Volksbegehren Artenschutz

Das beklagt die bayerische "Bienenretterin" am Bauernverband

Agnes Becker beklagt Kritik - Familienbetriebe litten unter den derzeitigen Strukturen

23.09.2019 UPDATE: 23.09.2019 16:00 Uhr 3 Minuten, 18 Sekunden

Für das Volksbegehren Artenschutz müssen in Baden-Württemberg in den kommenden sechs Monaten rund 770 000 Unterschriften gesammelt werden. Foto: Erzeugergemeinschaft Mainkorn/UFOP e.V./obs

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Agnes Becker (39) war eine Initiatorin des Volksbegehrens "Rettet die Bienen!" in Bayern und ist stellvertretende Landesvorsitzende der ÖDP.

Frau Becker, Sie haben Ihr Volksbegehren erfolgreich hinter sich gebracht, in Baden-Württemberg geht es jetzt erst los: 770.000 Unterschriften für den Artenschutz - kann das gelingen?

Natürlich. Ich bin da total optimistisch. Wir hatten in Bayern als Pioniere ja verschärfte Bedingungen, wir hatten keinerlei Erfahrungswerte, auf die wir zurückgreifen konnten. Aber was wir erlebt haben, das war ein unglaublicher Zuspruch aus der Bevölkerung.

Warum unterschreiben denn die Menschen?

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Gerade von der Generation "50 plus", mit der man am Stand ins Gespräch kam, haben wir sehr oft Sätze gehört wie "Als ich noch ein Kind war ...". Und dann geht es um Insekten oder um Vögel, die man nicht mehr sieht. Zu dieser subjektiven Betroffenheit passen ja auch die objektiven wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den vergangenen Jahren leider zu wenig Beachtung gefunden haben.

Und dazu kommt noch die junge Generation, die ja auch die Klimademonstrationen vorantreibt?

Ich finde es überragend, dass sich die Jungen so engagieren. Das war in den vergangenen Jahren eher seltener der Fall. Aber jetzt sind sie da! "Fridays for Future" hat uns auch in Bayern beim Volksbegehren massiv geholfen. Sie wissen, es geht beim Artensterben, bei der Klimakatastrophe um ihre Zukunft.

Agnes Becker. Foto: dpa

In Baden-Württemberg gab es gleich Kritik. Der Bioland-Verband wollte wegen "gewisser Härten im Entwurfstext" das Volksbegehren nicht unterstützen. Mussten Sie auch die Erfahrung machen, dass Verbände, die Sie an Ihrer Seite hofften, den Antrag zu radikal fanden?

Die Erfahrung haben wir in Bayern nicht gemacht. Im Gegenteil. Wir haben von den Naturschutzverbänden an mancher Stelle sogar Kritik gehört, dass wir weiter gehen müssen. Wir haben halt den Versuch unternommen, das ökologisch zwingend Notwendige zu tun und das ökonomisch Notwendige nicht zu vernachlässigen. Aber die ökologischen Anbauverbände - Demeter, Bioland -, die standen hinter uns. Und sie haben die Kritik, die vom Bauernverband kam, abgewehrt - was klasse war. Es ist einfach besser, wenn der Bauer mit dem Bauern diskutiert, nicht der Städter mit dem Bauern.

Jetzt sollen beim Pestizideinsatz, beim Öko-Landbau immer Soll-Werte im Gesetz verankert werden. Wie viel bringt das?

Unser Vorbild war Österreich, die jetzt schon 25 Prozent Biolandbau vorweisen können. In Bayern sind es 10 Prozent. Auch bei unseren Nachbarn ist das ja aber nicht vom Himmel gefallen. Sondern der Staat hat schon vor längerer Zeit kluge Entscheidungen getroffen, um den Landwirten bei der Umstellung zu helfen. Ich kann natürlich niemanden verpflichten umzustellen. Aber wir haben einen kleinen "Überwachungsparagrafen" in das Gesetz hineingeschrieben: Die Staatsregierung muss einmal im Jahr Bericht abgeben über den Stand bei der Umsetzung der Zielvorgaben. Da sind ganz viele Menschen ganz wachsam.

Dem einzelnen Landwirt ist es doch aber zunächst egal, ob die Landesregierung schlecht dasteht.

Das stimmt. Das einzige "Verbot", das wir im Gesetz hatten, ist das Verbot der ackerbaulichen Nutzung von Gewässerrandstreifen. Alles andere sind Arbeitsaufträge an den Staat. Der muss beispielsweise mit finanziellen Anreizen die einzelnen Maßnahmen für Landwirte lukrativer machen, als wenn sie so weiter machen wie bisher.

Müssten nicht eigentlich die EU-Agrarmittel entsprechend umgelenkt werden?

Das ist der Wermutstropfen bei der direkten Demokratie: Auf Bundes- und europäischer Ebene gibt es leider keine Volksbegehren. Eigentlich versuchen wir mit dem Volksbegehren, Schäden zu beseitigen, die wir erst durch eine verfehlte EU-Förderpolitik in ihrem ganzen Ausmaß produziert haben. Deshalb war ich auch traurig, dass sich Landwirte von uns angegriffen gefühlt haben. Wir wollten ihnen doch den Weg weisen aus dem Wahnsinn, dass sie immer größer werden, immer mehr Fläche bewirtschaften müssen, aber trotzdem nicht über die Runden kommen.

Subventionen sind aber überlebenswichtig für die Bauern.

Bei Betrieben unter 60 Hektar machen Subventionen gute 20 Prozent des Einkommens aus. Bei Betrieben über 200 Hektar sind es 80 Prozent. Also genau da, wo wir die Landwirtschaft gerne hätten, bei kleinen Strukturen, bei Familienbetrieben, da bleibt am wenigsten Geld hängen. Darüber hinaus wird das meiste Geld nach Fläche bezahlt. Was der Landwirt auf der Fläche tut oder eben nicht tut, ob er Gemeingüter wie Trinkwasser und Artenvielfalt schützt, spielt eine sehr untergeordnete Rolle. Genau umgekehrt müsste es sein. Da sind die Beharrungskräfte aber enorm.

Ist das nicht eine zu romantisierte Sicht auf die Landwirtschaft?

Die Forderung "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" ist nicht romantisch, sondern gerecht. Der Bauernverband verteidigt blind und fast panisch die bisherige Ausrichtung er EU-Agrarförderung. Alles soll so bleiben wie es ist. Aber die Argumentation ist grundfalsch. Der Verbraucher will die Auswüchse einer industrialisierten Landwirtschaft nicht. Die bisherige Subventionspolitik befeuert aber ausgerechnet einen Strukturwandel, den niemand will. Seit Jahrzehnten! Und gleichzeitig wird gejammert, dass Höfe sterben.

Kann denn Öko-Landwirtschaft unsere Ernährung sichern?

Dass das nicht gehen soll, ist auch eine Mär. Wie kann ich ernsthaft der Meinung sein, dass ich mit einer "modernen" Landwirtschaft, die eine der Hauptursachen des dramatischen Insektensterbens ist, Ernährungssicherheit gewährleiste? Die Lebensgrundlage der Tierchen, die für die Bestäubung der Nutzpflanzen zuständig sind, macht doch die industrialisierte Landwirtschaft zunichte.

Letzte Frage: Wie sehr hat es Sie eigentlich überrascht, dass in Baden-Württemberg, mit einer grün-geführten Landesregierung, ein solches Volksbegehren gebraucht wird?

Das ist natürlich schon ein wenig überraschend, dass ein grün-geführtes Bundesland eine solche Nachhilfe überhaupt notwendig hat.