Von Hans Georg Frank
Hermann Hohl, der Präsident des Weinbauverbands Württemberg, könnte sich eigentlich einen ordentlichen Jubelschluck gönnen. Der Jahrgang 2015 reift mit herausragenden Qualitäten in den Kellern zu einem "absoluten Spitzenprodukt" heran. Von den 11 118 Hektar Rebfläche zwischen Taubertal und Albtrauf samt der Exklave am Bodensee haben die Winzer über eine Million Hektoliter geerntet, um deren Absatz sie sich zumeist wenig Sorgen machen müssen. Doch was die Stimmung beim Präsidenten und den Erzeugern stark verhagelt, das ist die seit Jahresanfang geltende Neuordnung der Weinregularien.
"Zu viel Bürokratie, zu kompliziert, überhaupt nicht praxistauglich, kaum durchschaubar", fasste der Präsident in Weinsberg seine Kritik zusammen. Mit dem reformierten Paragrafenwerk sei "alles durchwühlt" worden. Neuerdings gilt kein Anbaustopp mehr, der bisher auch die Massenproduktion verhinderte. Fortan dürfen in Deutschland jährlich 300 Hektar neu bepflanzt werden, ganz egal, was bisher darauf wuchs. Gab es bisher 13 Anbaugebiete in acht Bundesländern, können ab sofort alle 13 Flächenländer ihren eigenen Wein kultivieren lassen; nur die Stadtstaaten sind weiter auf Importe angewiesen.
Auch Neulinge wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben schon vorab von den 300 Hektar jeweils fünf bekommen, auch wenn noch gar nicht klar ist, ob sie die Möglichkeit überhaupt nutzen wollen. Aus Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen ist immerhin schon durchgesickert, dass dort entsprechende Areale bestockt werden sollen. Noch vor Einsendeschluss am 1. März haben sich bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn Anträge mit mehr als 500 Hektar angesammelt. Insider schätzen, dass rund 1500 Hektar beantragt werden. Bekommt ein Möchtegern-Winzer den Zuschlag, muss er innerhalb von drei Jahren die Reben in den Boden bringen, sonst wird ein Bußgeld kassiert.
Deutschland hat sich als einziges EU-Weinbauland mit dem Plus von 300 Hektar begnügt, in allen anderen darf die Rebensteppe jährlich um ein Prozent wachsen. Diese Quote entspräche hierzulande gut 1000 Hektar.
Neben der Neuanpflanzung ist auch die Wiederbestockung möglich, die jedoch nicht dort erfolgen muss, wo vorher die Trauben gediehen. Der Betrieb ist frei in der Wahl der Parzelle. Hermann Hohl, selbst praktizierender Winzer, befürchtet deshalb einen Verzicht auf die beschwerliche, wenig rentable Schinderei in den Steillagen. Wo der Aufwand bis zu fünfmal größer sei, ohne einen nennenswerten Mehrerlös zu bekommen, dort würden die Hänge gegen flache Flächen ausgewechselt.
Trifft Hohls Horrorszenario zu, dann verschwindet am Neckar und seinen Nebenflüssen eine Kulturlandschaft, die die Gegend seit Jahrhunderten geprägt hat. 650 terrassierter Hektar könnten keine Touristen mehr anlocken, wenn die Mauern zerfallen und die Parzellen dem Wildwuchs überlassen bleiben. Daran seien freilich nicht allein EU-Gesetze und am eigenen Betriebserfolg interessierte Weingärtner schuld. Auch die Verbraucher sollten durch entsprechenden Konsum zum Erhalt der Terrassen beitragen. "Doch beim Einkauf geht es nach Preis, das macht uns Probleme wie der übrigen Landwirtschaft auch."
Die Winzer im Land setzen auf Wahlversprechen der Parteien. Von den jetzt im Landtag vertretenen Fraktionen wird verlangt, dass sie die Subvention von Steillagen kräftig erhöhen. Derzeit gibt es, mit etlichen Auflagen verbunden, 900 Euro je Hektar. Notwendig sind nach präsidialer Überzeugung aber 5000 Euro. "Bewirtschaftungszuschuss" heißt dieses Geldquelle.
SPD und FDP hätten bereits Zustimmung signalisiert, mit CDU und Grünen werde noch gesprochen, sagte Hermann Hohl. Seine jahrelangen Bemühungen hatten bisher wenig Erfolg. "Es gab nur Lippenbekenntnissen trotz vieler Foren und Symposien."