Was bedeutet das Urteil zur Schuldenbremse fürs Land?
Vor allem kofinanzierte Projekte sind nun in Gefahr. Finanzminister Bayaz plant derzeit keinen Nachtragshaushalt.

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Landes-Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) rechnet trotz des jüngsten Verfassungsurteils nicht mit einem Nachtragshaushalt. Die Handlungsfähigkeit des Landes sei dank Rücklagen gesichert. Kritik des Bundes der Steuerzahler (BdS) an diesen Rücklagen bezeichnete sein Ministerium als inhaltlich falsch.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte am Mittwoch entschieden, dass der Bund ungenutzte Kredite aus dem Kampf gegen die Coronarezession nicht für andere Zwecke verwenden darf. Aufgrund der Regeln der Schuldenbremse hatte der Bund 2021 nur unter Berufung auf eine Notsituation eine Kreditermächtigung von 60 Milliarden Euro beschließen können. Das Geld wurde später gegen die Pandemie und ihre Folgen aber nicht benötigt. Die Ampel-Regierung hatte die Kreditermächtigungen deshalb für ihren Klima- und Transformationsfonds nutzen wollen. Gegen diese Umwidmung klagte die Unionsfraktion.
Den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP fehlen nun 60 Milliarden Euro für geplante Vorhaben, darunter auch solche, die mit den Ländern kofinanziert werden. Wenn der Bund die fehlenden Summen nicht über Steuererhöhungen, eine Reform der Schuldenbremse oder Einsparungen auftreibt, müssten die Länder die entsprechenden Maßnahmen allein bezahlen – oder darauf verzichten.
Bayaz‘ Sprecher wollte am Donnerstag zu besonders bedrohten Bereichen keine Prognosen treffen. "Wie der Bund auf die fehlenden 60 Milliarden Euro reagiert, müssen wir abwarten", teilte er unserer Redaktion mit. Ein Nachtragshaushalt sei aber weiterhin nicht geplant: "Weder haben wir zusätzliche Mittel, noch haben wir dringliche Maßnahmen, die über einen Nachtrag finanziert werden müssten." Im Haushalt bestünden Risikorücklagen, um die Handlungsfähigkeit des Landes sicherzustellen.
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An diesen Rücklagen übt der Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg Kritik. Ein Gutachten des Freiburger Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Raffelhüschen für die Landesabteilung des BdS hatte der Regierung im Oktober vorgeworfen, Ausnahme-Kreditbewilligungen aus der Corona-Zeit zu "hamstern", um sie später ohne Rücksicht auf die Regeln der Schuldenbremse verwenden zu können. "Mit der Ausnahmekomponente besteht die Möglichkeit amtierender Politiker, mit kreativen Buchführungsregelungen die Kreditaufnahme über die eigentliche Beschränkung der Schuldenbremse auszuweiten", heißt es in dem 70-seitigen Papier. Das Land habe zwar nicht gegen den Buchstaben der Schuldenbremse verstoßen, aber gegen ihren Geist.
Das Finanzministerium weist das zurück. "Die Darstellung ist inhaltlich falsch", erklärte der Sprecher. "Eine Umwidmung von Corona-Krediten fand in Baden-Württemberg zu keinem Zeitpunkt statt." Vielmehr stünden hinter den aufgeschobenen Krediten konkrete, vom Landtag genehmigte Maßnahmen aus früheren Haushaltsjahren und Rücklagen, deren Zweck eindeutig definiert sei. Bei Ausnahmekrediten müsse stets ein Corona-Bezug gegeben sein.
Das gilt demnach auch für die Zukunft: Die Notkredite würden für Maßnahmen mit Corona-Bezug ausgegeben, die nach wie vor relevant seien, erklärte das Ministerium. "Die Defizite bestehen ja noch." Als Beispiele nannte es das Förderprogramm "Lernen mit Rückenwind" und die Long-Covid-Forschung. Mit unverbrauchten Kreditresten rechnet Bayaz‘ Haus nicht: "Im kommenden Jahr dürfte ein Großteil der Maßnahmen abfinanziert sein", erklärte sein Sprecher.
Neben der "Ausnahmekomponente" ermöglichte in der Pandemie auch die "Konjunkturkomponente" Sonderkredite. Sie waren entsprechend nicht an eine Verwendung gegen Corona gebunden, sondern an den Kampf gegen die Wirtschaftsflaute. Hier wäre etwa eine Verwendung im Straßenbau denkbar.
Bayaz fordert eine Reform der Schuldenbremse, etwa durch eine Klausel, die notwendige Investitionen erleichtern würde. Unterstützung erhält er von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Es müsse "jedem klar sein, dass der klimaneutrale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft erhebliche Investitionsentscheidungen braucht", teilte er mit. Dies sei auch nach der Karlsruher Rechtsprechung "verfassungsrechtlich geboten." Der Klima- und Investitionsfonds sei notwendig, auch bei der Schuldenbremse dürfe es keine Denkverbote geben. Die Landtagsfraktionen von FDP und AfD begrüßten dagegen die Schärfung der Schuldenbremse.