Unterricht an Gymnasien

Fast jede zwölfte Stunde fällt aus

Engagierte Eltern haben Ausfallquote erfasst – 13,5 Prozent des Unterrichts fanden nicht wie geplant statt

02.07.2018 UPDATE: 03.07.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 11 Sekunden

Ausgefallene Stunden oder Vertretungsunterricht sind regelmäßiger Alltag an baden-württembergischen Schulen. Offizielle Zahlen des Ministeriums stehen aber noch aus. Foto: dpa

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Das Problem ist unbestritten, doch niemand kennt seine Ausmaße: An den Schulen des Landes fällt Unterricht aus. Genaue Daten darüber, wie viele Stunden pro Tag und Schule entfallen, wie viele vertreten werden und wie Vertretungsunterricht im Einzelfall aussieht, gibt es aber nicht.

Damit wollten sich Eltern von Gymnasiasten im Regierungsbezirk Stuttgart nicht abfinden. Mit einer Erhebung haben sie sich zumindest einen Überblick über die tatsächlichen Ausfälle verschafft. Ihre Ergebnisse hat die ARGE (Arbeitsgemeinschaft Elternbeiräte an Gymnasien) Stuttgart am Montag  vorgestellt.

"Was da rausgekommen ist, ist natürlich nicht so dolle", fasste der ARGE-Vorsitzende Michael Mattig-Gerlach zusammen. 13,49 Prozent des Unterrichts habe nicht wie geplant stattgefunden: 7,81 Prozent aller im Stundenplan vorgesehenen Stunden seien entfallen, 5,68 Prozent als Vertretungsstunden abgehalten worden.

"Auf eine Schullaufbahn hochgerechnet, bedeutet das, dass in acht Jahren Gymnasium mehr als ein Jahr geplanter Unterricht nicht stattfindet", sagte er. Er finde: "Die Politik sollte nicht über G8 oder G9 streiten, wenn in Wirklichkeit G7 praktiziert wird."

Auch interessant
Unterrichtsausfall in Baden-Württemberg: In fast jeder zehnten Stunde fehlt der Lehrer
Schulbeginn in Baden-Württemberg: Das bringt das neue Schuljahr
: Kultusministerin besorgt wegen Ansturms auf Gymnasien
Lehrermangel in Baden-Württemberg: Leere Stühle im Lehrerzimmer

Abgefragt hatten die Eltern die Unterrichtssituation in den ersten neun Wochen von 2018. Sie verschickten Erfassungsbögen an 151 Gymnasien im Bezirk, in die Schulleiter die entsprechenden Daten eintragen sollten. Knapp ein Viertel der Schulleiter machte mit: 37 Erhebungsbögen seien eingegangen. Damit sei die Umfrage aus ARGE-Sicht repräsentativ.

"Das sind wirklich belastbare Daten", sagte Mattig-Gerlach, den ärgert, dass die Schulverwaltung die Aktion "behindert" habe, indem sie Schulleitern per Rundschreiben von einer Teilnahme abgeraten habe. Die ARGE habe daher mit Klage gedroht und sich auf die öffentlich bekundete Zustimmung von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) berufen.

Die Ministerin hat zuletzt mehrfach angekündigt, Unterrichtsausfälle künftig "schulscharf", also an allen öffentlichen Schulen, zu erfassen. Bisher gibt es immer nur eine landesweite Stichprobe. Die aktuellste, im November 2017 an 610 Schulen, ergab niedrigere Ausfallquoten - auch, weil das Ministerium Vertretungsstunden nicht zum Ausfall zählt. An Gymnasien zählte man so 5,4 Prozent Ausfall, über alle Schularten hinweg landesweit 3,6 Prozent.

Elternvertreter sehen das Herausrechnen der Vertretungsstunden als unstatthaft. Kathrin Grix vom Gesamtelternbeirat (GEB) Stuttgart forderte: "Der Vertretungsunterricht muss zum Ausfall gerechnet und nicht davon abgezogen werden."

Zwar wolle sie eine Lanze für Vertretungslehrer brechen, aber regulärer Unterricht sei so kaum möglich. "Wenn es krass wird, malen die Kinder in solchen Stunden Mandalas aus", kritisierte sie.

Eisenmann, die Verständnis für das Anliegen der Eltern äußerte, widersprach: "Das bedeutet ja, dass man unseren Lehrkräften jegliches Recht abspreche, krank zu sein. Das ist nicht nur unfair gegenüber den Lehrerkräften, sondern auch fern ab der Realität", wurde sie in einer Mitteilung des Ministeriums zitiert.

Der Wunsch der Eltern nach Transparenz sei aber nachvollziehbar: Deshalb habe sie eine Vollerhebung an allen Schulen vom 11. bis 15. Juni veranlasst. Deren Auswertung solle noch vor den Sommerferien vorliegen.

Hauptursache der Ausfälle ist Lehrermangel. Je dünner die Personaldecke in einem Kollegium, desto mehr fällt erfahrungsgemäß aus und desto weniger freie Kapazitäten für Vertretungen gibt es auch. Landesweit fehlen hunderte Lehrer, besonders drastisch ist die Situation aber nicht an Gymnasien, sondern an Grundschulen und sonderpädagogischen Einrichtungen auf dem Land.

Dort sei der Ausfall nach seiner Wahrnehmung auch viel schlimmer, sagte Carsten Rees, Vorsitzender des Landeselternbeirats. Aber genau wisse er es nicht: "Wir haben ja keine exakten Zahlen."

Die Forderung nach einer "110-prozentigen Versorgung" sei angesichts des derzeitigen Lehrermangels wenig realistisch, erklärte Eisenmann. Auch die Forderung, die Referendare nach ihrer Ausbildung bis zur Übernahme im Schuldienst durchzuzahlen, sowie alle Referendare zu übernehmen, biete keinen Beitrag zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung, so das Ministerium. Man wolle aber für die Gymnasien gezielt um Fachlehrkräfte für Mangelfächer werben.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.