Stuttgart. (dpa-lsw) Einkaufen ja, aber Shoppen bitte nicht. Wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die neuen landesweit gültigen Corona-Regeln erklärt, kann man schnell den Überblick verlieren. Ein paar Beispiele, was sich in den kommenden Tagen auf jeden Fall ändern wird und was sich vielleicht noch ändern kann:
Wie viele Menschen darf ich noch treffen?
Nachts niemanden außerhalb des eigenen Haushalts. Es sei denn, man muss zum Beispiel zur Arbeit oder zum Arzt. Das abendliche Bier bei Freunden geht ab sofort nicht mehr. Tagsüber, von 5 bis 20 Uhr, dürfen weiterhin privat wie öffentlich maximal fünf Menschen aus zwei Haushalten sowie Verwandte in gerader Linie (Großeltern-Eltern-Kinder) und Partner zusammenkommen. Kinder bis einschließlich 14 Jahre sind hiervon ausgenommen. Man kann also zum Beispiel seine Eltern besuchen.
Sport und Bewegung an der frischen Luft sind ausschließlich alleine, mit Angehörigen des eigenen Haushalts oder mit einer weiteren nicht im selben Haushalt lebenden Person gestattet. Diese Regelungen gelten für ganz Baden-Württemberg ab Samstag und für vorerst vier Wochen.
Was ist mit Weihnachten?
Hier gilt nach wie vor die Regel, dass sich vom 23. bis 27. Dezember zehn Menschen aus verschiedenen Haushalten treffen dürfen. Kinder werden auch dabei ausgenommen. Allerdings macht Kretschmann hier ein dickes Fragezeichen dahinter und verweist auf eine Umfrage, nach der sich 40 Prozent der Bevölkerung nicht an die Vorschriften über Weihnachten halten wollten. Das seien "keine guten Nachrichten", sagte der Grünen-Politiker.
Daher will er am Sonntag mit den anderen Länderchefs und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen, ob zum Beispiel der Zeitraum der Lockerungen verkürzt werden sollte, oder doch nur Treffen von Familienangehörigen erlaubt werden sollten. Gottesdienste sind nach jetzigem Stand noch erlaubt.
Kann ich meine Weihnachtseinkäufe noch erledigen?
Ja. Alle Geschäfte bleiben geöffnet. Das gilt also nicht nur für den Lebensmittelhandel, sondern auch für Schuhgeschäfte, Schmuckläden und Modeboutiquen oder auch Elektromärkte und den Buchhandel. Allerdings mahnt der Ministerpräsident an, dass man nicht zum gemütlichen Schaufensterbummel losziehen solle, sondern gezielt einkaufen und danach schnellstmöglich wieder nach Hause gehen sollte. Immerhin sei die Vorweihnachtszeit für den Handel die umsatzstärksten Wochen, betont Kretschmann. Allerdings könne es auch hier nach den Bund-Länder-Gesprächen neue Regeln geben, sagte er.
Schulen bleiben also auch geöffnet?
Ja. Dasselbe gilt für Schulen, Kitas, Unis und Hochschulen: An den bestehenden Regeln wird erstmal nichts geändert. Es sei denn, Merkel und die Länder-Regierungschefs beschließen ein anderes Vorgehen. Aber auch wenn dort keine bundeseinheitliche Lösung gefunden wird, kann es immer noch sein, dass Baden-Württemberg mit seinen südlichen Nachbar-Bundesländern vorangeht.
Kann ich zum Friseur gehen?
Noch ja. Es sei denn, man lebt in einem Hotspot, in dem schon Friseursalons schließen mussten. Für alle anderen ändert sich die Lage aber ziemlich sicher auch bald. Kretschmann kündigt an, dass sich Bund und Länder auf Schließungen von Friseurbetrieben, Barbershops, Sonnenstudios und Sportanlagen einigen wollen. Diese sollen ab Dienstag in Kraft treten. Auch einen bundesweiten Lockdown nach Weihnachten bis zum 10. Januar hält er für ausgemachte Sache.
Wird es wieder Grenzschließungen geben?
