Plus Verfassungsschutzbericht

Strobl warnt vor steigenden Gefahren durch gewaltbereite Extremisten

Strobl verweist auf eine "digitale Radikalisierung" und sieht eine "Anschlagsgefahr so hoch wie schon lange nicht mehr".

13.06.2024 UPDATE: 13.06.2024 12:53 Uhr 2 Minuten, 58 Sekunden

CDU-Innenminister Thomas Strobl (Mitte) und zwei seiner Mitarbeiter. Foto: dpa

Von Theo Westermann

Stuttgart. Erst präsentierten Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube am Donnerstagmorgen die Zahlen des Verfassungsschutzberichts für 2023 dem öffentlich tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium im Landtag, später den Medien. Die Kernpunkte des Berichts: Weiter hohe Zahlen an gewaltbereiten Extremisten jeglicher Couleur und eine latent hohe abstrakte Gefahr islamistischen Terrors, auch bei der nun beginnenden Fußball-Europameisterschaft. 

Speziell letzteres verband Strobl mit dem Hinweis auf den nach bisherigen Erkenntnissen islamistisch motivierten Mord an einem Mannheimer Polizisten sowie die jüngst aufgedeckten Anschlagspläne von vier Jugendlichen.  "Die Anschlagsgefahr ist so hoch wie schon lange nicht mehr", so Strobl vor den Mitgliedern des Ausschusses und später den Medien. Ein Grund dafür: "Die digitale Radikalisierung führt zu einer Verbreitung von Hass und Gewalt." Neben den den Behörden bekannten islamistischen Gefährdern gebe es ein "beachtliches Dunkelfeld von jenen, die sich sozusagen selber radikalisieren".  Es fehle ihm aber nicht die Fantasie, dass aus diesem Bereich auch "komplexere Anschlagsszenarien zu bewältigen sind, in Frankreich – aber auch bei uns in Stuttgart".

Ein weiterer Kernpunkt des Berichts sind antisemitische Straftaten. 317 antisemitische Straftaten gab es alleine von 7. Oktober, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, bis Dezember 2023. 2022 waren es 245, im gesamten Jahr 2023 waren es 356 Straftaten. "Der Antisemitismus ist nicht nur im Rechtsextremismus ein Problem, sondern manifestiert sich in vielen Bereichen, von Reichsbürgern bis Islamismus", so Strobl. Der aufmerksame Blick auf den Antisemitismus gelte auch den Hochschulen. Judenhasser und Antisemiten hätten an den deutschen Hochschulen nichts zu suchen, weder als Studierende noch als Lehrende, betonte Strobl.

> Rechtsextremismus: 2023 lag die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten wie 2022 bei circa 800. Wie auch bei den anderen Bereichen mit Blick auf gewaltorientierte Extremisten ist diese Zahl aber ein "Näherungs- und Schätzwert", wie das Landesamt betont. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten belief sich 2023 auf 50 (2019: 39), was Beate Bube "bedenklich" nennt. Es gehe weiterhin eine große Gefahr für schwerste rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten von militanten Strukturen und radikalisierten Einzelpersonen oder Kleinstgruppen aus, so die Präsidentin.

Insgesamt zählt der Verfassungsschutz rund 2460 Rechtsextremisten im Land, 1050 davon in Parteien organisiert, davon 620 in der AfD. Das Landesamt beobachtet den Landesverband der AfD und die "Junge Alternative Baden-Württemberg" weiterhin als Verdachtsfälle. Die AfD hat dagegen vor dem Verwaltungsgerichtshof geklagt, das Hauptsacheverfahren ist noch nicht entschieden. Landesweit hat die AfD rund 5400 (2022: circa 3700) und die JA etwa 170 Mitglieder (2022: circa 160). Das extremistische Personenpotenzial wird auf 620 (2022: 600) geschätzt. Die Einschätzung ist die gleiche wie in den vergangenen Jahren: Auch wenn sich extremistische Kräfte innerhalb der AfD im Südwesten bisher nicht mehrheitlich hätten durchsetzen konnten, würden sie nennenswerte Unterstützung im Landesverband genießen und seien zum Teil prägend für das Bild nach außen, so Beate Bube. Das Konzept des "ethnisch homogenen Volks" sei zentral. Als ein Beispiel für extremistische Positionen nennt der Bericht den "Rottweiler Dialog" am 29. Juni 2023, ausgerichtet vom AfD-Kreisverband Rottweil-Tuttlingen und dem Co-Landesvorsitzenden Emil Sänze unter anderem, mit Björn Höcke, Vorsitzender der gesichert rechtsextremistischen AfD Thüringen.

> Reichsbürger: Neben dem generellen Anstieg von 3800 auf 4000 Personen fiel den Verfassungsschützern insbesondere der höhere Frauenanteil im Milieu der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf. Lag der Anteil bislang bei etwas weniger als einem Drittel, lässt sich nun im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Anstieg von circa neun Prozent auf 38 Prozent feststellen. Sowohl der Anstieg des Gesamtpersonenpotenzials als auch des Frauenanteils dürfte maßgeblich auf die Zeit der Corona-Proteste zurückzuführen sein. Das Landesamt stuft schätzungsweise zehn Prozent als gewaltorientiert ein.

> Islamismus: 4163 Personen im Land zählen die Verfassungsschützer zum Islamismus, hundert mehr als ein Jahr zuvor. 92 politisch motivierte Straftaten wurden registriert. Islamisten betätigen sich demnach sowohl als Einzelpersonen als auch in losen Netzwerken, festen Vereinsstrukturen oder politischen Parteien. Personenstärktste Ausprägung im Land ist demnach der Salafismus. In Zirkeln und Szenen in Baden-Württemberg betätigen sich derzeit rund 1300 Anhänger, unter anderem in 18 Personenzusammenschlüssen wie beispielsweise dem "Bilal Verein" in Heilbronn, dem "Verein für Muslime in Heidelberg", "Bildung im Quadrat" in Mannheim oder der "Gemeinschaft Deutschsprachiger Muslime" in Pforzheim. Mögliche Demonstrationen für ein "Kalifat" in Deutschland wie in Hamburg habe man genau im Blick, die Behörden würden bei Straftaten sofort einschreiten, machte Strobl klar. Millionen von Moslems gehörten selbstverständlich zu diesem Land, Islamisten gehörten aber nicht dazu, so Strobl.

> Spionage: Schwerpunkt der Spionageabwehr waren Cyberangriffe, die mutmaßlich aus der Volksrepublik China nachrichtendienstlich gesteuert oder beeinflusst wurden. Sorgen machen sich Strobl und Bube auch über zunehmende Spionageaktivitäten, auch Versuche der Einflussnahme, um Deutschland zu destabilisieren, etwa durch Russland. Es sei auch Spionage durch chinesische Wissenschaftler an Hochschulen nicht auszuschließen.  "Chinesisches Erkenntnisinteresse herrscht im Bereich der Zukunftstechnologien", so Strobl. Die Spionageabwehr des Landesamts hat eine Sensibilisierungskampagne an Hochschulen und Forschungsreinrichtungen gestartet und  auf die Spionagegefahr durch chinesische Gastwissenschaftler hingewiesen.

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