In Baden-Württemberg fehlen Heimplätze
80 Prozent aller Anfragen werden abgelehnt – SPD kritisiert Sozialminister

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Tut die Landesregierung genug, um Pflegeplätze sicherzustellen? Die Wohlfahrtsverbände sehen einen Versorgungsnotstand und die SPD-Landtagsfraktion erhebt schwere Vorwürfe: Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sei an Planung nicht interessiert; er vernachlässige seinen gesetzlichen Auftrag.
Die Oppositionspartei folgert das aus Antworten auf zwei große Anfragen im Landtag. "Minister Lucha konzentriert sich in der Pflegepolitik einseitig auf die ,beteiligungsorientierte Quartiersentwicklung‘ statt Notlagen in der Pflege wirklich zu bekämpfen", sagt die sozialpolitische Sprecherin Sabine Wölfle.
Luchas Haus hat einen Sinneswandel hinter sich. "Mit Engpässen bei der flächendeckenden Versorgung mit Heimplätzen rechnet die Landesregierung nicht", antwortete der Minister 2017 auf eine CDU-Anfrage im Landtag. Noch dieses Frühjahr sprach er von einem "nominalen Überschuss", denn rein rechnerisch standen bei den jüngsten Erhebungen mehr Pflegeplätze zur Verfügung, als Menschen betreut wurden.
Das Problem: Die Aussage passt nicht zur Realität vieler Betroffener, die einen Pflegeplatz suchen. Die Träger der Stationären Altenhilfe weisen inzwischen 80 Prozent aller Anfragen ab – das ergab eine Umfrage der Liga der freien Wohlfahrtspflege, die elf Spitzenverbände der Branche vertritt. Die Organisation beklagte einen "Versorgungsnotstand". Danach änderte auch das Ministerium seine Bewertung. In einem Schreiben an die Regierungspräsidien sprach das Ressort im August von einer "Besorgnis erregenden Situation", insbesondere in der Kurzzeitpflege.
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Aus Sicht der SPD bleiben angemessene Taten allerdings aus. Die Fraktion wirft Lucha vor, das Problem mit alten Zahlen und fragwürdigen Interpretationen zu verharmlosen.
Ausweislich der jüngsten Statistik waren zum 15. Dezember 2017 in Baden-Württemberg 398.612 Menschen pflegebedürftig. 96.181 davon wurden vollstationär in Heimen versorgt. Demgegenüber standen 110.245 stationäre Plätze, davon 101.799 für die Dauerpflege.
"Wie viele dieser überschüssigen Pflegeplätze tatsächlich belegt werden können ist der Landesregierung nicht bekannt", räumt Luchas Ministerialdirektor nun allerdings ein. Personalmangel, Sperren, Umbauten: Manche freien Betten existieren nur auf dem Papier. In Wirklichkeit, folgert die SPD, habe das Land keinen aktuellen Überblick.
Laut Sozialgesetzbuch sind die Länder "verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur". Für die SPD kann Lucha seiner Steuerungsfunktion schon deshalb nicht nachkommen, weil er nicht weiß, ob "zahlenmäßig ausreichende" Pflegeplätze bereit stehen. Er verzichtet offenbar auch auf die Kontrolle der Stadt- und Landkreise, denen die Aufgabe übertragen wurde.
Die SPD hatte wissen wollen, welche von ihnen zuletzt einen Kreispflegeplan erstellt oder fortgeschrieben haben, wie das im Landespflegegesetz vorgesehen ist. Diese Information musste das Ministerium bei den Kreisen erst einmal anfordern. 23 von ihnen haben geantwortet – eine Antwort darauf, wie die 21 anderen ihre Verantwortung wahrnehmen, blieb das Ministerium schuldig. "Kreispflegepläne werden von der Landesregierung nicht systematisch ausgewertet", erklärt Luchas Ministerialdirektor stattdessen.
"Es ist ihm überhaupt nicht wichtig, dass die baden-württembergischen Stadt- und Landkreise eine Pflegeplanung erstellen", stellt Wölfle fest. "Und von seiner gesetzlichen Verpflichtung, die Kommunen dabei zu unterstützen, hat er sich mit grün-schwarzer Mehrheit im Landtag entbinden lassen."
Wölfle bemängelt auch, dass Lucha Empfehlungen der Enquetekommission Pflege unter Grün-Rot "völlig unzureichend" umsetze. Unter anderem hatte die Kommission ein Monitoring auf Landesebene angeregt, das die nachfolgende grün-schwarze Regierung 2016 als "zwingend erforderlich" bezeichnete.
Einig sind sich Ministerium und SPD darin, dass die größte Herausforderung im Fachkräftemangel liegt. Der Bund habe mit der "Konzertierten Aktion Pflege" auch eine "wirklich gute Vorlage" erstellt, erklärt Wölfle. "Schade nur, dass sich die Landesregierung nicht an alle Vereinbarungen halten will."