Auch das ist noch offen und soll am Sonntag besprochen werden. Sowohl was die Grenzen etwa nach Frankreich und in die Schweiz angehe, als auch zwischen den Bundesländern. Gerade weil die Infektionslage im Süden Deutschlands gleichermaßen hoch ist, will Kretschmann vor allem mit Bayern viele Übereinstimmungen bei den Maßnahmen finden, damit man nicht wie im Frühjahr auf der einen Seite der Grenze zum Beispiel in den Baumarkt gehen kann, auf der anderen aber nicht.
Kann ich noch Glühwein im Freien trinken?
Dieses Jahr gibt es keinen Budenzauber mehr. Der Ausschank und Konsum von Alkohol an öffentlichen Orten, an denen sich Menschen entweder auf engem Raum oder längere Zeit aufhalten, ist verboten.
Wie ist die aktuelle Corona-Lage im Südwesten?
Die Zahl der Neuinfektionen lag schon zwei Tage in Folge bei mehr als 4000 und damit laut Kretschmann zufolge so hoch wie nie. In Summe gibt es in Baden-Württemberg seit Beginn der Pandemie rund 180.000 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2. Um die 3300 Menschen sind in Verbindung mit dem Virus gestorben. Auch hier wächst die Zahl täglich. Kretschmann nannte das "erschreckend", die Lage sei alarmierend. Es gebe erneut Anzeichen für eine exponentielle - also immer stärker anwachsende - Zunahme bei den Corona-Neuinfektionen.
Aber wenn die Lage so dramatisch ist, warum greift die Landesregierung nicht sofort zum harten Lockdown?
Kontakte zu anderen außerhalb des Hausstands völlig zu verbieten - also Ausgangssperren zu verhängen - wäre "das Härteste, was es gibt", sagt Kretschmann. So weit will die Landesregierung dann doch nicht gehen. Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU) bat aber darum, Kontakte auf ein "absolutes Minimum" zu reduzieren. Was die Schließung von Schulen und Einzelhandel betrifft, will sich der Südwesten mit den anderen Ländern abstimmen. Bei den Ausgangsbeschränkungen will Kretschmann nicht länger warten.
Halten sich denn alle an die Corona-Regeln?
Nein. Innenminister Strobl hat fast 900 Polizisten diese Woche losgeschickt, um bei Schwerpunktkontrollen die Einhaltung der Corona-Maßnahmen zu überprüfen. Seine Bilanz: 16.500 Menschen wurden kontrolliert, mehr als 8400 Verstöße wurden festgestellt, mehr als 370 davon angezeigt. In nahezu 8000 Fällen sei es um die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gegangen, 425 Mal um Ansammlungen. Allerdings ordnet Strobl auch ein: Der Anteil jener an der Bevölkerung, die sich nicht an die Regeln halten, sei klein bis sehr klein.
Update: Freitag, 11. Dezember 2020, 15.28 Uhr
Ausgangsbeschränkungen ab Samstag - Lockerung an Weihnachten infrage gestellt
Stuttgart. (dpa-lsw) Wegen steigender Corona-Zahlen gilt in ganz Baden-Württemberg ab diesem Samstag eine Ausgangsbeschränkung. Für Ausnahmen müsse man "triftige Gründe" haben wie die Arbeit oder einen Arztbesuch, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag in Stuttgart. Zugleich stellte er die bundesweit geplanten Lockerungen der Corona-Maßnahmen über Weihnachten wieder infrage.
Bisher ist vorgesehen, dass sich vom 23. bis zum 27. Dezember zehn Personen treffen dürfen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad und der Zahl der beteiligten Haushalte. Es stehe nun im Raum, das wieder auf Familienangehörige zu begrenzen oder den Zeitraum zu verkürzen, sagte Kretschmann. Das wolle er mit den anderen Ländern besprechen. Wenn man etwas ändere, "sollten wir das auch wieder gemeinsam tun".
