? Das schärfste Schwert wäre sicherlich auf Bundesebene ein Unvereinbarkeitsbeschluss für die Mitgliedschaft: Um den Kurs der CDU wird in der CDU gerungen – nicht in irgendwelchen Vereinen. Eigentlich eine naheliegende Ansage. Allerdings eine mit großem Risiko. Eine Verbotsdebatte in den eigenen Reihen kann die Parteiflügel noch weiter auseinander treiben.
Zumindest aber müsste eine klare Abgrenzung erfolgen. Grußworte von Präsidiumsmitgliedern wie Jens Spahn oder gar persönliche Aufwartungen von Parteioffiziellen bei Treffen dieser Gruppe – wie 2018 Südwest-Generalsekretär Manuel Hagel – machen sie unnötig stark.
Ob das die erzkonservative Wählerschaft nicht unnötig verprellt? Schwer zu sagen, ob die nicht sowieso längst an anderer Stelle ihr Kreuz machen. So, wie die WerteUnion über CDU-Politik sprach, war das ja eher keine Wahlempfehlung.