Landesweit gilt bis zum 23. Dezember, dass sich tagsüber - also von 5 bis 20 Uhr - lediglich bis zu fünf Personen aus nicht mehr als zwei Haushalten treffen dürfen. Kinder unter 15 Jahren werden nicht mitgezählt. Nachts ist auch das untersagt. Die Maßnahmen sollen vorerst für vier Wochen gelten. Nur über Weihnachten - vom 23. bis 27. Dezember - sei auch nachts der Besuch von privaten Veranstaltungen erlaubt, sagte der Regierungschef.
Schulen, Kitas, Universitäten, Hochschulen und auch der Einzelhandel - nicht nur für Lebensmittel - sollen bis auf weiteres geöffnet bleiben. "Wir haben ja keinen Lockdown beschlossen", sagte der Grünen-Politiker. Es könnte aber sein, dass Bund und Länder am Sonntag andere Regeln beschließen. Gerade weil die Infektionszahlen im Süden hoch seien, sei ein gemeinsamer Weg etwa mit Bayern denkbar.
Bei weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie will der Regierungschef die Gespräche zwischen Bund und Ländern abwarten. Davon betroffen sind unter anderem mögliche Schließungen von Friseurbetrieben, Barbershops, Sonnenstudios und Sportanlagen. Bei den Ausgangsbeschränkungen sei er vorgeprescht, weil die Corona-Zahlen in Baden-Württemberg so hoch seien, sagte Kretschmann. Hier habe man keine weiteren drei Tage abwarten können.
Der Ministerpräsident geht fest davon aus, dass es nach Weihnachten bis mindestens zum 10. Januar einen bundesweiten Lockdown im Kampf gegen das Coronavirus geben wird. Es gebe nach seiner Wahrnehmung einen Konsens unter den Länder-Regierungschefs. "Davon kann man also ausgehen. Die Bevölkerung kann sich darauf einstellen."
Mit mehr als 4200 Neuinfektionen im Südwesten sei diese Zahl so hoch wie nie. "Man sieht also, dass da nochmal eine enorme Entwicklung stattgefunden hat." Die Zahl der Todesfälle sei "erschreckend hoch". Vor allem über 80-Jährige erkrankten überdurchschnittlich häufig. "Wir müssen die Zahl der Neuinfektionen schnell und radikal runterdrücken", sagte Kretschmann. "Es gibt keine klar erkennbaren Infektionsherde mehr, die wir gezielt bekämpfen könnten."
Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) betonte: "Die Lage ist nicht unter Kontrolle." Zwingend seien härtere Schritte nötig. "Der Versuch mit dem Lockdown light ist gescheitert." Die Hoffnung war nach Kretschmanns Worten, die zweite Welle nach jener im Frühjahr mit vergleichsweise milden Mitteln zu brechen. "Doch von dieser Hoffnung müssen wir uns nun verabschieden." Der Regierungschef sagte: "Mit dem Virus kann man leider nicht verhandeln und Kompromisse schließen."
Update: Freitag, 11. Dezember 2020, 13.52 Uhr
Stuttgart. (dpa/lsw) Baden-Württemberg stemmt sich mit landesweiten Ausgangsbeschränkungen und einem Lockdown nach Weihnachten gegen die dramatisch steigenden Corona-Infektionen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte am Freitag an, dass das Land nach Weihnachten bis mindestens 10. Januar in den Lockdown gehen werde. Sofern keine bundeseinheitliche Lösung gefunden werden könne, werde der Südwesten eine gemeinsame Lösung mit den Nachbarländern Baden-Württembergs anstreben - also eine Art Koalition der Willigen bilden. Möglicherweise noch an diesem Wochenende beraten Bund und Länder noch einmal über ein gemeinsames Vorgehen. Wie genau der Lockdown im Südwesten aussehen soll, blieb zunächst offen.
Bereits Anfang nächster Woche will das Land das öffentliche Leben weiter herunterfahren. So seien unter anderem eine nächtliche Ausgangssperre sowie tagsüber Ausgangsbeschränkungen geplant, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur nach einem Gespräch der grün-schwarzen Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden am Donnerstag. Wer das Haus tagsüber verlässt, soll das demnach nur noch mit einem triftigen Grund tun, etwa für die Arbeit. Am Donnerstag hieß es noch, dass ganztägige Ausgangsbeschränkungen nur für Regionen mit mehr als 300 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in einer Woche geplant sind.
Die neuen Auflagen will das Kabinett an diesem Freitag in einer Sondersitzung beschließen. Damit reagiert Ministerpräsident Kretschmann auf die stark steigenden Infektionszahlen und greift einer möglichen Absprache mit den Länder-Regierungschefs und der Kanzlerin vor. Als Starttermin für die Maßnahmen im Land ist der kommende Dienstag im Gespräch.
Allerdings muss noch geklärt werden, was unter einem triftigen Grund für das Verlassen des Hauses zu verstehen ist. Zuletzt war vor allem noch umstritten, ob nur noch das Einkaufen für den täglichen Bedarf ein triftiger Grund sein soll. Das würde bedeuten, dass der Einzelhandel bis auf Lebensmittelgeschäfte schließen müsste. Geklärt werden muss zudem die Frage, ob die Schulen nun doch schon nächste Woche geschlossen werden sollen, wie es etwa Kanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte sich zuletzt vehement gegen eine solche flächendeckende Maßnahme gewehrt.
Der bisherige Teil-Lockdown seit November entfaltet nicht die erhoffte Wirkung. Derzeit gilt noch bis zum 23. Dezember, dass sich lediglich bis zu fünf Personen aus nicht mehr als zwei Haushalten treffen dürfen. Kinder unter 15 Jahren werden nicht mitgezählt. Die Maskenpflicht gilt unter anderem im Öffentlichen Nahverkehr und im Handel, vor Einkaufszentren, Ladengeschäften und Märkten. Generell muss überall Maske getragen werden, wo der Abstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann - etwa in stark besuchten Fußgängerbereichen wie Einkaufsstraßen.
Ob die geplante Lockerung über Weihnachten bestehen bleibt, steht ebenfalls infrage. Vom 23. bis zum 27. Dezember sollten sich eigentlich zehn Personen treffen dürfen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad und der Zahl der beteiligten Haushalte.
"Die Lage ist leider alarmierend", teilte Kretschmann am Freitagmorgen mit. "Wir haben Anzeichen für eine erneute exponentielle Zunahme der Neuinfektionen, deshalb müssen wir zwingend die Maßnahmen drastisch verschärfen." Landesregierung und Kommunen kämen gemeinsam zu der Einschätzung, dass ein harter Lockdown nach Weihnachten bis mindestens zum 10. Januar unerlässlich sei.
Kretschmann sagte, er werde sich auf der für Sonntag anberaumten Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin für einen solchen Schritt einsetzen. Falls man sich nicht auf eine einheitliche Lösung einige, schreite der Südwesten mit den Nachbarländern voran.
"Uns fällt nichts anderes ein, als die Kontakte weiter zu beschränken", sagte der Präsident des Gemeindetags, Roger Kehle, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Corona-Zahlen schießen in die Höhe." Kehle bestätigte, dass das Land eine nächtliche Ausgangssperre und auch tagsüber Ausgangsbeschränkungen beschließen wolle, die am kommenden Dienstag in Kraft treten sollen. Er gehe davon aus, dass der Landtag sich am Montag in einer Sondersitzung damit befassen werde. "Wir können nicht immer warten, bis die anderen Länder und die Kanzlerin alles mitbeschließen", sagte Kehle.
Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen im Südwesten war zuletzt innerhalb eines Tages um 4208 Fälle auf insgesamt 179.154 Ansteckungen seit Beginn der Pandemie gestiegen. Landesweit lag der Wert für Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen bei 168,8 und damit nochmals höher als an den Vortagen. In Baden-Württemberg lebt inzwischen fast jeder vierte Mensch in Corona-Hotspots mit ausufernden Infektionszahlen - also Regionen mit mehr als 200 Neuinfizierten je 100.000 Einwohner binnen einer Woche. In mehreren Stadt- und Landkreisen gelten wegen der Überschreitung dieser Marke bereits schärfere Maßnahmen als die landesweiten Regelungen im Kampf gegen die Pandemie.